Da sind sie nun endlich. Die Semesterferien. Ich habe nichts zu tun außer irgendwie die gefühlten 45 °C auszuhalten und – verdammt – ich sollte doch einen Text schreiben! Mal sehen, was sagt der Kalender? 28. Juli: Ton des Monats (Felix). Na großartig. Dann mal überlegen… was ist so omnipräsent wie diese Hitze, gleichzeitig irrelevant genug, um das Sommerloch angemessen zu füllen und hat irgendwie etwas mit Musik zu tun? Genau. Johann Pachelbel. Deshalb ist der Ton des Monats Juli ein kleines d – die erste Note der achtteiligen Tonfolge, die bei jedem Cellisten einen akuten Brechreiz hervorruft.
Was haben die Cellisten des späten 17. Jahrhunderts bloß getan, um derartig bestraft zu werden und quälende 28 Mal die gleichen acht Töne spielen zu müssen? Die Umstände, unter denen das Werk entstand, sind ebenso wie dessen Entstehungsjahr unbekannt. Musikwissenschaftler Hans-Joachim Schulze vermutet, Pachelbel habe den Kanon für die Hochzeit Johann Christoph Bachs geschrieben, Comedian Rob Paravonian ist der Ansicht, es sei die Rache an einer Cellistin, die seine Liebe verschmähte. Letzterer hat zu diesem Werk einiges an Dampf abzulassen – See you in hell, Pachelbel – gesteht ihm aber gleichzeitig zu, die Populärmusik nachhaltig beeinflusst zu haben.
Na schön, dann hat er eben die harmonische Grundlage für die russische Nationalhymne und jeden zweiten Popsong geliefert. Aber was hat er sonst Relevantes geschaffen? Sogar die zum Kanon zugehörige Gigue ist nur den wenigsten bekannt, was aber ob ihrer Kürze wenig verblüfft. Ein kleiner Rechercheausflug quer durchs Internet wird mir Gewissheit verschaffen, dass es dieser Mann niemals übers Mittelmaß hinausgebracht hat und sein einziges bekanntes Werk weithin verhasst ist. Pustekuchen: IMSLP listet knapp 300 Werke auf, andernorts steht, er sei zu Lebzeiten ein wichtiger Komponist für Orgel- und Cembalomusik gewesen. Da geht sie hin, meine Genugtuung. Ihr fragt, wieso ich als Geiger überhaupt so einen Groll gegen Pachelbel hege? Nun, ich hatte vor vielen Jahren mit diesem Kanon eine Mugge auf einer Hochzeit. Hat die Braut vor Rührung geweint, als wir spielten? Möglicherweise. Habe ich vor Entsetzen geweint, als ich nach dem Gottesdienst meinen Umschlag öffnete und eine mehr als lausige Gage vorfand? Eventuell. Ist das ein legitimer Grund für eine tiefgreifende Aversion gegen den Mann, der diesen unliebsamen Ohrwurm zu verantworten hat? Ich bin mir auf einmal nicht mehr so sicher. Auch wenn man sich bei Spotify zunächst durch abertausende Aufnahmen des Kanons klicken muss (unter anderem eine als „Sanctus“ getarnte Version des englischen Knabenchors Libera – der Beweis, dass es noch schlimmer geht als das Original) stößt man dann irgendwann auf andere Werke. Jedoch sind kaum namhafte Labels oder Interpreten vertreten, also sind seine weiteren Kompositionen tatsächlich unbeliebt oder unbekannt. Da hätte ich meine Genugtuung zumindest teilweise wieder. Doch plötzlich erfüllt mich diese Tatsache nicht mehr mit diebischer Freude – ich finde die Musik nämlich gar nicht verkehrt. Besonders gut gefällt mir das Debütalbum des Ungarn Martón Bórsanyi, auf dem er sich als Organist wie als Cembalist beweist und jedem Stück einen eigenen Charakter einzuflößen vermag.
Hat sich meine Meinung zu Pachelbel geändert? Vielleicht ein wenig. Werde ich in Zukunft mehr Pachelbel hören? Vermutlich nicht. Habe ich euch mit diesem Artikel unterhalten oder gar euren Horizont erweitert? Hoffentlich. Ist das hier überhaupt Journalismus? Man weiß es nicht. Habe ich nun endlich wirklich Semesterferien oder habe ich noch irgendeine Deadline übersehen…?