2020 ist da! Grund für uns anzustoßen und dabei nochmal an die musikalischen Highlights von 2019 zu denken. Waren es Songs, Alben, Konzerte oder Künstler? Am ersten Tag des neuen Jahres präsentieren wir Euch unsere Rückblicke. terzwerk wünscht Euch ein gutes neues Jahr und viel Spaß beim Entdecken!
Symphonischer Schock
Ein Stück, das mein Jahr außerordentlich bereichert hat, ist die 11. Symphonie von Dmitri Schostakowitsch. Gleich zwei Mal durfte ich sie live erleben, zuerst in Dresden und erst kürzlich in Dortmund. Es fällt mir schwer, in Worte zu fassen, was dieses Werk in mir auslöst. Schostakowitsch erzählt darin von einem friedlichen Aufstand in St. Petersburg von 1905, der von den Wachsoldaten brutal niedergeschossen wurde und gibt dem Zuhörer auf unerklärliche Weise das Gefühl, selbst Opfer des Massakers zu sein. Um es mit den Worten Vladimir Jurowskis zu sagen: man ist nach Ende des Stücks nicht mehr derselbe Mensch. Besonders intensiv ist die Aufnahme von Mariss Jansons, der uns leider vor einem Monat verlassen hat. Nehmt euch diese gute Stunde Zeit und macht eine unvergleichliche Erfahrung!
(felix)
Blechblasquatsch
Bevor es 2020 im Beethovenjahr für 365 Tage vermutlich ganz, ganz ernst wird in der Klassik – Humanismus! Revolution! Bedeutung! -, erinnere ich mich noch einmal an ein Konzert im vergangenen Januar zurück, bei dem ich so sehr gelacht habe wie in vermutlich noch keinem anderen zuvor: Das Ensemble Mnozil Brass – sieben durchgeknallte Blechbläser – war im Konzerthaus Dortmund zu Gast, mit dem damals aktuellen Programm „Cirque“. Sie spielten neben Rossini und Stravinsky auch bekannte Zirkusmelodien, aber das war eher nebensächlich. Vor allem traten sie selbst als Zirkus auf, in teilweise improvisierten Kostümen und genauso improvisierter Augenblickskomik, vordergründig als Löwe, Dompteur und Clowns aller Art. Im Eigentlichen aber parodierten und persiflierten sie ihre eigene Rolle als bestaunte Instrumentalvirtuosen, das Konzertgeschehen an sich und irgendwie auch die Art und Weise, wie wir Musik wahrnehmen. Ihr einziges Kommunikationsmittel: Instrument und Pantomime. Kein einziges Wort am ganzen Abend, und doch war alles so klar. Der bewegendste Moment: als der Posaunist und Weißclown des Abends, Leonhard Paul, auf der Basstrompete Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ interpretierte – neben den ihn leise begleitenden anderen auf dem Bühnenrand sitzend.
Sehen wir zu, dass wir vor lauter Beethoven in diesem Jahr dem Spaß an der Musik (tiefgründigen oder albernen, egal) nicht abhanden kommen.
(hannah)
Im Schatten von Bach, Mozart und Beethoven
Giuseppe Domenico Scarlatti – vielen ist er ein Begriff und doch häufig unterbelichtet! Gleich zweimal durfte ich mich im Jahr 2019 an seinen Sonaten am Klavier ausprobieren und stellte fest: Gar nicht so einfach, den vermeintlich simplen Notentext mit Leben zu füllen. Als ich von der Einspielung Lucas Debargues erfuhr, lauschte ich gespannt dem Album mit den 52 Sonaten.
Fasziniert von seiner unbekümmerten Spielweise wollte ich die Wiedergabe gar nicht mehr unterbrechen. Als Bach-Zeitgenosse komponierte Scarlatti die Sonaten für ein Cembalo. Doch Debargue wählt zu Recht den modernen Konzertflügel! Er synthetisiert einen Klang, der zuweilen das Cembalo imitiert. An anderer Stelle unterfüttert er diesen Charakter mit der modernen Note des Klaviers. Wie die Mannigfaltigkeit der Sonaten zeigt auch Debargue sein ganzes Ausdrucksvermögen und verschmilzt mit den Stücken zu einer Einheit. Nicht nur laut und leise, zart oder gewaltig ist sein Spiel. Dazwischen legt er jede Menge Abstufungen und Entwicklungen frei ohne dabei den barocken Stil verschwinden zu lassen. Beeindruckend! Das Album motivierte mich fortan, am Klavier nach den Details in meinen Sonaten zu forschen. Diese Einspielung werde ich auch in der neuen Dekade immer wieder auflegen.
