Heute Dortmund, morgen Hamburg, dann Warschau, Toronto, Abu Dhabi… Jan Lisiecki steckt mittendrin in dem, was man eine Weltkarriere nennt. Die Bühne betritt der Pianist artig in Anzug und mit obligater selbstgebundener Fliege – dabei ist er gerade einmal 20 Jahre alt.
Antiquierter Spießer?
Jan Lisiecki hat scheinbar alles, was man braucht, um früh in den klischeehaften «Wunderkind-Hype» zu geraten: ein freundliches Gesicht, blitzweiße Zähne, wilde blonde Strubbellocken und überdurchschnittliche Ausdruckskraft auf seinem Instrument, dem Klavier. So gewann der Junge mit dem kompliziert auszusprechenden Namen (Li-schätz-ki) zunächst einige Wettbewerbe in seiner Heimat Kanada, ließ ein paar Reportagen über sich drehen, wurde UNICEF-Botschafter, übersprang nebenbei vier Klassen, bekam mit 15 einen Exklusivvertrag bei der Deutschen Grammophon und mit 18 den Gramophone Award, Oscar der Klassikwelt. Lobhudeleien von Presse und Kollegen, wie Pinchas Zukerman, ließen nicht lange auf sich warten:
«So einen Menschen gibt es vielleicht zwei Mal in 100 Jahren.
Jan spielt mit der Frische eines Jugendlichen
und mit der Tiefe eines alten Meisters.
Das Besondere ist, dass er bei all dem fest im Leben steht.»
Mittlerweile ist das «Ex-Wunderkind» auf 1,90 Meter in die Höhe geschossen und den lästigen Titel los. Aber wie normal und geerdet kann man nach so viel Trubel um die eigene Person noch sein? Kann man zwischen Flugzeug, Green Room und Konzertbühne überhaupt künstlerisch erwachsen werden? Die Meinungen sind gespalten (s. Konzertkritik Junger milder Pianist ) – ganz so «old and boring» wirkt der Typ mit den ungleichen Socken als wir ihn in seiner Probe besuchen dann aber nicht und plaudert locker über das Reisen, das «nicht besonders interessante Instrument» Klavier und die Wichtigkeit des Publikums.
Natürlich wollten wir trotzdem wissen, wie man als junger Künstler dazu kommt sich in ein so anachronistisches Accessoire wie die Fliege (bow tie) zu vergucken und haben da mal nachgehakt…
Lust auf mehr? So klingen Frédéric Chopins «grüne Etüde» und ihre 23 Geschwister in der Interpretation des damals 18-jährigen Pianisten.