“Alles kann zu Pop werden”

Pop ist überall. Aber was genau ist das eigentlich? Und was unterscheidet die Popmusik von anderen Genres? terzwerk-Autorin Marie Stapel im Gespräch mit Prof. Dr. Christoph Jacke über den Sinn und Unsinn von Genrebegriffen.

Foto: Prof. Dr. Christoph Jacke von der Universiät Paderborn. ©Christoph Jacke

terzwerk: Pop ist für viele gleichbedeutend mit populär. Dann würden ja theoretisch auch klassische Stücke wie z. B. Mozarts kleine Nachtmusik dazu zählen. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

Christoph Jacke: Für mich bedeutet populär, dass viele Menschen mit Vergnügen, niedrigschwellig eine bestimmte Art von Musik wahrnehmen, die zumeist industriell hergestellt ist, massenmedial vermittelt wird und zu der man dann eben tanzt, drüber schreibt oder selber Songs komponiert. Also sozusagen Anschlussmusik oder -medien schafft. In dieser Hinsicht kann man natürlich auch Mozart oder andere heute als Klassik bezeichnete Komponisten durchaus als „populär“ benennen.

Christoph Jacke (*1968) hat an der WWU Münster Publizistik- und Kommunikations-wissenschaft, Englische Philologie, Politikwissenschaft und Geographie studiert. 2004 promovierte er zum Thema “Medien(sub)kultur”. Seit dem WS 2008/2009 ist er Professor für Theorie, Ästhetik und Geschichte der Populären Musik und leitet seit 2012 den Studiengang: “Populäre Musik und Medien” an der Universität Paderborn. Außerdem ist er der erste Vorsitzende des deutschsprachigen Branchs der „International Association for the Study of Music“ (IASPM D-A-CH) und Journalist.

terzwerk: Was ist denn Ihrer Meinung nach das „Alleinstellungsmerkmal“ der Popmusik?

Christoph Jacke: Es gibt nicht „die eine“ Popmusik, sondern Popmusikkulturen. Das ist auch kein Genre für mich, sondern das ist eine Art Beobachtungssetting. Im Unterschied zu anderen Formaten, die vielleicht nicht so populär waren, aber daran andocken oder damit zusammenhängen, ist es das Geheimnis der Popmusik, dass sie sowohl trivial als auch komplex sein kann. Trivial immer, weil man sie ganz schnell verstehen können muss. Es muss losgehen, es muss abgehen, es muss kicken. Gleichzeitig, wenn ich natürlich ein/e Kenner/in bin oder ein Fan, dann kann ich die Komplexität aufschlüsseln. Das Feld der populären Musik und Medien ist im weitesten Sinne immer ein sehr komplexer Kommunikationsprozess. Ich argumentiere also nicht über ein Wesen oder ein Werk. Das ist immer ein Prozess. Da haben viele Menschen, Industrien und Medien mit zu tun. Und diese Wechselseitigkeit macht das ja auch so spannend und so komplex.

terzwerk: Popmusik, Klassik, Jazz, Elektro… Möchte man sich heute Musik kaufen, wird man direkt mit den Genres konfrontiert. Woher kommt diese Einteilung?

Christoph Jacke: Es ist nicht wegzukriegen! Das macht aus wissenschaftlicher Perspektive überhaupt keinen Sinn! Das ist Jahrzehnte alt. Mit dem Aufkommen der popular music studies bildete sich etwa ein Diskurs um Pop vs. Rock heraus, der medial und industriell geprägt war. Das hat damals Sinn gemacht, weil Rock das vermeintlich Echte war. Das Männliche, das Coole, das Starke, mit all den Stereotypen, die da mitschwingen. Und Pop war das vermeintlich Weibliche, Oberflächliche, Plastik. Mit der Zeit hat man gemerkt, dass das auf der Ebene überhaupt nicht funktioniert, weil sich die Popmusik im weiten Sinne so ausdifferenziert und weiter entwickelt. Deshalb wurde das eigentlich weitgehend in der Wissenschaft – würde ich jetzt vorsichtig sagen – aufgegeben. Was ich sehr sinnvoll und nachvollziehbar finde. Rock kann genauso weiblich sein und Männer können genauso Plastikbands machen. Das haben wir ja auch alles schon historisch erlebt. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir Kategorien etwa der GEMA oder von virtuellen Plattenläden damit auflösen.

terzwerk: Wo liegen Ihrer Meinung nach dann die Grenzen des Popmusikbegriffs?

Christoph Jacke: Der Mitbegründer des Musiksenders „VIVA“ und der Musikmesse „Popkomm“, Prof. Dieter Gorny, hat als Slogan mal vor langer Zeit sowas ähnliches gesagt wie: „Alles ist Pop!“. Ich würde sagen: „Nein, alles kann Pop werden. Dann muss man es aber dazu machen.“ Die Unterscheidung Pop vs. andere Genres war offensichtlich mal historisch bis in die Wissenschaft wichtig. In Beschreibungsmodellen wie sie Angela McRobbie oder Simon Frith mit z.B. „Cock-Rock“ nicht ganz unironisch gefasst haben als eben diesen Männer-Rock, hat Pop demgegenüber immer den Touch gehabt von kommerziell. Da bin ich bei McRobbie und Frith, das ist ja nun wirklich wissenschaftlich unhaltbar. Rock ist genauso unecht, wie Techno authentisch ist. Man kann mit den ganzen Begriffen in einem gewissen Rahmen vor allem historisch spielen. Das hat ja Pop auch selbst immer wieder getan.