(jonathan)
Einmal Hölle und zurück
Eigentlich geht es für mich in diesem Jahr weniger um ein musikalisches Highlight, sondern eher um ein serielles. Ende Juli strahlte ARTE die französische Mini-Serie “Dreimal Manon” aus, in der es kurz gesagt um gewalttätige Jugendliche geht. Im Konkreten wird die Geschichte der 15-jährigen Manon erzählt, die nach einem Messerangriff auf ihre Mutter in ein geschlossenes Erziehungsheim kommt. Zunächst hält sie es für die Hölle und versucht sogar, auszubrechen, doch schließlich findet sie in ihren Mitbewohnerinnen und Erziehern eine Art Familie. Dadurch gestärkt, kann sie die ersten Schritte in ein neues Leben gehen.
Der Titelsong der Serie ist “They Said That Hell’s Not Hot” von Marilyn Manson, für mich musikalisches Neuland, aber ein gutes Mittel, um Manons Wut, Einsamkeit und Verzweiflung auszudrücken. Möglicherweise werden solche Gefühle auch in uns dieses Jahr eine Rolle spielen. Aber hauptsächlich wünsche ich euch – so wie Manon sie auch gefunden hat – für 2020 Freiheit, Freundschaft, Liebe, Glück und was ihr noch für ein gelungenes neues Jahr braucht. Bonne Année!
Eine Stimme, die bleibt
Es gibt ein Ereignis aus 2019, das für mich wahrscheinlich noch 2020 nachwirken wird. Vor nicht mal drei Wochen ist die Leadsängerin des schwedischen Popduos Roxette, Marie Fredriksson, mit nur 61 Jahren an den Folgen eines Hirntumors gestorben. Zugegebenermaßen bin ich ein bisschen zu jung, um die hauptsächliche Schaffensphase der Band von 1987-1994 miterlebt zu haben, aber Balladen wie „Listen to your heart“ und „Spending my time“ oder Hits wie „The look“ gehören zu meiner Kindheit und bleiben für immer. Die Songs sind keine gewöhnlichen Popstücke, wie man auf den ersten Blick denken könnte. Den Unterschied macht Marie Fredrikssons Stimme. Sie sang mit Herz! Für sie gab es nicht nur schwarz und weiß. Sie machte die Emotionen in ihren Songs für die Zuhörer dreidimensional, bunt und vor allem erlebbar. Ein Erfolgsrezept, das aufging: Roxette verkauften weltweit über 80 Mio. Platten. In den Schaffenspausen von Roxette widmete sich Fredriksson ihrer eigenen Musik. Sie veröffentlichte mehrere Soloalben auf Schwedisch, auf denen sie sich zum Teil auch vom Jazz beeinflussen ließ.
2002 dann die Diagnose: Hirntumor. Die Ärzte gaben ihr nicht mal mehr ein Jahr zu leben. In den folgenden Jahren wurde Marie Fredriksson mehrmals operiert, verlor ihre Sprache, litt unter Gedächtnisproblemen und Bewegungseinschränkungen. Aus einem Jahr wurden schließlich noch fast 17 und sie kämpfte sich, allen körperlichen Problemen zum Trotz, auf die Bühne zurück. Die Kraft dafür zog sie aus der Musik, denn ihre Stimme blieb von den Strapazen der Krankheit weitestgehend unversehrt.
Erinnern wird man sich an sie vor allem als eine der ganz großen Stimmen der 80er und 90er Jahre, die sich ihre Leidenschaft für die Musik und das Leben durch nichts nehmen ließ. In der Playlist findet sich eine Zusammenstellung ihrer schönsten und erfolgreichsten Songs. Hört einfach rein und entdeckt die vielen Facetten von Marie Fredriksson.
(marie)
Sofar Sounds
Klein und fein ist das Format von «Sofar Sounds».
Bei diesen Wohnzimmerkonzerten wird Musikern aus aller Welt eine Bühne geboten, auch kleine, unbekannte Künstler bekommen hier ein paar Minuten im Stehlampen- und Kerzenlicht. Hier geht es nicht um Klickzahlen und Erfolg, sondern einfach nur um gute Musik.
Erst bei der Ansprache wird den Zuschauern eröffnet wessen Musik sie für die nächsten paar Stunden lauschen dürfen.
Oft sitzt das vielleicht 30-köpfige Publikum auf Kissen und Decken vor den Künstlern, die Atmosphäre ist gemeinschaftlich, familiär und gemütlich.
Als secret gigs werden die Konzerte auf der Website beworben. Googelt einfach eure Stadt und schon wird euch angezeigt, ob in eurer Nähe ein Konzert stattfindet.
Einige der «Sessions» werden hinterher auf dem Youtube-Kanal von «Sofar Sounds» veröffentlicht.
Mein Hightlight an diesem besonderen Abend waren «The Deltaz». Hört doch mal rein!
(martina)