Kann die Kombination aus klassischem Big-Band-Sound und orientalischen Klangwelten überzeugen? Dieser Frage sind zwei musikalisch und kulturell unterschiedliche Orchester im Rahmen der 24. Dortmunder Jazztage nachgegangen.
Bei der Begegnung des Jugendjazzorchesters Nordrhein-Westfalen und des Transorient Orchestra prallten am Freitagabend im domicil Dortmund zwei musikalische Welten aufeinander. Mit scheinbarer Leichtigkeit kombinierten beide Bands beschwingten Big-Band-Sound und arabische Volksmelodien, mischten schräge Takt- sowie Tonarten und führten den Klang des persischen Saiteninstruments Santur und der orientalischen Langflöte Ney in den Jazz über. Es ist nicht einfach, ein so komplexes Projekt in kürzester Zeit umzusetzen.
Zwischen den einzelnen Stücken berichtet Stephan Schulze, künstlerischer Leiter des Jugendjazzorchesters, von den ersten Proben in der Landesmusikakademie Heek. Dort galt es innerhalb von fünf Tagen ein abendfüllendes Programm zu erarbeiten. Besonders mit den ungeraden Taktarten, auch odd meter genannt, hatten die Musiker anfangs Schwierigkeiten. Denn gerade in großen Ensembles ist es wichtig, dass jeder Musiker im Takt bleibt– gar nicht so einfach, wenn auf den 9/8- erst ein 7/8- und dann ein 5/8-Takt folgt.
“Ich blickte in angespannte Mienen, die sich erst nach und nach lösten.”(Stephan Schulze)
Die Herausforderung und der hohe Anspruch des Projekts bestanden nicht nur auf der musikalischen Ebene, sondern auch in einer überzeugenden Bühnenpräsenz und darin, einen guten und warmen Gesamtklang zu erzeugen. Mit beinahe 40 Personen auf einer Bühne ist es nicht einfach, jedem Musiker genug Platz zwischen dem geordneten Chaos aus Instrumentenständern, Kabeln und Verstärkern zu schaffen. Auch einen homogenen und klaren Klang zu gewährleisten, kann zum Problem werden. Noch beim Soundcheck wenige Stunden vor dem Konzert zeigte sich, dass die Abmischung und klangliche Balance einige Zeit in Anspruch nimmt. Jedes Instrument soll auch einzeln herausgehört werden können. So benötigt die Santur einen eigenen Monitor, damit sie auf der Bühne zu hören ist, wohingegen die Saxophonisten mit einem Monitor für alle Musiker auskommen, im Gegensatz zu den Trompetern, die nicht einmal Mikrofone benötigen.
Drei Stücke aus dem Standardprogramm des Transorient Orchestra wurden von jeweils einem der künstlerischen Leiter des Jugendjazzorchesters umgeschrieben und umgedeutet. Somit arbeiteten die Leiter der beiden Ensembles eng miteinander, um die perfekte klangliche Symbiose der Musikstücke zu erreichen. Saraha zum Beispiel ist volksliedhaft und entstand am Ende des 18. Jahrhunderts im Osmanischen Reich. „Würden wir das ursprüngliche Stück ins Deutsche übertragen, würde es wahrscheinlich Allegro in g-moll heißen“, kündigt Andras Heuser, Leiter und Gründer des Transorient Orchester, die Komposition an. Davon ist in der Endfassung nicht mehr viel zu spüren – scharfe Bläsereinwürfe und lateinamerikanische Parts ergänzen die ursprüngliche Komposition. Auch die zum Schluss der ersten Programmhälfte gespielte Trakya-Suite sei kaum wiederzuerkennen, es handele sich nun vielmehr um einen „Remix auf Notenpapier“, der durch mehrere Taktwechsel auseinandergerissen und ergänzt wurde, um es nicht „zu einfach für die Musiker zu machen“.
Andreas Heuser hat für die Zusammenarbeit sogar eine komplette Suite und somit das Hauptwerk des Projektes geschrieben. Die Transorient-Suite ist ein Stück, das den Musikern alles abverlangt und in Dortmund seine Uraufführung feierte. Mit einer Länge von knapp 30 Minuten und in vier Sätze unterteilt, schlängelt sich das Werk durch verschiedenste Tonlandschaften und bekommt dadurch beinahe den Charakter von Programmmusik. So beginnt Sabah, was in deutscher Sprache „der Morgen“ bedeutet, mit sanften und melancholischen Klängen und überrascht durch den ungewöhnlichen Einsatz eines 10/8-Taktes, der sich kraftvoll im zweiten Satz Anatolia, entlädt. Dieser wiederum geht durch seine prägnant gespielten Bläserpassagen und die orientalisch-gewundene Melodie sofort ins Ohr. Danach geht die musikalische Reise mit Isfahan, benannt nach der iranischen Stadt, weiter nach Nordafrika – musikalisch durch einen beschwingten 6/8-Takt umgesetzt. Mit Transorient-Express, welcher die musikalischen Merkmale der vorangegangenen Sätze in sich vereint, endet das Stück in einem würdigen Finale.
Die kleine Konzertreise, die am kommenden Freitag im Essener Katakombentheater ihren Abschluss feiert, ist kein reines musikalisches Projekt, sondern auch eines, dass Diversität feiern will und Toleranz fördert. So wird nicht nur in arabischer und türkischer Sprache gesungen, auch die im Großraum Ruhrgebiet lebenden Musiker des Transorient Orchestra kommen unter anderem aus dem Iran, aus Tunesien oder Syrien. Mit der Verflechtung musikalischer Kulturen soll dabei nicht nur die gegenseitige Toleranz gestärkt werden, sondern auch Verständnis für und das Interesse an anderen Kultureinflüssen gefördert werden. Die Zusammenarbeit des Jugendjazzorchesters Nordrhein-Westfalen und des Transorient Orchestra ist genau deshalb umso wertvoller – weil sie nicht nur für im Takt wippende Füße und nickende Köpfe sorgt, sondern gleichermaßen ein Ziel verfolgt, das gerade in der heutigen Zeit sehr aktuell ist und zur Stärkung und Weiterentwicklung der Kulturlandschaft beiträgt.