Bach und Händel – Ein Blick auf zwei außergewöhnliche Komponisten – über die (Geschmacks-)Grenzen hinweg.
Unter Barock-Liebhabern gibt es die fortwährende Frage, welcher der beiden Komponisten, Bach oder Händel, denn eigentlich der bedeutendere sei. Auf der am 24. November beim Label ALPHA-CLASSIC erschienenen CD stehen zwei wesentliche Kompositionen der beiden Musiker nebeneinander: Bachs “Magnificat” und Händels “Dixit Dominus”.
Was beide Kompositionen gemeinsam haben: Sie sind europäisch und erbaulich. Europäisch ist ihr Stil. Und erbaulich sind sie als Vertonungen bedeutender christlicher Gebetstexte.
Das seit 2004 bestehende belgische Vokalensemble Vox Luminis, das vom jungen Franzosen Lionel Meunier geleitet wird, ist bekannt geworden durch Aufnahmen ausgewählter Bach-Kantaten, Stücken von Scarlatti, Scheidt und Schütz. Für ihre unterschiedlichen CD-Einspielungen haben Vox Luminis unter anderem den Preis der Deutschen Schallplattenkritik sowie den Editors Choice des Grammophone Magazins gewonnen.
Für die aktuelle Einspielung hat das Ensemble um Lionel Meunier Johann Sebastian Bachs bekanntes “Magnificat anima mea Dominum“ BWV 243, komponiert 1723, und Georg Friedrich Händels “Dixit Dominus” HWV 232 (1707), eine Vertonung des 110 Psalms, zusammen aufgenommen. Und das, so kann man vermuten, aus einer wohlüberlegten Absicht. Die im selben Jahr geborenen Komponisten entstammen beide der Musikkultur Mitteldeutschlands. Im 18. Jahrhundert konstituierte sich allmählich ein Stil, der auf dem Kontinent so weitreichend war, dass man ihn als europäisch bezeichnen konnte. Bach verwendet im “Magnificat” zum Beispiel eine Ritornell- und Da-Capo-Form, dessen Entstehung auf die frühe italienische Oper zurückzuführen ist. Händel hat sein “Dixit Dominus” während seines drei Jahre dauernden Italienaufenthalts komponiert, zu einer Zeit, in der er von berühmten Musikern wie Corelli und Scarlatti lernen konnte. Dennoch stehen beide Kompositionen – das “Magnificat” und das “Dixit Dominus” – auf einem soliden kontrapunktischen Fundament, das kennzeichnend war für die Musikkultur Mitteldeutschlands.
Das Klangverhältnis der Chor- und Solostimmen zum Orchester ist in dieser Einspielung angenehm ausgewogen. Nur in wenigen Passagen werden die sonst sehr klaren Gesangsstimmen vom Orchester überlagert, wie zum Beispiel im Chor “Omnes Generationes” oder in der Arie “Et Misericorda” des Magnificats. Die Innigkeit der Arien beeindrucken ebenso wie die lebhafte Gestaltung der Chöre. Bei Händel zeigt sich im Besonderen, wie rhythmisch präzise das Ensemble zusammenspielt. Der Chor “Conquassabit Capita” ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür. Die Interpretation Meuniers, und das betrifft Bach und Händel gleichermaßen, fasziniert durch ihre Einfühlsamkeit, die auch in den teilweise freudestrahlend gestalteten Chören nicht verblasst.
Das Magnificat, Marias Lobgesang auf Gottes Heilsplan, der sich in Gestalt Jesu Christi verwirklichen wird, passt inhaltich sehr gut zum Dixit Dominus. Denn auch hier, im 110. Psalm, ist der messianische Gehalt sehr ausgeprägt. Es ist einer der am häufigsten zitierten alttestamentlichen Texte im Neuen Testament. Das Gesamtpaket der Einspielung lenkt den Blick, beziehungsweise das Ohr, ohnehin eher auf Gemeinsamkeiten in Bachs und Händels Schaffen.
Die neu erschienene CD kann also ein Anreiz sein für alle eingefleischten Bach-Liebhaber, sich über ihre (Geschmacks-)Grenzen hinaus auch von Händels Musik bewegen zu lassen. Andersherum gilt das natürlich genauso. Ganz ungeachtet dessen, der beeindruckend klare Klang des Ensembles Vox Luminis ist für sich alleine genommen schon lohnenswert.