Weird and wonderful – Picassos Bankett im Museum Folkwang

Ein Bankett im Museum? Kostümierte Gäste, die sich bei einem Glas Wein über Kunst austauschen und dann selber anfangen zu malen? Der Donnerstagabend im Museum Folkwang stand im Zeichen naiver Kunst um Picasso. Von ausgelassener Bohème war nicht ganz so viel zu merken.

Von Franziska Kloos, Jessica Trocha und Thilo Braun

Diner

Montmartre 1908. Man lebt Kunst, sie ist überall. Die Bohème erobert die Straßen, hält Einzug in die Kneipen und ins Vergnügungsviertel Pigalle. Weg von institutioneller Starre soll die Kunst ihren Platz im Leben finden. Echt sein.

Passend zur Ausstellung „Im Schatten der Avantgarde“ erinnerte das Museum Folkwang an diesen verrückten Abend und an Rousseau, den Naiven Künstler. So gab es in der Ausstellung Kunstvermittler, die weniger erklären, dafür mehr zum Dialog über die Kunst anstiften wollten.

Pablo Picasso kauft ein Bild des Autodidakten Henri Rousseau, man nennt ihn „Le Douanier“, weil er keine Akademie, sondern die Ausbildung eines Zollbeamten durchlaufen hat. Picasso ist amüsiert – und fasziniert von der Direktheit seiner Malerei.

Henri Rousseau – der naive Künstler

 

Picasso kaufte Rousseaus "Portrait de femme" 1907.
Picasso kaufte “Portrait de femme” 1907, nur wenige Monate vor dem Bankett.

Die Bilder beeindrucken Picasso so sehr, dass er Le Douanier zu Ehren ein improvisiertes Bankett im „Bateau-Lavoir“ gibt. Was als Witz gemeint war, endet in einem sagenumwobenen Abend, – man munkelt, eine gewisse Coco sei angeheitert in die Obstkuchen gefallen, um anschließend in freudiger Umarmung Sahne an die übrigen Gäste weiter zu verteilen – der weitreichende Folgen für die Kunst der Moderne haben wird. Die Avantgarde ist im Begriff, Naive Kunst für sich zu entdecken.

Als Hommage an Picassos verrückten Abend lädt das Museum Folkwang Studierende zum Bankett ein. Es bleibt nicht beim gewöhnlichen Museumsbesuch: Wir dürfen verweilen, essen, Musik hören, über Kunst sprechen, selber malen. Wer im Kostüm erscheint, zahlt keinen Eintritt. Ein schönes Konzept!

Wie „weird and wonderful“ kann ein Abend im Museum werden? Kostüme helfen, in die Rollen der Gäste Picassos zu schlüpfen. Ein so abgedrehtes Chaos wie im Künstlerhaus Bateau-Lavoir 1908 kann man sich in so einer respektablen Institution dennoch nicht richtig vorstellen. Vielleicht ist das auch im Sinne des bei Hochkulturveranstaltungen üblichen etwas reiferen Publikums.

Alles ist rührend sorgfältig vorbereitet. Ein Thron für den Ehrengast steht exponiert, darüber ein Banner: „Vive Rousseau“. Über die Tafel rollt sich ein Tischläufer in den Farben der Trikolore. Ein graues Eiffelturm-Wandtattoo gibt sich Mühe, die nüchtern-weiße Wand zu beleben. LED-Teelichter anstelle von Kerzen flackern nicht stimmungsvoll, aber immerhin hell. So viel Mühe dahinter steckt: Es wirkt etwas spießig, lässt den Charme von Montmartre vermissen.

Picassos spontane Abendplanung übersah 1908 eine für ein Bankett nicht ganz unwesentliche Zutat: das Essen. Es war bestellt, doch es kam tatsächlich erst am Mittag des nächsten Tages an. Fernande Olivier erinnert sich:

„Man raffte alles zusammen, was man bei den Zuckerbäckern und den Wirtschaften des Cartiers finden konnte, während die Eingeladenen wieder in die Bar zurückgekehrt waren und unter den anfeuernden Klängen des mechanischen Klaviers weitere Apéritifs genossen.“

Das Folkwang Museum ist im Vergleich dazu bestens vorbereitet. Mitarbeiter des Museums servieren, sehr französisch: Quiche, Käse, Baguette, Trauben, zum Nachtisch blaue, weiße und rosa Macarons.

Zur Feier des Tages wird ein Toast auf Rousseau ausgesprochen, mit den Worten des Dichters Apollinaire:

„Wir alle rufen im Chor: Hoch lebe Rousseau, ruhmreicher Maler der mächtigen Republik! Dein Name wurde zum Symbol der Freien, der Unabhängigen…“

Zum Essen trägt uns Carolin Wirth ebenso witzige wie widersprüchliche Erinnerungen an Picassos Bankett vor. Über Rousseau, dem beim Geigespielen das Wachs auf den Kopf tropft, zum Beispiel.

Sehr unterhaltsam ist auch das Liederprogramm von Kurt Weill bis Francis Poulenc. Mezzosopranistin Almerija Delic gestaltet es dramatisch und gestenreich, man hört und sieht jeden Affekt.

So lebendig und ausdrucksstark Almerija Delic und Sin-Ae Jeong am Klavier auch musizieren, der Charakter bleibt konventionell, wie im Konzert. Wir sitzen still und hören zu, schauen zur Bühne und klatschen am Ende. So richtig ausgelassen wird es nicht. Zumindest die Malwände werden im Laufe des Abends aber immer bunter. Was als Dschungelgestrüpp anfängt, wächst sich zu einem brüllenden Löwen aus, zu expressiven Farbstudien und Portraits.

Wir erleben einen drastisch erweiterten Museumsbesuch, der von der Vielfalt und Zusammenstellung seiner Elemente lebt. Eine Lesung mit Musik, ein Bankett und eine partizipative Malaktion werden geboten. Das ist ungewöhnlich und auch ein bisschen verrückt.

In der Umsetzung ist es daher besonders schade, dass der Abend so durchgeplant abläuft. Impulsartiger, kürzer könnte das Programm sein – und dadurch mehr Freiraum zum Malen und Debattieren lassen. Die Idee, die Künste im Museum aufeinander treffen zu lassen, ist jedenfalls inspirierend. Und wer weiß, vielleicht findet sie Nachahmer.

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