Samstagabend, 20 Uhr im Klanghaus in Klein Jasedow, einem Hundert-Seelen-Dorf ganz im Osten von Mecklenburg-Vorpommern vor der Insel Usedom. Das Klanghaus der European Academy of Healing Arts (EAHA) ist hell erleuchtet, diverse, zum Teil glänzende Instrumente auf der Bühne warten darauf gespielt zu werden, während sich die Stuhlreihen langsam füllen. Denn heute spielt hier das Akvariet Trio, ein Jazztrio, bestehend aus der Pianistin Rieko Okuda, dem Kontrabassisten Antti Virtaranta und dem Schlagzeuger Wieland Möller. Die drei Musiker spielen seit 2015 in dieser Formation und sind weltweit mit ihrer Musik, die ihre Wurzeln im Jazz und der freien Improvisation hat, unterwegs. Für solch eine Improvisation wird dann der Flötist Klaus Holsten, Mitbegründer der EAHA, am heutigen Abend zu dem Trio dazustoßen.
Klaus Holsten spricht ein paar Begrüßungsworte, dann eröffnen die drei Musiker den ersten Teil des Abends mit zwei ihrer Kompositionen von ihrer neuen CD „Orakel“ – „Nadelöhr“ und „Toteninsel“.
Rieko Okuda beginnt mit ganz feinen, leichten Klavier-Klängen, die sie durch das Gedrückt-Halten des Forte-Pedals ausklingen und verschwimmen lässt. Schlagzeug und Kontrabass setzen in diesen feinen Klang ein, Wieland Möller streicht mit seinen Besen ganz leicht und liebevoll über die Snare-Drum und auch Antti Virtaranta entlockt seinem tiefen Instrument sanfte Töne.
Überhaupt scheint die Experimentierfreudigkeit der jungen Musiker während des ganzen anderthalbstündigen Konzerts kein Ende zu kennen. Da werden dem Kontrabass an allen erdenklichen Stellen Töne und Geräusche entlockt, durch Streichen auf dem Korpus, auf dem Saitenhalter, „sul ponticello“, also fast auf dem Steg – der Bogen hüpft mit der Holzseite auf den Saiten oder die Finger trommeln sanft auf den Korpus, was wie das Aufprallen von schweren Regentropfen klingt. Oder Wieland Möller mit seinem riesigen Instrumentarium, entwickelt eine so große Geräusch- und Klang-Palette, dass man sich gar nicht sattsehen und satthören kann. Er streicht zum Beispiel mit einem Bogen die Becken, verschiedene Gongs oder das Waterphone an, was gespenstische, schillernde Klänge zum Vorschein bringt. Oder er trommelt mit den Händen oder Essstäbchen auf seiner Snare-Drum und reibt zwischendurch seine Hände rhythmisch aneinander. Wie ein großes Wimmelbild haben mir als Zuhörerin und zugleich Zuschauerin diese Klangexperimente großen Genuss bereitet.
Begleitet hat mich während des Konzerts immer die Frage: Ist das jetzt Chaos oder gibt es darunter eine tieferliegende Ordnung, die ich nur nicht hören kann? Oft ergaben sich aus den Klangexperimenten Wiederholungen und daraus Muster. So ein vom Klavier gespieltes Muster konnte zum Beispiel dem Schlagzeuger den Boden für eine wilde Improvisation liefern. Mitunter verfiel Wieland Möller in wilde, sich wiederholende Phrasen und auch Antti Virtaranta spielte dazu seine eigenen Muster. Chaos? Ich hätte keinen gemeinsamen, zugrundeliegenden Beat oder Puls ausmachen können und doch hatte ich das Gefühl, dass es auch in diesem Chaos eine feine Ordnung gab. So etwas wie geordnetes Chaos vielleicht. Dann trafen sich die Musiker immer wieder über Blickkontakt zu klar geordneten Phasen oder Übergängen.
Nach der kristallinen Musik der Komposition bat uns Klaus Holsten, ihm und dem Akvariet Trio unsere Ohren für die flüssige Musik der freien Improvisation zu schenken. Die Querflöte beginnt mit flimmernden Tönen, die Wieland Möller mit einer Klangröhre aufnimmt und imitiert. Der Beginn der Improvisation spielt vor allem mit dem Geräuschhaften, dann entstehen auch hier kleine Muster und Dialoge entspinnen sich. Auch in diesem Setting kennt die Experimentierfreude der Musiker keine Grenzen. Außer der bekannten Quer- und der kleinen Piccoloflöte lässt Klaus Holsten noch eine Bass- und eine Subkontrabassflöte erklingen und zwar nicht nur auf die uns vertraute Weise, sondern Klappen- und Luftgeräusche werden zu rhythmischen Aktionen, sodass bald die ganze Band eine Stell- und Klapp-Musik spielt.
Auch der Witz kommt nicht zu kurz: Klaus Holsten setzt seine Querflöte an, sodass die Zuhörer den vertrauten Flötenton erwarten, doch stattdessen singt er auf die Flöte. Eine slapstickartige Situation.
Bei einer Improvisation stellt sich die Frage: Wann ist das Ende da? Auf ganz natürliche Weise hat sich irgendwann die Musik dahin entwickelt, dass klar ist: Jetzt geht sie zu Ende.
Genauso merke ich, dass dieser Artikel jetzt zu Ende ist.