Erst die Mighty Oaks, dann AnnenMayKantereit und Bilderbuch, gefolgt von Giant Rooks, Von Wegen Lisbeth und zuletzt Fil Bo Riva. Sie alle waren schon beim Way Back When Festival und feiern heute verhältnismäßig große Erfolge in der Popmusikwelt. Auch dieses Jahr waren bei der sechsten Ausgabe der Veranstaltung einige Künstler*innen in Dortmund dabei, welche das Potenzial für größere Bühnen haben. Hier folgt eine Sammlung derjenigen Acts, die am meisten herausgestochen sind und auf individuelle Weise besonders sind.
Musik auf dem Schrottplatz. Locationwechsel nach fünf Jahren im FZW (Freizeitzentrum West): Von Freitagnachmittag bis Samstagnacht verwandelte sich der JunkYard der Nordstadt in einen musikalischen Schrottplatz. Es wurde als „Festival von Musikliebhaber*innen für Musikliebhaber*innen“ angekündigt und auch dieses Jahr traten einige Newcomer auf. Zwischen ausrangierten Reifen, alten Straßenbahnen, besprühten Containern und ein paar Liegestühlen am Rand wurde die Festivalsaison entspannt eingeläutet. Wer ein kommerzielles Festival erwartet hat, war hier an der falschen Stelle. Es gab einen Bierstand und eine Currywurst-Pommes-Bude. Kein Schnick-Schnack, keine ausgefallenen veganen Köstlichkeiten, keine Hennastation, keine Wiesen zum Entspannen. Der Fokus lag auf der Musik. Die wurde auf nur zwei Bühnen geboten, eine draußen auf dem Schrottplatz, die andere drinnen in der Werkstatt. Kurze Wege und keine Überschneidungen – wäre lautstärketechnisch auch unmöglich gewesen.
Die erste Überraschung am Freitag war der Dortmunder Rapper und Hip-Hopper Goldroger. Kein politischer Deutschrap, der aktuell beliebt ist und auch kein Gangsterrap mit aggressiven Punchlines. Der Skater erzählt in seinen Songs sympathische, alltägliche Geschichten, singt über Menschen und zwischenmenschliche Beziehungen. E-Gitarrenriffs und Einflüsse aus dem Reggae unterscheiden seine Musik vom klassischen Rap und machen ihn facettenreich. Stimmlich erinnert Goldroger an Jan Delay und seine Musik ist neben einer seiner Lieblingsbands, den Ärzten, auch von den Reggaesounds von Seeed inspiriert.
Der JunkYard war noch lange nicht voll, aber die Atmosphäre war gut, weil die Abensonne schien, die ersten Leute tanzten und die Musik entspannt war.
Die Band Gurr präsentierte Garage-Sound zwischen Indie, Punk und Rock. Drei Frauen mit Power in der Stimme, am Bass und an der Gitarre. Während des Auftritts interagierten sie immer wieder miteinander, sprangen sich entgegen, animierten sich zum Headbangen und pushten sich bei ihren Soli. Die zwei Berlinerinnen Andreya Casablanca und Laura Lee Jenkins, die Gurr 2012 gegründet haben, sind seit 2016 noch mit der amerikanischen Bassistin Jil März unterwegs. Einige ihrer Songs erinnern an amerikanischen Garage-Punk. Die Tracks haben stimmige Melodien und Rhythmen, die aber leider alle sehr ähnlich klangen. Was aber definitiv überzeugt hat, waren ihr Headbangen und ihr auf-dem-Boden-Fläzen. Die Bühne rocken können sie, aber ihre Musik überzeugt in Aufnahmen mehr als live. Der Smalltalk mit dem Publikum gestaltete sich schwierig. Es herrschte unangenehme Stille, als Casablanca und Lee versuchten, den Fauxpas Dortmund mit Düsseldorf zu verwechseln, mit verwirrenden, unvollendeten „Späßen“ wettzumachen. Jetzt wäre der Moment gewesen, ihren Song „Bye Bye“ auszupacken. Zeit für einen Locationwechsel! Also geht’s aus der Werkstatt raus auf den Schrottplatz. Auf dem Weg noch schnell `ne Pommes geholt und los.
