#Ausklang2018

Songs, ganze Alben, Konzerte, Leute? Was waren die musikalischen Highlights im Jahr 2018? Für einen Tag nach Beginn des neuen Jahres hat die Redaktion ein paar kleine Rückblicke zusammengestellt. Viel Spaß beim Stöbern – und ein gutes neues Jahr!

White Lies – Time to Give

Das musikalische Highlight 2018? Für mich eine Frage, die sehr schwer zu beantworten ist. Vieles war ganz nett anzuhören, aber ein wirkliches Highlight war für mich dieses Jahr leider nicht dabei. Es gibt ihn allerdings: meinen Lieblingssong des Jahres, der Lust auf mehr macht. Am 17. September veröffentlichte die Alternative-Rock-Band White Lies um Mitternacht ihren Song „Time to Give“ aus dem 2019 kommenden Album „Five“. Auf einer stolzen Länge von siebeneinhalb Minuten beschäftigen sie sich thematisch mit einer destruktiven, ungesunden Beziehung, ohne dass es langweilig wird.

Vom Sound der 80er geprägt, dominieren – ganz wie man die White Lies kennt – auch in „Time to Give“ Synthesizerklänge und Gitarrenriffs. Dabei schaffen sie es, die Spannung im Song so aufrechtzuerhalten, dass man als Zuhörer immer den nächsten musikalischen Höhepunkt ersehnt. Von der Form und der musikalischen Gestaltung her wahrscheinlich der anspruchsvollste Song, den die Band bis jetzt veröffentlicht hat.

(marie)

Jahresrückblick 2018

Ist es verrückt, dass es mir leichter fällt zwölf gleichwertige Songs in eine Playlist zu packen, als mein Lieblingsalbum des Jahres zu bestimmen?
Diese Songs sind an Erinnerungen und Erlebnisse, an Menschen und Begegnungen gebunden. Sie sind so laut und turbulent wie das vergangene Jahr, manchmal auch leise, tiefgründig, politisch: Greta van Fleet sind die besseren Led Zeppelin. Drangsal schwelgt in den 80er Jahren und schreibt Texte in denen auch mal das Wort Promiskuität vorkommen darf. Die Nerven verpassen ihrem schwelenden Post-Punk eine poppige Note. Zeal & Ardor wagen das Experiment „Blues trifft Black Metal“ und erschaffen die schönste Genremixtur des Jahres, während Rolo Tomassi schon lange keine zwei Genres mehr ausreichen. Emotionalen Powerpop gibt es von Snail Mail, während Moop Mama über Brass und Rap jetzt auch Autotune gießen. Die Editors werden deutlich elektronischer, während Lygo lieber ihrem kaltschnäuzigen Punk treu bleiben. Pagan wissen, dass man in der Disco hervorragend Pogo tanzen kann – das geht aber auch zum neuen Album der Blackout Problems hervorragend. Feine Sahne Fischfilet sind aus dem Jahr 2018 nicht nur musikalisch nicht mehr wegzudenken und beenden meine Playlist.
Verrückt, oder?

(Paul)

“I can get used to this” – Shotgun von George Ezra

Radio Gaga? Manchmal kann es wirklich verstörend sein, welche Songs einem im Radio zugemutet werden. Umso mehr habe ich mich dieses Jahr darüber gefreut, dass George Ezra’s Song „Shotgun“ den Sprung in die Charts gemeistert hat.

Während der junge Singer / Songwriter in seiner ersten EP „Did You Hear the Rain?“ mit einem frischen, jedoch recht eigenwilligen Sound überzeugte, klingt sein neues Album erheblich stärker nach sommerlichen Mainstream. Dennoch bleiben die charakteristischen Elemente seiner Musik bestehen: der vielfältige Einsatz der Gitarre, die coolen Bass Grooves und die tiefe, raue Stimme.

(nils)

“Simulation Theory” – Muse

Eine Band schafft sich ab. Die Black Eyed Peas des Prog-Rock. Der nächste Fehlgriff der Briten. So oder so ähnlich lauteten Überschriften von Kritiken an “Simulation Theory”, dem neuen Album von Muse. Zu wenig Innovation, zu viele abgekupferte Elemente, zu viel plakatives Popgeplänkel. Man wünscht sich Alben wie “The Resistance” oder “Origin of Symmetry” zurück.
Während ich gewisse Kritikpunkte verstehen kann, stört mich diese Aussage. Es ist kein Geheimnis dass Muse seit jeher ihren Stil wandeln und es bei ihnen praktisch keine Genregrenzen gibt. Dass dieses neue Album im Synthwave-80er-Gewand nicht jedem schmeckt lässt sich nicht verhindern. Für mich ist der negative Gesamttenor jedoch ungerechtfertigt. Denn zwischen der mitreißenden aber eher plakativeren Stadionhymne “Thought Contagion” und dem wenig einfallsreichen Powersong “Get Up And Fight” befinden sich echte Schätze wie die Prince-Hommage “Propaganda” und der düsteren Schlusssong “The Void”. musikalisch und formal am aufregendsten ist vielleicht “Break It To Me”. Außerdem lohnt sich ein Blick in die Deluxe-Version des Albums: einige Titel sind zusätzlich in alternativen Versionen und Akustik-Takes enthalten, zum Beispiel “Pressure” zusammen mit einer Marching Band. Alles in allem ist “Simulation Theory” ein gelungenes Album, das mir persönlich schon viel Freude beschert hat.

