Sadistischer Zeitvertreib

Gelangweilt vom Leben: Marquise Merteuil (Allison Cook) und Vicomte Valmont (Christian Bowers). Fotos: Theater Dortmund Premiere 18.04.2019 Quartett Oper in dreizehn Szenen von Luca Francesconi Libretto vom Komponisten nach dem gleichnamigen Theaterstück von Heiner Müller Frei nach Les liaisons dangereuses von Pierre-Ambroise-François de Laclos. In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln Musikalische Leitung: Philipp Armbruster Regie: Ingo Kerkhof Bühne: Anne Neuser Kostüme: Inge Medert Institute for Research and Coordination in Acoustics/Music: IRCAM IRCAM Computer Music Design: Serge Lemouton IRCAM Computer Music Production: Benoit Meudic IRCAM Sound Engineers: Sébastien Naves, Luca Bagnoli Recording, editing and mixing of the choir and orchestra at La Scala: Julien Aléonard Tonabteilung Oper Dortmund: Friederike Peßler (Leitung), Günther Holtmann, Dominik Rosenthal, Olaf Krüger, Cord Hanken, Komay Alshoufi, Nils Hildebrand, Manuel Sperber Licht: Ralph Jürgens Dramaturgie: Laura Knoll Besetzung Marquise Merteuil: Allison Cook Vicomte Valmont: Christian Bowers
Gelangweilt vom Leben: Marquise Merteuil (Allison Cook) und Vicomte Valmont (Christian Bowers). Foto: Theater Dortmund, © Thomas Jauk, Stage Picture

Schon der Beginn ist ungewöhnlich für einen Opernabend. Der Dirigent steht bereits vor dem Orchester, der Applaus verklungen, aber man hört: nichts. Außer dem Rauschen der Bühnenanlagen, das immer vorhanden ist. Ein wie zum Umzug mit weißem Laken verkleideter Sessel, etwa 2 Meter davon entfernt Gläser und Schnapsflaschen auf dem Boden, rechts daneben ein kahler Baumstamm, von oben hängen ein paar Trauerweide-Äste herunter. Das alles mindestens eine Minute lang. Dennoch liegt eine Spannung in der Luft. Weitere Minuten verstreichen, bis überhaupt ein gesungener Ton zu hören ist. Keine Ouvertüre. Gleich rein ins Geschehen, bei dem nur zwei Hauptfiguren und zwei Statistinnen zugange sind. Marquise Merteuil (gesungen von Allison Cook) und Vicomte Valmont (verkörpert von Christian Bowers) waren mal ein Paar. Sie schwört, dass er sie nie wieder verführen könne, ihre Leidenschaft sei erloschen. Dabei räkelt sie sich auf dem Sessel, als ob dies genau nicht der Fall wäre. Gelangweilt vom Leben, in dem sie als Mitglied des Hochadels nichts zu tun haben, denkt man sich immer perfideren „Zeitvertreib“ aus, die Zeit ist nämlich ihr größter Feind, weil es für sie zu viel davon gibt. Im 21. Jahrhundert eine nahezu phantastische Vorstellung, zu viel, statt zu wenig Zeit zu haben.

Drei Zeitebenen für die Oper “Quartett”

Der Komponist Luca Francesconi hat Heiner Müllers gleichnamiges Theaterstück „Quartett“ vertont, Heiner Müller selbst hatte als Vorlage den Briefroman „Les Liasons dangereuses“ von Pierre-Ambroise-Francois Choderlos de Laclos aus dem 18. Jahrhundert als Vorlage genommen. Der Theaterautor Heiner Müller, der zur NS-Zeit aufgewachsen und in der DDR gelebt hatte, will damit keine historischen Stoffe nacherzählen. In seinen Texten sollen avantgardistische Kunstpraxis und marxistisch geprägte Theorie aufeinander treffen. Die Handlung spielt parallel in einem Salon vor der Französischen Revolution und in in einem Bunker nach dem fiktiven dritten Weltkrieg. Eingeengt in einen Raum, sind die Anwesenden aufeinander angewiesen, sich gegenseitig ausgeliefert. Der Autor des Briefromans des 18. Jahrhunderts, Laclos, übt Kritik an der Gesellschaft, die Müller und auch der Komponist Francesconi aufnimmt. Wann und wo aber die marxistische Theorie sowie der Aufruf zur „Sprengung des Systems“ in der Oper „Quartett“ sein sollen, wie im Programmheft behauptet, bleibt während des ganzen Abends offen.

