Foto: DG/Mathias Bothor
Konzertbeginn in Dortmund: nach einem wohlartikulierten, transparenten Bach erste Bravo-Rufe aus dem Publikum. Der Pianist steht auf und verbeugt sich in Frack und Fliege neben einem Steinway-Flügel. Jan Lisieckis blonde Haarmähne wippt, als einziger Gegenstand auf der Bühne passt sie zum Titel der Konzertreihe »Junge Wilde« – und das, obwohl der kanadische Vorzeigepianist Lisiecki erst reife 19 Jahre alt ist.
Nach Bach entfaltet Jan Lisiecki an vier Stücken des Klaviervirtuosen Paderewski (1860–1941) beeindruckende Virtuosität. Bei Mendelssohns Rondo Capriccioso op. 14 setzt der Interpret dann gekonnt gegensätzliche Charaktere nebeneinander, auf durchsichtigen hellen Klang folgen unvermittelt große, massive Bassakkorde. Applaus, Pause, Publikumsstau im Konzerthaus. Alles wie immer.
Als Sohn polnischer Eltern spielt Lisiecki in der zweiten Halbzeit natürlich Chopin, an den Études op. 10 beweist er erneut technische Fertigkeit und musikalisches Einfühlungsvermögen, beim Publikum lässt allerdings die Spannung nach und der gewohnte Reizhusten setzt ein. Vor der obligatorischen Zugabe einige Worte ans Publikum:
»Thank you for being part of Junge Wilde, now I’m old and boring.«
Ein aussagekräftiger Scherz: Jan Lisiecki bespielt berühmte Konzertsäle, konzertiert mit Künstlern wie Yannick Nézet-Séguin oder Emanuel Ax, bringt Alben beim alt-ehrwürdigen Label Deutsche Grammophon und erntet hervorragende Kritiken etablierter Zeitungen und Magazine. Er hat sich einen Platz in der Klassikwelt erspielt – der alten.