 

(felix)

Der Grand Monsieur himself

Mein musikalisches Highlight des vergangenen Jahres ist kein Album, kein Song, keine Musik, die auf Platte gepresst wurde. Sondern ein Konzert. Zu seinem 88. Geburtstag kam Jean Guillou, Enfant Terrible und Maestro der Orgelmusik, nach Hamburg, um in der Elbphilharmonie zu spielen. Auf dem Programm: natürlich eine Improvisation. Daneben aber auch seine Bearbeitung der “Bilder einer Ausstellung” von Modest Mussorgsky und, nach der Pause, seine Komposition “Révolte des Orgues” für, Achtung, neun Orgeln – acht Positive und das große Instrument – und Schlagwerk.

Dieser 88-jährige Franzose machte sich nicht viel aus der aufregenden Konzertsituation. Er spielte, als sei er nur für sich. Völlig versunken und frei. In seinen “Bildern einer Ausstellung” fing er am Schluss an zu improvisieren, dass sein Registrant begann nervös in seinen Noten zu blättern, wo denn der Monsieur nun gerade war. Um dann, eigentlich war es auch schon egal, einfach auch zu improvisieren. Tutti. Der Saal bebte. Schade, dass bei dem sphärischen Raumklangerlebnis der “Révolte des Orgues” nach und nach Leute aus dem Saal schlichen. War dann wohl doch zu freaky, was da musikalisch passierte. Oder aber: ungeheuer faszinierend. Und das beste: Guillou sieht beim Spielen ein bisschen aus wie der Mephisto aus Gustav Gründgens “Faust”-Verfilmung. Nur mit cooleren Haaren. Auf dass er noch lange spielen werde!

(hannah)

Best-of Funny van dannen

Ich nutze den Jahresrückblick 2018 um einen ganz besonderen Künstler vorzustellen: Funny van dannen. Er hat 2018 auch tatsächlich wieder ein Album herausgebracht – „Alles gut Motherfucker“ heißt es. Es ist sein siebzehntes Album.
Für mich ist Funny van dannen der größte Poet, den es in Deutschland in diesen Jahrzehnten gibt. In seinen Liedern geht es um alles: Um „lesbische schwarze Behinderte“, „die Deutsche Bank“, „Sandra Bullock“ oder auch einfach nur „schmutzige Fenster“. Kleine, alltägliche Handlungen oder Dinge inspirieren ihn zu tiefgreifenden Gedanken über die Welt und unsere heutige Zeit. Vor ihm ist kein Thema sicher. Keine Tabus und kein moralischer Zeigefinger. Er beobachtet ganz genau und beschreibt, was er sieht. Diese Einschätzung bestätigt er in einem Lied, in dem er singt: „Ich achte auf alles, das können Sie mir glauben, ich achte auf Nägel, ich achte auf Schrauben…“
Fast alles, was ich über Funny van dannen weiß, habe ich aus seinen Liedern: Er stammt aus NRW, nahe der niederländischen Grenze („das war die Liebe in Nordrhein-Westfalen“), lebt aber schon seit Jahren in Berlin („Berlin ist international“). Er wollte als junger Mensch Fußballprofi werden („ich wollte was werden, es ist nichts geworden, das lag zum Teil an der Realität“), lernte dann Grafikdesign und arbeitet heute als freischaffender Künstler – wobei man vielleicht nicht „arbeiten“ sagen kann, da er zu seinem Beruf kam, weil er nicht arbeiten gehen wollte. Er ist Maler, Musiker (Liedermacher) und Lyriker.
Funny van dannens Alben-Sammlung ist wie eine große Schatzkiste: Ich höre seit zehn Jahren seine Lieder und noch immer finde ich neue. Dabei sind manche regelrechte Offenbarungen, manche begleiteten mich durch die Pubertät und viele werden mich mein ganzes Leben lang begleiten. Andere kann man kaum anhören. Er selbst drückt es so aus: „Manche sind lustig und mache sind blöd.“
Mit dieser Playlist – meinen Best-ofs – möchte ich einladen, diesen besonderen Künstler zu entdecken und sich auf Schatzsuche in Funny van dannens unerschöpflicher Lieder- (und Gedichte) Sammlung zu begeben.

(freya)

“I found a grey hair in one of my suits, Like context in a modern debate I just took it out”

In meinen Augen ist das Album A Brief Inquiry into Online Relationships der britischen Indie-Band The 1975 das poppigste, was das Jahr so zu bieten hatte. Man darf es sich ruhig leicht machen und die Musik der vier Jungs aus Manchester, die 2013 mit ihrem Debütalbum das erste Mal außerhalb der Insel in Erscheinung getreten sind, als Indie-Pop oder Indie-Rock bezeichnen. Diese Genre-Bezeichnungen sagen ja meist eh nicht viel aus. Die Themen, die der Frontmann Matthew Healy in den 15 Songs der Platte besingt, widmen sich vor allem popkulturellen Dingen. Sie drehen sich um das moderne Phänomen der online relationships. Genauer gesagt geht es um zwischenmenschliche Beziehungen aller Art, die sich auf Plattfromen wie Tinder, Twitter, Instagram und Facebook abspielen. “I found a grey hair in one of my suits, Like context in a modern debate I just took it out.” So heißt es zum Beispiel im Song Give yourself a try. Erstaunlich ist die stilistische Bandbreite, im Song Sincerity Is Scary hören wir Anklänge an Gospel, Jazz und Soul. Andere Songs sind einfache Pop-Balladen, die erstaunlicherweise nie langweilig klingen. Aber man muss sich den Inhalten der Songs auch gar nicht aussetzen, es ist einfach unglaublich gut gemachte Musik mit eingängigen hooks und einer zu Herzen gehenden Stimme des Frontmanns Matthew Healy.

(hpm)

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