Sexuelle Gewalt als sadistischer Zeitvertreib

Was in Opern von Giuseppe Verdi oder Rossini hinter schönen Gesten oder langen, melodienreichen Liebesarien versteckt wird, tritt in „Quartett“ ungeschönt, nüchtern, deutlich und mit aller Brutalität zutage: wie sexuelle Machtausübung wirklich aussieht, dass dies sexuelle Gewalt ist. Aus Langeweile und Lebens-Überdruss verführt Valmont die Präsidentengattin Madame de Tourvel, beide Valmont und die Marquise wechseln dabei die Rollen zwischen dem Verführer /Sexualstraftäter und dem Opfer.

Ein perfides Spiel, das im zweiten Rollentausch – insgesamt gibt es in „Quartett“ drei davon – eine Steigerung erfährt. Denn „die Bestialität unserer Konversation langweilt mich.“ Also muss für die Marquise eine noch größere Untat her. Beide Figuren haben sämtliches Unrechtsbewusstsein verloren. Die Marquise de Merteuil „bietet“ Valmont ihre Nichte und Klosterschülerin Cécile de Volanges an, als ob diese eine Ware wäre. Menschenhandel und Zwangsprostitution sind dabei die Hintergrundthemen, die auch im 21. Jahrhundert eine Rolle spielen.

Die Marquise als Cécile auf der Schaukel (Allison Cook) und Vicomte Valmont (Christian Bowers). Foto: Theater Dortmund.
Die Marquise als Cécile auf der Schaukel (Allison Cook) und Vicomte Valmont (Christian Bowers). Foto: Theater Dortmund, © Thomas Jauk, Stage Picture

 

Dabei sind nur die Täterin und der Täter auf der Bühne, durch wechselnde Verkleidung wird der Zuschauerin aber immer klar, wer gerade wen spielt. Dazwischen müssen auch die Dienerinnen als Sex- und Begierdeobjekte herhalten. Nicht nur zur Umarmung gezwungen, was dann mit einer lustig klingenden schönen Arie bei Verdi als Nettigkeit abgetan werden würde. Die Dienerinnen müssen sich devot auf den Boden legen, die Marquise setzt sich auf sie. Sex als Machtausübung statt Sex als Teil von Liebe und echter erfüllter Lust. Letzteres würde in diesem perfiden Spiel nur stören. Die Machtspiele zwischen Valmont und der Marquise sind endlos, ein ewiges Hin und Her, in dem es letztendlich keine-/n Sieger-/in gibt. Diese Gewalt ist unerträglich, auch wenn sie auf der Bühne nur gespielt ist. Allerdings ist sie sehr real und wird, vor allem von Frauen, jeden Tag als solche erlebt. Denn sexuelle Gewalt tritt nicht immer so deutlich und laut zutage wie ein Verkehrsunfall mit verbeulten Kotflügeln oder blutenden Wunden. Sexuelle Gewalt geschieht im Alltag wie in der Oper „Quartett“ meist leise, fast beiläufig, wenn Valmont der Klosterschülerin Cécile, gespielt von der Marquise, ganz zufällig um die Taille, dann unter den großen, wallenden Rock greift. Als Opfer, unwissend über den eigenen Körper und ihre eigene Sexualität, ist Cécile viel zu unsicher und verschämt, um zu widersprechen. Man sieht keine nackten Leiber, was auch nicht nötig ist, um klar zu machen, dass hier jemand sexuell misshandelt wird. Mit schönen Worten, dass er ihr zeigen wolle, wo Gott wohne, beschwört er die junge Frau, die nicht weiß, was und warum mit ihr und ihrem Körper geschieht.

