Einen Euro und ein Fünf-Cent-Stück einwerfen, kurbeln, und der Automat spuckt einem den plattgedrückten Fünfer wieder aus. Habe ich natürlich gleich gemacht.Diese Souvenirmünzprägemaschinen finden sich ja meistens an Orten mit touristischen Sehenswüdigkeiten, zum Beispiel in Museen, Freizeitparks, Zoos oder auf Bergen. Misst man den Prägeautomaten einen symbolischen Wert zu, dann stehen sie eher nicht für Innovation und Modernität. Hat man anschließend aber unter dem künstlichen Sternenhimmel Platz genommen, erwartet einen der modernste Sternenprojektor der Welt, der Zeiss Universarium IX und das 3D-Sound-System „SpatialSoundWave“, vom Ilmenauer Fraunhofer-Institut für digitale Medientechnologie IDMT entwickelt. Zeitgemäßer geht gar nicht.
Auch die Dunkelheit in der Kuppel des Vorführungssaals ist an diesem ersten Sonntagabend des Julis ein Kontrast zum grellen Sommertag. Im Planetarium Bochum gibt es heute keine Wissensreise durch die Weiten des Alls. Heute läuft die Musikshow “Nordland – Edvard Grieg unterm Sternenhimmel”. Und dazu geht die Sonne gleich noch mal auf am Horizont der Kuppel. Zu den tanzenden Sonnentrahlen, die sich über den ganzen Himmel bewegen, erklingt Det første Møte (The First Meeting), der zweite Satz aus dem Steichorchesterwerk To Melodier for Strykeorkester etter egne Sanger (Two Melodies for String Orchestra after Original Songs). Grieg hat in diesem Satz ein Lied für Klavier und Singstimme verarbeitet, das er auf Grundlage eines Gedichts des norwegischen Erzählers Bjørnstjerne Bjørnson komponiert hatte. Eine Musik, die man sich romantischer nicht vorstellen könnte. Die weiche Geigenmelodie untermalt jetzt einen Blick auf die sich drehende Weltkugel. Die Nordlichter, Bergmassive, Seen und Wälder Norwegens werden auch auf Fotos sichtbar, die in einer Slide-Show über den Himmel fliegen. Lange Zeit zum Verweilen bleibt nicht, bald befinde ich mich schon in den Tiefen des Weltraums und sehe Galaxien aus nächster Nähe.
Die Musik besteht zum überwiegenden Teil aus Griegs Schauspielmusik „Peer Gynt“ (1876), zu der unter anderem die bekannten Stücke „Morgenstimmung“ und „In der Halle des Bergkönigs“ gehören. In vielen Kompositionen Griegs lassen sich Rückgriffe auf norwegische Volksmusiken ausmachen. Er verbindet die Heimatmusik mit der Kunstmusik seiner Zeit, weswegen sein Name seit jeher für das Bestreben nach einer eigenen kulturellen Identität Norwegens steht. Eine Vorliebe für plagale Wendungen – die Kadenz schließt dabei auf der Subdominante, der Schluss hat eine mildere Wirkung – lassen sich auf diese Weise erklären. Diese kommen in skandinavischer Volksmusik vor, in der europäischen Musik der Romantik bis dahin hingegen selten. Wenn Grieg in seiner Musik auf norwegisch-volkstümliche Weisen zurückgreift – und das betrifft auch die entlehnten Melodien – so geschieht das nicht immer ohne sarkastische Zuspitzung. In Bezug auf die Musik der Szene „In der Halle des Bergkönigs“ soll er einmal gesagt haben: „…wie es sich an Kuhfladen, Norwegentumelei und Selbstgenugtuung klammert. Ich gehe aber davon aus, dass die Ironie herüberkommt.“ (1874)
Die Sitze im Planetarium sind wirklich bequem, da haut einen so schnell nichts vom Hocker. Die Klangqualität und die Musik an sich – vor allem Griegs impressionistisch anmutende Harmonik und sein Sinn für rührende Melodien – bringen den Stuhl dann doch zum Wackeln. Der Fokus auf großbesetzter Instrumentalmusik Griegs in der Auswahl der Stücke ist nachvollziehbar. Die spektakulären Bilder von bunten Nebeln und Sternhaufen fordern ja geradezu eine musikalische Untermalung.
Grieg ist unbestritten ein wichtiger Vertreter programmatisch konzipierter Musik, vor allem im Bereich der landestypischen Dichtung. Auch war die Schönheit des Landes sicher Inspirationsquelle für ihn. Zugegeben, ein Flug durch die imposanten Ringe des Saturns spiegelt nicht die inhaltliche Tragweite wieder, die in dem Lied der Gedichtfigur Solvejgs zum Ausdruck kommt. Solvejg gibt der Geschichte „Peer Gynts“ nämlich die entscheidende Wendung, indem sie ihren geliebten Peer rettet. Aber vielleicht muss das an diesem Abend auch gar nicht der Fall sein. Norwegische Landschaften und Edvard Grieg – das passt einfach. Führt einen der Sternenhimmel zu weit in die Unendlichkeit hinaus, packt einen im Zweifel immer noch die Musik, die für sich selbst sprechen kann. Es sei denn, man empfindet den Zusammenhang von bunten Weltraumbildern und Edvard Grieg als zu verkitscht. Aber dazu war mir an diesem Abend gar nicht zumute. Die etwa einstündige Vorstellung war genau das richtige am Ende dieses warmen Tages. Außerdem hatte ich mein geprägtes Cent-Stück in der Tasche – ein versöhnlicher Grieg der Sterne.
Fotocredits:
Stadt Bochum, Referat für Kommunikation
Wikipedia / Karl Anderson / CC BY-SA 3.0