Der letzte Outdoor Act war gleichzeitig auch der Headliner des ganzen Festivals. „We are Deerhunter. Our music is the fucking shit. We’re going to stomp you in the fucking JunkYard right now!”, dröhnt es von Frontmann Bradford Cox vermutlich über die komplette Nordstadt hinweg. Die Akustik war schlecht geregelt, sodass sich die Hälfte des Publikums über mehrere Songs hinweg die Ohren zuhielt. Das schien die Jungs aber nicht zu stören. Ohne eine Miene zu verziehen, zogen sie die Show durch. Ziemlich beeindruckend diese Attitüde, die dem ganzen Stil der Band entspricht. Sie bieten US-amerikanischen Indie-Rock-Sound mit schrillem Gesang über den Verfall der Kultur und Menschlichkeit und philosophischen Gedanken über die Gründe der Existenz der Welt.
Ganz oben auf der Liste der Neuentdeckungen steht die japanische Band Kikagaku Moyo, deren fünf Mitglieder eine außergewöhnliche Mischung aus psychedelischen sowie traditionellen ostasiatischen Klängen, Rock und Folk auf die Bühne bringen. Sie können sich nicht nur wunderbar kleiden, in einem lässigen Stil aus traditionellen Stoffen und außergewöhnlichen Mustern, und ihre langen schwarzen Haare benutzen, um heftig zu headbangen, sondern sie konnten die Werkstatt als einzige Band so richtig zum Beben bringen. Ruhige, akustische, kosmische Klänge führen hin zu rockigen Passagen und Gitarrenriffs, die Alt und Jung zum Ausrasten brachten. „Klangtechnische Verschiebungen treffen auf eruptive Ausbrüche und allerhand furiose Überraschungen.“ Dieses Zitat aus der Vorankündigung fasst es ganz passend zusammen. Wahnsinnige Spielfähigkeit auf der Sitar, einem ursprünglich indischen Instrument, das sich mittlerweile häufig im Folk findet und auch schon bei den Beatles und den Rolling Stones zum Einsatz kam, brachte ostasiatischen Flair auf die Bühne. Das erstaunliche an Kikagaku Moyo ist ihr Gesang. Die Band bedient sich einer Kunstsprache, die aus Geräuschen entsteht, die auf ihren Gefühlen zu den Songs beruhen. Ihre Jams gingen teilweise 15 Minuten lang und groovten durchgehend. Live unglaublich sehenswert!
Deutlich modernere, futuristische Klänge gab es vom Produzenten und Musiker Simon Ebener-Holscher alias Moglii. Mit einer großen Plastikpalme hinter sich und grünen Pflanzen und Lichterketten aus demselben Material vor sich, die sein Set schmückten, bot der geborene Düsseldorfer einen Einblick in sein vielschichtiges Schaffen. Mogliis elektronische Dance Music besteht aus warmen Beats, tropischen Klängen von analogen Synthies, gepaart mit eigenen Vocals. Er bedient sich eines eigenen Genres namens „organic electronics“, was sich durch natürlich hergestellte Klänge, z.B. die einer Kaffeemaschine, auszeichnet. Sein Sampling Pad spielte er mit Sticks, die jedes Mal neongrün aufleuchteten, wenn er sie benutzte. Eine verstärkte Geige und die Sängerin MulayMusic sorgten für ein noch abwechslungsreicheres Set. Optisch die kreativste Performance.
Das letzte Highlight des Festivals war Altin Gün. Eine Band, die sich aus mehreren Nationalitäten, überwiegend aber aus niederländischen Musiker*innen zusammensetzt und musikalisch eine Mischung aus psychedelischem Rock und türkischem Folk bildet. Die Band benutzt die Bağlama, eines der beliebtesten Begleitinstrumente aus der Türkei, wodurch starke Assoziationen dorthin entstehen. Die türkischen Einflüsse kommen auch durch den melismatischen, türkischen Gesang zum Ausdruck. Die Musik von Altin Gün klingt gleichzeitig traditionell und zeitgenössisch. Lange Töne, starke perkussive Einschübe und komplexe Rhythmen verschmelzen mit der sehnlichen Stimme der Frontsängerin Merve Dasdemir. Eine große Leidenschaft für traditionellen Klänge war deutlich hörbar und spürbar, besonders bei dem talentierten Bassisten Jaspar Verhulst, der sowohl durch sein lebendiges Spielen als auch seine Bewegungen zum Tanzen und Mitfühlen einlud.
Das Way Back When bietet eine gute Möglichkeit, noch eher unbekannte Künstler*innen in intimer Atmosphäre kennenzulernen. Hier steht ganz klar die Musik im Vordergrund, es ist kein “Erlebnisfestival”. Gerne wieder!