Pop, Klassik, Jazz, Elektro. Wie sinnvoll sind diese Kategorien für uns?

terzwerk: Glauben Sie, dass die Zuhörer diese Kategorien brauchen?

Christoph Jacke: Na ja, Menschen brauchen immer Schemata in ihrer Wahrnehmung, aber es prägt eben auch sehr. Das ist genau wie mit U und E. Was soll denn das sein? Für mich ist Helene Fischer genauso ernst wie Beethoven. Und Beethoven kann genauso Spaß machen wie Helene Fischer – oder eben auch nicht. Ich kann nicht sagen, der Popbegriff hat sich erledigt – im Gegenteil. Aber er findet meiner Meinung nach als Genre keine große, sinnvolle Verwendung mehr. Das Etablierte als Kategorie wegzubekommen, ist schwierig. Insofern wird es oft wieder mitgeschleppt. Journalisten/innen kategorisieren auch. Aber man kann ja mitlaufen lassen: – wir kennen es aus der Genderdiskussion – „Ich fühle mich nicht gut damit. Ich habe neue Vorschläge.“

terzwerk: Wer hat den Begriff Popmusik zum ersten Mal geprägt?

Christoph Jacke: Da müsste man auch wieder schauen, in welchen Diskursen das aufscheint. Und zwar geographisch, sozial und von der Perspektive her. Der Popbegriff zum einen heißt ja einfach „to pop“ – also knallen. Das kommt von diesem Subversiven aus dem angloamerikanischen Bereich. Das ist aber was anderes als populär. Dieser Begriff ist noch viel älter. Der Pop in der Wissenschaft ist nochmal was anderes. Da ist das schon in der Popkunst – den poparts – in der Nachkriegszeit, aber auch schon früher in den USA, UK – bis rüber nach Deutschland und international beobachtet und behandelt worden. Genauso die popular music. Das heißt ja aber nicht, dass es zu der Zeit – egal wann man jetzt ansetzen möchte, weit vor dem zweiten Weltkrieg, Nachkriegszeit, in Indonesien oder bei den Maori – keine populäre Musik gab.

In Deutschland hat das Radio den Popbegriff entscheidend mitgeprägt.

terzwerk: Wenn wir mal hier in Deutschland bleiben. Wer hat hier den Pop-Begriff geprägt?

Christoph Jacke: Hier in Deutschland gibt es diesen Einschnitt ganz besonders zu beobachten nach dem Zweiten Weltkrieg und dem starken angloamerikanischem Einfluss, weil bei uns Identitätsverluste und Fragen aktuell waren wie: Gibt es eine Kultur nach Auschwitz bzw. in und nach dem Nazideutschland? Und dann war es natürlich naheliegend, – so kann ich es z. B. von meinen eigenen Eltern beschreiben – sich der amerikanischen und britischen Kultur anzuschließen, weil sie eben übers Radio und Tonträger übertragen wurde und eine andere Welt vermittelte. Vor allem Jazz und Swing. Viel afroamerikanisch orientierte Musik, aber eben auch – bei meinen Eltern jetzt nicht so sehr – der Nachkriegsschlager. Ist für mich auch Popmusik. Dafür bekommt man immer wieder kritische Blicke. Verstehe ich nicht! Nach allem was ich Ihnen jetzt gesagt habe, ist Schlager sogar ein Deluxe-Popgenre. Und dann kann man nachher verhandeln, ob es reaktionär ist oder progressiv und wie man es einschätzt. Aber es erfüllt eigentlich alle Kriterien meines weiten Popverständnisses.

terzwerk: Inwiefern ist der Nachkriegsschlager ein so besonderes Popgenre?

Christoph Jacke: Bei Schlager hat man vielleicht nicht so schnell an Pop gedacht, aber ich finde schon, dass viele von mir genannte Kriterien erfüllt sind: die industrielle Produktion, die weite Verbreitung, viele Menschen haben Spaß daran. Dabei ist es erstmal einerlei, wie man das nachher auf der Geschmacksebene einsortiert. Man kann auch sagen, für bestimmte Leute war Schlager auch poppig im Sinne von knallig und irgendwie auch subversiv. Das waren die Holzbank-Keller-Partys. Da haben bestimmte elitäre Zirkel die Nase gerümpft und vielleicht auch gar nicht verstanden, was da passiert. Damit möchte ich den reaktionären Schlager hier nicht reüssieren lassen, aber als Wissenschaftler Respekt vor solchen sozialen und kulturellen Prozessen haben, die da ablaufen.

terzwerk: Heißt das, Sie würden dafür plädieren, dass es auch in der Wissenschaft eine Auflösung dieses Denkens in Genrebegriffen gibt?

Christoph Jacke: Aus berufspraktischer Sicht: Kategorien oder von mir aus Genres können bestimmte Berufe und Rezeptionen vereinfachen. Aber deswegen muss ich ja nicht daran glauben, sondern es ist sowas wie ein Assistieren. Und deswegen finde ich, dass es in der Wissenschaft auch sehr standpunkt- und zeitabhängig ist. Das heißt ja nie, dass es gleichzeitig willkürlich ist. Überhaupt nicht. Sondern: ich sollte derartige Kategorisierungen und Einordnungen eben gegebenenfalls berücksichtigen.

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Hintergrundbild: Woman Lifting Her Hand / Photo by Skitterphoto from Pexels / pexels license/

Beitragsbild: Prof. Dr. Christoph Jacke / © Christoph Jacke

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