Im Casino der Zeche Zollverein wurde am Donnerstagabend ein einzigartiges Projekt uraufgeführt. „Scrap 4 Beethoven“ interpretiert Beethovens Neunte auf ungewöhnliche Weise.
Zuerst sind es nur vereinzelte Geräusche. Ein Ratschen, das wie Zähneknirschen klingt, folgt auf einen glockenhellen Ausruf. Die gerade noch annähernd als harmonisch empfundene Tonfolge baut sich zu Krach auf. Dann ein Fünkchen Hoffnung, über einem durchdringenden Bass setzt sich ein Sambarhythmus durch. Kurze, knackige Trompetentöne brennen sich in das Klangchaos – schön, aber zu schnell wieder vorbei. Zu Stangen und Röhren gesellt sich nun erneut das ratschende Wellblech. Auf einer Leinwand hinter der Bühne ist die Quelle all dieser Geräusche auszumachen. Berge aus Metall, Stahl und Zinn türmen sich auf dem größten Schrottplatz Europas: der Schrottinsel in Duisburg. Große Bagger bewegen dort Unmengen an klirrendem Metall. Schließt man die Augen und lauscht dem Spektakel, wird klar: diese aus Schrottgeräuschen bestehende Musik ist etwas, dass das Ohr nicht richtig fassen kann. Alles wird lauter, der Schrottklangberg bäumt sich zu seinem Höhepunkt auf. Dann schweigt er, die Leinwand wird schwarz.
Der erste Choreinsatz. „Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium“. Friedrich Schillers Text zu Beethovens Hauptmelodie legt sich wie Balsam auf die zuvor geschundenen Ohren. Aus zwei getrennten Klangwelten wird eine. Beethovens harmonisch komponierte Chormelodie vermischt sich mit den zwar rhythmisch anmutenden, aber dennoch harten und brachialen Klängen des Schrotts. Erst jetzt kann man wirklich von Musik sprechen. Kurz darauf wieder solo: Bumm. Pling. Peng. Knirsch. Der Gedanke liegt nah, dass bei diesem Konzert nicht zwischen Geräusch und Musik getrennt wird. Ein Abend, der unsere Hörgewohnheiten ganz schön auf den Kopf stellt.
Wie viel Beethoven steckt im Schrott?
Das Musik- und Medienprojekt „Scrap 4 Beethoven“ widmet sich zu Beethovens 250. Geburtstag dessen neunter Symphonie und Europa. An dem Projekt beteiligt sind der Jugendchor der Clara-Schumann-Musikschule Düsseldorf, der 15-jährige Trompeter Emil Sabelberg und ein Kreativteam um den Düsseldorfer Künstler Freeze4U. Gemeinsam wollen sie Beethoven recyceln und ihn mit Schrott und einer Videoperformance für ein junges Publikum attraktiv machen. Im Mittelpunkt steht das Erlebnis eines Schrott-Playbacks zur Live-Chor-Musik und zur Trompete. An diesem Abend spielt im Casino der Zeche Zollverein in Essen also kein Orchester Beethovens Neunte, sondern sie kracht, rattert und schrappt aus allen Lautsprechern.
Beethovens bekannteste Symphonie modern und fast avantgardistisch recycelt – das funktioniert, zumindest größtenteils. Der Chor und die Trompete sind harmonisch und mehrdimensional, ihren Klang nehmen wir unseren Hörgewohnheiten nach als Musik wahr. Diese Welt wird in dem Projekt mit ihrem totalen Gegenteil konfrontiert. Die Schrottgeräusche zeichnen sich vor allem durch ihre Eindimensionalität und Disharmonie aus. Zusammen entsteht aus diesen völlig konträren Klangwelten aber etwas, das die Wahrnehmung von Beethovens Werk spannungsvoll verändert. Unter dem Hauptthema seiner neunten Symphonie werden auch Geräusche plötzlich musikalisch: Wenn mit der flachen Hand von innen gegen einen Container geschlagen wird und ein satter, aber warmer Bass den Raum erfüllt. Wenn komplexe Rhythmen auf verschiedene Stangen, Rohre und alte Ölfässer gleichzeitig getrommelt werden. Und, ob bewusst vom Komponisten Kai Fenchel so zusammengesetzt oder nicht – aus einem rhythmischen Hämmern auf verrostete Stangen lässt sich der Name „Beet – ho – ven“ heraushören.
Beethovens Neunte ganz schön schrottig
Die Solopassagen des Schrotts sind für unsere klassisch geschulten Hörgewohnheiten allerdings doch eher eine Zumutung. Ohne die visuelle Darstellung würden wir sie vermutlich kaum verstehen. So können wir zumindest sehen, dass eine glänzende Blechtonne diesen Hall im Hintergrund erzeugt, können nachvollziehen, welchen Ursprung die teils sehr skurrilen Geräusche überhaupt haben. Vielleicht ist noch wichtiger, dass wir durch das Bild unsere eigenen Hörgewohnheiten hinterfragen und zumindest versuchen, sie trotz ihres Ursprungs als harmonischen Klang zu begreifen.
Einzelne Geräusche bleiben aber letztendlich das, was sie sind: ganz schön schrottig. Teilweise stehen sie in keinem Gesamtzusammenhang und lassen sich trotz Bild nur schwer als Klang in Beethovens Neunte einfügen. Diverse Baggergeräusche sind ein Beispiel dafür, wie diese Art von Musik eben nicht immer funktioniert. Aus einem unregelmäßig rumorendem Motor lässt sich wohl doch keine Musik machen.
Besonders positiv hervorzuheben, ist jedoch die Leistung der jungen Musiker an diesem Abend. Als hätten sie den Schrottrhythmus im Blut, meistern sie ihre Einsätze auf die Sekunde genau, ebenso das Singen auf disharmonischen Klängen. Eine wichtige Funktion erfüllt dabei auch Emil Sabelberg mit seiner Trompete. Mit orange-leuchtender Warnweste und blauem Sicherheitshelm bekleidet, erfüllt er nicht nur visuell, sondern vor allem auch akustisch mit seiner melodischen Sicherheit die Funktion eines Leuchtturms im schrottigen Klangmeer.
Eine Brücke zwischen Geräusch und Musik
„Scrap 4 Beethoven“ beweist als bisher einzigartiges Projekt mit Musik auf Schrott, dass mit Beethovens Neunter die Brücke zwischen Geräusch und Musik geschlagen werden kann. Das äußert sich vor allem im gelungenen Zusammenspiel von Chor, Trompete und den Schrottrhythmen. Gleichzeitig zeigt das Projekt aber auch, wie schwer es ist, Beethovens Musik allein mit Geräuschen gerecht zu werden. Die Schrott-Solopassagen fügen sich nicht zuletzt aufgrund ihrer Eindimensionalität eher wie ein Fremdkörper in seine Neunte als ein natürlicher Teil dieser Musik zu sein. Dieser bewusste Bruch mit klassisch geprägten Hörgewohnheiten zieht sich wie ein Leitmotiv durch die gesamte Performance. Ob das wirklich der Weg ist, um ein junges und älteres Publikum gleichermaßen für Beethovens Musik zu faszinieren, wird die Zukunft zeigen.