Die Häuser stehen eng beieinander, hier im Brückstraßenviertel. Nur der grüne Reinolditurm ragt an diesem kalten Februartag weit in den weißen Himmel. Goldankauf, Spielhalle, Piercingstudio. Straßenmusik und der Geruch von fettigem Essen komplettieren das gewohnte Stadtgefühl. Es kleben so viele Kaugummis auf dem Boden, dass man sich denken könnte, hier müsse jeden Tag eins ausgespuckt werden. Das mag aber nicht der entscheidende Grund sein, wieso man beim Betreten der Einkaufsstraße auf die Videoüberwachung hingewiesen wird. Eigentlich wirkt es hier sehr friedlich. Die Tage, an denen sich in diesem Viertel die Drogen- und Rotlichtszene traf, sind seit den 1990er-Jahren vorbei.
Die grün schimmernde Glasfassade des Konzerthauses passt sich in die Fassadenreihe der Brückstraße tadellos ein. Einzig die moderne Architektur mit den dünnen Pfeilern vorm Eingang und dem vielen Glas hebt das Gebäude von der sonstigen Bebauung ab. Die Ausmaße des Hauses lassen sich von hier aus gar nicht überblicken, es gibt keinen Vorplatz von dem aus das möglich wäre. Früher hat an dieser Stelle das Universum-Kino etwas fürs Auge geboten, heute wirbt das geflügelte Nashorn vor dem Eingang für Hörerlebnisse.
Bier statt Wein
Der Konzertsaal ist nach dem Vorbild des Wiener Musikvereins rechteckig, wofür sich die Bezeichnung Schuhkarton oder Schuhschachtel etabliert hat. Die Schuhkartons haben einen besonders guten Ruf, was die Akustik angeht. Auch in Zeiten, in denen Konzerthäuser gerne mit neuartigen Raumkonzepten ausgestattet werden, wie zum Beispiel die Elbphilharmonie. Dort befindet sich die Bühne in der Mitte und die Ränge steigen ringsherum auf. Man spricht deswegen von der Weinberg-Architektur.
Man könnte meinen, das Konzept des 2002 fertiggestellten Musiksaals in Dortmund basiere auf dem altbewährten Raumprinzip des 19. Jahrhunderts. Im Grunde ist das auch so. Dem Dortmunder Bau liegt aber gleichzeitig ein hochmodernes Klangkonzept zugrunde, das mit Computertechnik genau vorausberechnet wurde. Die gerundeten Gipselemente der Innenwände des Saals mit den gezielt gesetzten Kastenfriesen sorgen für eine Nachhallzeit von zwei Sekunden, die für klassische Musik ideal ist. Ganz unrecht werden sie mit dieser Äußerung nicht haben. Anne-Sophie Mutter wird Gründe dafür haben, das Konzerthaus als einen ihrer Lieblingssäle zu bezeichen – gleich neben der Boston Symphonie Hall. Um eine ruhrgebietstypische Bodenständigkeit zu erhalten, kriegt jeder Musiker nach dem Verlassen der Bühne erst einmal ein Dortmunder Bergmann-Bier in die Hand gedrückt. So bekommen auch MusikerInnen, die in den Konzertsälen der ganzen Welt zuhause sind, keine Sehnsucht nach den Weinbergen.
So sieht nur Dortmund aus!
Das Konzerthaus hat einen Blick hinter die Kulisse gewährt – ganz ohne Musik. Im Jahr 2006 hat sich das Haus den Slogan So klingt nur Dortmund! verpasst. Und so ziert dieser Schriftzug auch den Raum gleich hinter der Konzertsaalbühne. Hier haben sich schon zahlreiche Dirigenten von Weltrang auf ihre Auftritte vorbereitet. Zubin Mehta oder Sir Simon Rattle waren beispielsweise schon hier. Die Liste der weltberühmten Musiker, die bereits im Dortmunder Konzertsaal musiziert haben, ist lang. Noch länger sind nur die Bilder von Gustav Mahler, Igor Strawinsky und Arnold Schönberg im oberen Foyer des Konzerthauses. Der Joseph-Beuys-Schüler Oliver Jordan hat die Porträts eigens für das Konzerthaus angefertigt – auf jeweils imposanten 3 x 8 Metern mit insgesamt mehr als einer Tonne Ölfarbe. Die drei sind hier sozusagen die Hausheiligen. Als Musiker des 20. Jahrhunderts definieren sie auch das Selbstverständnis des Konzerthauses: Das Entdecken neuer Formen im Spielfeld von Tradition und Fortschritt. Ein konkretes Beispiel sind die Zeitinseln, bei denen sich das Publikum durch mehrere Veranstaltungen einem Künstler, einem Komponisten oder einem Genre auf vielfältige Weise annähern kann. Oder die Tatsache, dass das Konzerthaus ein Popmusik-Abonnement anbietet, das es in dieser Form sonst nirgends gibt. Also Popmusik im Konzertsaal mit angestammten Sitzplätzen.
Kommt man am Ende des Rundgangs durch das Konzerthaus wieder im Foyer an, kann man durch die großzügige Glasfassade die Leuchtschriften der abendlichen Brückstraße gut erkennen. Man war ja auch nicht woanders, nur hinter der Glasscheibe. Am Ende bin ich mir gar nicht mehr sicher, auf welcher Seite ich der Realität des Lebens mehr ausgesetzt bin, innen oder außen. Ein Phänomen: Das Dortmunder Konzerthaus immitten der Stadt.
Fotos: © Hanspeter Menzler