Die akkurat gepflanzten und spindeldürren Bäume zeigen es an: Was hier steht, kann noch nicht lange da sein. Wir sind auf der Außenseite des Bermuda3ecks, dem Ausgehviertel Bochums. Hier gibt es neben ein paar Restaurants auch drei beliebte Tanzschuppen. Die vielbefahrene Viktoriastraße ist sicher für viele torkelnde Nachtschwärmer eine unüberwindbare Hürde gewesen. Sie ist die Grenze zwischen der tristen Nachkriegsarchitektur des Bermuda3ecks und dem auffälligen neuen Gebäude.
Neu ist an dem Bauwerk nicht alles. Mittendrin steht die neogotische Backsteinkirche St.-Marien, die heute das Foyer des Anneliese Brost Musikforums Ruhr bildet, das hier 2016 eröffnet wurde. Links und rechts der Kirche erstrecken sich zwei Anbauten, die den großen und den kleinen Musiksaal beherbergen. Die weißliche Backsteinfarbe wirkt modern, hat durch ihren rot-bräunlichen Schimmer aber Bezug zur Bausubstanz der Kirche, die hier seit 1872 steht. Der sperrige Name des Musikforums verweist auf die in Bochum geborene Verlegerin Anneliese Brost, die durch Stiftungen soziale und kulturelle Projekte im Ruhrgebiet förderte. Die Stiftungsgesellschaft hat den Bau des Musikforums wesentlich unterstützt.
Den Begriff “Konzerthaus” nehmen in Bochum nur die wenigsten in den Mund, obwohl das Musikforum das natürlich ist. Der Saal ist Heimat der Bochumer Symphoniker, die seit ihrer Gründung 1918 ohne eigene Spielstätte waren. Meist spielten sie im Audimax der Ruhr-Universität Bochum oder der Jahrhundunderthalle. Das Musikforum ist auch Probe- und Auftrittsort der städtischen Musikschule. Dem Konzept nach ist das Haus Ort des kulturellen Austausches für alle Bochumer BürgerInnen. Neben den großen symphonischen Konzerten gibt es Kammermusik, Lesungen, Ausstellungen oder Poetry Slams.
An diesem Donnerstag im Februar spielen die BoSys, wie man sie hier liebevoll nennt, Pierre Boulez’ Mémoriale, das Violinkonzert Nr. 2 von Dmitri Schostakowitsch und die dritte Symphonie von Johannes Brahms. Alles unter der Leitung von Gastdirigent Michel Tabachnik. Brilliert hat an diesem Abend der junge armenische Violinist Sergey Khachatryan. Deutlich wurde dabei die ausgezeichnete Akustik des großen Saals. Der Raum eröffnete der Violine große Spielräume: Zarte Pianissimo-Abschnitte, die die Unmittelbarkeit eines Kammerkonzerts vermittelten und kraftvolle Zusammenspiele mit dem gesamten Orchester, wobei der Klang der Violine nie an Präsenz verlor.
Wichtig für den Klang des Raumes sind die aus fünf Teilen bestehenden Deckensegel oberhalb der Bühne, die eine optimale Streuung des Schalls ermöglichen. Auffällig ist auch die Konstruktion der restlichen Decke und der oberen Seitenwände. Ein Geflecht aus furnierten Aluleisten begrenzt den Saal nur optisch, für den Schall verbergen sich dahinter weitere, für die Akustik wichtige Kubikmeter Raum. Der Saal ist vor allem auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet und kommt ohne unnötige Ausschmückungen aus. Das akustikfreundliche Kirschenholz, das hier das bestimmende Material ist, gibt zusammen mit den 1026 cremefarbenen Sitzen einen stimmigen Gesamteindruck ab. Die Bühne ist im Übrigen genauso groß wie die des Dortmunder Konzerthauses.
Pause. Ziemlich voll hier, aber schön hell und die alten rausgeputzten Kirchensäulen machen schon was her. Wahrscheinlich gibt es keine andere Kirche, die so blitzeblank erstrahlt. Das Gewölbe wird durch eingelassene Decken begrenzt. Als Ersatz für Lampen sind Spiegel eingebaut, die das Licht im Raum verteilen. Eine umfangreiche Gastronomie kann man in der Konzertpause nicht erwarten – nicht nur der Saal ist auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet. Überhaupt wirkt hier alles wohltuend bodenständig und an der eigentlichen Sache – der Musik – orientiert. Im Vorfeld gab es in der Stadt aber auch Gegner des Bauvorhabens: Aus Bedenken vor zu hohen Unterhaltungskosten für die finanziell klamme Stadt formierte sich eine Bürgerinitiative. Die Protestler bezeichneten das Musikforum abschätzig als Fidelbude. Die Baukosten waren im Vergleich zu anderen Musikhäusern mit 39 Millionen Euro aber gering. 14,6 Millionen Euro wurden von privaten Spendern beigetragen.
Heute ist das Musikforum bei den BochumerInnen beliebt und auch außerhalb der Stadtgrenzen hat das Haus einen ausgezeichneten Ruf. Nicht zuletzt aufgrund der Arbeit des emsigen Generalmusikdirektors Steven Sloane, dem Intendanten des Musikforums, der die Bochumer Symphoniker seit 1994 anleitet und die Realisierung des Musikforums entscheidend mitgeprägt hat.
Wenn man sich in der Musik des Konzerts noch nicht verloren hat, kann man es nachher im Bermuda3eck tun. Gewissermaßen ist das Musikforum ja auch ein Bermudadreieck. Neben dem kleinen und großen Saal ist das Foyer – die Kirche – ein dritter Spielort, zum Beispiel für die BoSy Lounge Band, die hierher regelmäßig einlädt. Das Bochumer Konzept beeindruckt: Die Symphoniker als fester Bestandteil des kulturellen Stadtlebens, ganz nah bei den Menschen. Von den ursprünglich vier Glocken der St.-Marien-Kirche ist übrigens nur eine erhalten. Sie ist zum Pausengong geworden und schlägt den Ton b. B wie Bochum.
Credits:
Titelbild: Brigida González / wikipedia.com / (CC-by-sa 3.0/de)
Musikforum: Arnoldius – Eigenes Werk / wikipedia.com / (CC BY-SA 4.0)
Saal: Markus Kniebes / (CC0 1.0) / flickr.com
Foyer: Arnoldius – Eigenes Werk / wikipedia.com / (CC BY-SA 4.0)
Glocke: Arnoldius – Eigenes Werk / wikipedia.com / (CC BY-SA 4.0)