Grell, ohrenbetäubend und mitten ins Gesicht. Das „A“ Trio und das audiovisuelle Projekt „Wormholes“ verlangen den Besuchern alles ab und die Ruhrtriennale zeigt sich von ihrer extremen Seite. Erst ein Trio, das seinen Instrumenten die allerschrägsten Klänge entlockt und sich stark an Dada und Fluxus bedient, danach eine düstere Kunstperformance, mit noch düsteren Klangcollagen untermalt.
Es fällt mir schwer über die Veranstaltung zu schreiben, die für mich – auf positive Art und Weise – vielmehr einer Ganzkörpererfahrung glich.
Der Veranstaltungssaal im Maschinenhaus der Zeche Carl erinnert an einen abgestandenen Lagerraum. Die Wände ziegelstein-rotbraun, der Boden staubgrau. Eine große weiße Leinwand wirkt hier fehl am Platz, für Wormholes ist sie als Projektionsfläche aber unabdingbar.
Bevor allerdings das Papier und die Farbe zu Protagonisten werden, sind beim „A“ Trio Trompete, Kontrabass und Akustikgitarre gefragt.
Besonders vertrauenswürdig sieht der Bühnenaufbau nicht aus. Der Kontrabass von Raed Yassin lehnt halbherzig auf einem Stuhl, Sharif Sehnaouis Akustikgitarre rutscht beinahe vom Gitarrenkoffer. Dort, wo Mazen Kerbajs Trompete steht: Eine kuriose Sammlung aus Haushaltsgeräten und Alltagsgegenständen. Die Musiker tragen Jeans und einfarbige T-Shirts, das legere Outfit passt zur gleich folgenden Musik, die sich nicht gerne in Schubladen stecken lässt.
Der erste Ton auf der präparierten Trompete klingt nicht nach Trompete, sondern quäkend und schief – liegt wahrscheinlich an dem Gummischlauch und dem Saxophonmundstück auf dem Trompetenhals. Bass und Gitarre setzen ein und die nächsten 40 Minuten sind pures Chaos. An allen Ecken pocht, klappert und rauscht es. Zusammenhänge sind nicht zu erkennen und eine Thematik hinter der Musik lässt sich nicht ausmachen.
Die Vergleiche, die mir beim Hören in den Kopf schießen, lassen ebenso wenig eine Struktur erkennen: Ich sitze beim Zahnarzt. Dieser bohrt mir im Mund herum, während sich parallel dazu ein Klempner mit einem Akkuschrauber in der Wand verewigt…hatte ich schon das Rumpeln der Waschmaschinen erwähnt, das gleichzeitig in meinem Kopf dröhnt?
Die immense Soundkulisse ist kaum auszuhalten, aber trotzdem große Kunst. Vor allem ist erstaunlich, welche Klanggewalt drei präparierte Instrumente entwickeln können! Es ist überwältigend zu sehen, wie das Trio seine Instrumente missbraucht und liebkost. Eine klassische Keksdose wird als Urheber der wahnwitzigsten Geräusche zweckentfremdet. Am Steg des Kontrabasses dreht sich eine Kurbelkonstruktion, während gleichzeitig drei Klangschalen auf dem Instrument liegen. Der Herr links neben mir nickt ernst mit dem Kopf, die Dame rechts von mir muss kurz auflachen. In meinem Gehirn herrscht Kurzschluss, denn es passiert zu viel gleichzeitig. Meine Kopfschmerzen von heute Morgen sind mittlerweile zurück und ich fange an zu schwitzen. Die drei Musiker versinken vollständig in ihrer Musik, haben die Augen geschlossen.
Plötzlich Stille. Pause.
Zweite Runde. Diesmal sind nicht nur die Ohren, sondern auch die Augen gefordert. Mazen Kerbaj kann nicht nur wundervoll schräg Trompete spielen, sondern ist auch als Maler und Comiczeichner bekannt. Für „Wormholes“ setzt er sich deshalb an einen Tisch, der so präpariert ist, dass das Gezeichnete direkt per Beamer auf eine große Leinwand geworfen werden kann. Links und rechts im Raum sitzen Tony Elieh am E-Bass und Sharif Sehnaoui an der E-Gitarre und hauchen den abstrakten Bildern musikalisches Leben ein.
Zunächst wirkt die Performance ein wenig unbeholfen – Kerbaj lässt durchlöcherte schwarze Folien unter den Schein der Projektorlampe gleiten. Zu sehen ist bis auf ein Schwarzbild mit vereinzelten weißen Punkten zunächst nichts. Währenddessen steigert sich die Musik im Hintergrund. Die beiden Saiteninstrumente erschaffen ein pulsierendes Dröhnen, das sich tief ins Trommelfell hinein vibriert. Ich ahne schon, dass gleich keine heile Welt mit bunten Bildern präsentiert werden soll. Stattdessen gibt es nur Schwarz und Weiß, dazwischen Graustufen. Kerbaj erzeugt sie mit Sprühflaschen, in denen sich Wasser oder schwarze Farbe befindet.
Die Flächen auf der Leinwand verändern sich organisch. Farbtropfen platzen auf und fließen wieder zusammen, werden zu groben Körnern, dann wieder zu filigranem Niesel. Sie könnten Blumen oder Zellen darstellen, die erblühen und wieder vergehen. Vielmehr sind es aber Bomben und entstellte Gesichter, wie der Beiruter Musiker seinem Publikum mit fortschreitender Zeit schmerzlich bewusst macht. Immer wieder blitzen Gesichter – zwei Punkte und ein Strich reichen aus – in dem Graustufenmeer auf. Sie zerfließen und vergehen im Schwarz, bis Kerbaj sie mit Pinseln erneut zum Leben erweckt. Es geht Schlag auf Schlag, Strich auf Strich. Die Musik ist nicht mehr im Hintergrund, sondern ist längst Teil der Bilder geworden. Diese werden immer intensiver, die Motive wechseln schneller. Die Kunst wird explizit, als Kerbaj das Wort „wir“ in den schwarzen Sumpf ritzt und danach Farbklecksbomben auf Schablonen von verzerrten Gesichtern prasseln lässt. Die Performance ist wie ein Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Es gibt keine Zeit mehr, auch der Raum um einen herum rückt in den Hintergrund. Eine dröhnende Apathie, die sich dann auflöst als plötzlich die Worte „Wir sind die Toten von morgen“ auf der Leinwand erscheinen. Die Musik verstummt, das Klatschen brandet auf. Fühlt sich fast ein bisschen wie Erlösung an.
Fotocredits:
Alle verwendeten Bilder, inklusive Beitrags-und Hintergrundbild von Sabrina Richmann
Ruhrtriennale 2018