Ein italienischer Komponist mit einer Anti-Oper

Musikalisch wird die Grausamkeit der Handlungen durch nicht-melodische, unterbrochene Linien und große Intervallsprünge ausgedrückt. Im Gegensatz zu Verdi kann man hier kein Stückchen der Oper nachpfeifen. Das Ächzen und Stöhnen der Figuren, ob von den Tätern oder den Opfern, weniger aus Lust, denn aus Qual, wird aus den Lautsprechern, die auch im ZuschauerInnenraum verteilt sind, gesendet. Geräusche werden verzerrt, es kracht und piept, hässliche Klänge sind es, die das Bühnengeschehen als das kennzeichnen, was es ist: eine Gesellschaft, in der gelangweilte Menschen Straftaten des sexuellen Missbrauchs verüben und sadistisch sind.

Gewalt auch gegen die/den Partner-/in: Die Marquise Merteuil und Vicomte Valmont. Foto: Theater Dortmund.
Gewalt auch gegen den Partner-/in: Die Marquise Merteuil und Vicomte Valmont. Foto: Theater Dortmund, © Thomas Jauk, Stage Picture

 

Warum hat der italienische Komponist Luca Francesconi seine Oper „Quartett“ in englischer Sprache geschrieben? Francesconi sagt dazu im Interview, dass es schwierig sei, italienische Dramaturgen zu finden. Er hätte zunächst mit dem Genius Heiner Müller zu tun gehabt, auf Deutsch konnte er die Oper nicht vertonen. Englisch würde man fast überall auf der Welt verstehen. Allein daran, dass die italienische Sprache mit ihrem als schön geltenden Klang nicht für ernste Stoffe geeignet sei, kann es nicht liegen. Die italienische Oper existiert eben nicht nur im 18. und 19. Jahrhundert.

Die Zitate von Bertolt Brecht, Georg Büchner und anderen, die zeitweise eingeblendet werden, sind nicht immer verständlich; zu dicht ist das Bühnengeschehen, zu laut die Musik und manchmal wird ein Zitat auch von einem Sänger verdeckt – das überfordert die/den Zuschauer-/in. Die Widersprüchlichkeit, zu leben und gleichzeitig aber gelangweilt davon zu sein, wird auch im Verhältnis zwischen Wort und Musik deutlich. Obwohl sonst immer der Sieger und potente Mann, singt Valmont davon, wie sehr ihm der Rollentausch zur Frau gefalle; dazu erklingen aber schiefe Melodien und pfeifende Töne. Glaubwürdig ist seine Aussage so nicht. Im Sinne der Operntradition von Verdi und Wagner eine Anti-Oper, denn hier werden keine fernen, mystischen Welten aufgefahren, in denen die Kraft der Liebe und das vermeintlich Schöne siegt. „Quartett“ spielt in der Gegenwart und zeigt eine Gesellschaft, die sexuelle Gewalt, nicht immer, aber meist an Frauen verübt, immer noch duldet. Auch die im Jahr 2017 verschärfte Regelung im deutschen Strafgesetzbuch schützt Opfer sexueller Gewalt nicht vollständig. Diese Straftaten sind ebenfalls nicht von der Verjährung ausgenommen. Eine rein moralische Verurteilung der Gesellschaft ist „Quartett“ aber auch nicht: es ist eine zeitgenössische Oper, ein Stück Kunst, das es sich in der Inszenierung des Opernhauses Dortmund anzusehen lohnt. Allerdings sollte man angesichts dieses harten Stoffs vorher nicht schlecht gelaunt oder gar geschieden sein.

QUARTETT Oper von Luca Francesconi am Opernhaus Dortmund. Weitere Termine: 27.04.2019, 19.30 Uhr, 05.05.2019, 18 Uhr, 11.05.2019, 19.30 Uhr, 17.05.2019, 19.30 Uhr. www.theaterdo.de

Tags in diesem Beitrag

Beitrag jetzt teilen