Vorsicht, hier wird geschubst!

Verführerisch - Samson und Dalila (Michael Weinius und Ramona Zaharia), Foto: © Jochen Quast

In Düsseldorf stolpert “Samson et Dalila” über die Premierenbühne.

In verdunkeltem Saal, in spannungsvoller Stille, mit geschlossenem Vorhang kleidet einen ein einsamer Ton in Gänsehaut. Die Armhärchen werden sich für die gesamte Eröffnungsszene dieser „Samson et Dalila“ Premiere im Düsseldorfer Opernhaus nicht mehr legen. Ein durchdringender Kontrabassstrich öffnet den Vorhang. Auf der Bühne macht wabernder Nebel und drückende Schwärze das Bühnenbild unkenntlich, aber plötzlich – da! Ein Licht! Und noch eines! Ein Podest hebt Kopflampen tragende Mienenarbeiter empor. Zittrig beklagen sie ihre Unterdrückung – der Chor der Deutschen Oper am Rhein verkörpert im ersten Akt das Volk der Hebräer. Die Szenerie erhellt sich und die Schubserei beginnt. Das war es erstmal mit der Gänsehaut.

Lichter im Dunkeln: ein Effekt, der auch im Stadion funktioniert. Foto: © Jochen Quast

Zwei breitschultrige, bewaffnete Anzugträger marschieren auf die Bühne und rempeln die Herde zusammen; versklavt sind sie von den Philistern, die wahnhaft dem Dagon Kult, aber vor allem dem Geld frönen. Bald schon werden die Hebräer durch ihren Helden Samson (Michael Weinius) errettet, da dieser den Stadthalter und Unterdrücker zu Tode schubst. Schubsen ist gefährlich. Gerne möchte der herrschende Oberpriester von Dagon (Simon Neal) diesen Vorfall sanktioniert sehen: Dalila (Ramona Zaharia) soll Samson zum Verrat verführen. In dieser Produktion, weniger als betörend schön, sondern eher als übertrieben sexy inszeniert. Das Ganze aus einer Hand voll Puff-Klischees: kurzes Leo-Kleid, glitzernde (high!) Highheels und ein strahlend weißer Flauschmantel. Schubsen kann diese Dalila auch ganz toll, beispielsweise wenn es um die Verteidigung ihrer Prostituierten-Schützlinge geht.

Verführerisch - Samson und Dalila (Michael Weinius und Ramona Zaharia), Foto: © Jochen Quast

Die Verführerin weicht den körperlich überstarken Samson auf, er verrät ihr das Geheimnis hinter seiner göttlichen Stärke – seine 7 goldenen Locken…ach ne sein blondierter, fransiger Pferde-Schwanz – kaum von Göttlichkeit strotzend. Dass dieser ihm abgeschnitten wird, ist fürs Zuschauer-Auge eher angenehm, für Samson nicht: Gott hat ihn verlassen und mit ihm auch seine Stärke. Übermannt von seinen Feinden, geblendet und öffentlich gedemütigt, fleht der geschwächte Starke noch ein letztes Mal zu seinem Gott. Nach dem Libretto von Ferdinand Lemaire zerknickt der wieder-zur-Kraft-Gekommene zwei tragende Säulen, woraufhin das Hausdach alle Charaktere erschlägt. Während des ganzen 3. Akts, sobald man realisiert, dass es keine Säulen geben wird, fiebert man darauf hin, wie der Regisseur (Joan Anton Rechi) den Untergang realisieren wird. Er benutzt ein mittlerweile wieder vergessenes Bühnenmittel – das Podest. Überraschend und gut gemacht – wenigstens schubsen sie sich nicht á la Moshpit zu Tode, obwohl das doch ein so häufig verwendetes Stilmittel der Produktion ist.

Jetzt hat auch mal jemand Samson geschubst. Das geht erst seit er blind und enthaart ist. Foto: © Jochen Quast

Die bewegenden Momente birgt die Musik, nicht die Szenerie, welche auf dem schön praktischen, gesichtslosen Einmalbühnenbild (Gabriel Insignares) wenig eigene Aussagekraft hat. Einzig die atmosphärischen, auch mal bunt gewählten Lichteinstellungen (Volker Weinhart) haben etwas Besonderes an sich. Die Kostüme (Mercé Paloma) sind alltäglich und nichtssagend.
Dann ist es eben die Musik, die diesen Abend zu einem gelungenen Abend macht; das ist primär den Solopartien zu verdanken. Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Axel Kober glänzen sie alle. Der Bass des Alten Hebräers (Sami Luttinen) vibriert durch Mark und Bein, Simon Neal spielt seinen Oberpriester des Dagon mit großer Freude und singt ihn in tänzelndem Bariton und auch den Nebenrollen (Luke Stoker, Luis Fernando Piedra, David Fischer und Dmitri Vargin) hört man gerne zu. Das Paar des Abends sind natürlich Michael Weinius, mit stählernem Tenor und Ramona Zaharia, deren divenhafter Mezzo vom ersten Moment an packend strahlt. Ihr Timbre, ihr Auftreten, ihre Gestalt, man kann kaum Augen und Ohren von ihr lassen. Ihre Dalila ist der Star der Produktion.

Femme fatale Dalila (Ramona Zaharia), Foto: © Jochen Quast

Es war ein schöner Opernabend; wollen wir das ganze mal nicht so dramatisch sehen. Das dachte sich wohl auch Regisseur Joan Anton Rechi, der einen in dieser höchst tragischen Geschichte immer wieder zum Schmunzeln bringt. Zum Beispiel wenn der Oberpriester Samsons Augen, wie beim Eierlaufen, auf einem Löffel balanciert. Dass einen die Inszenierung etwas unbefriedigt zurücklässt, wird von der bändigenden Musik übermalt, in deren Schönheit man sich doch gerne verliert. Überraschenderweise gibt es keinen Szenenapplaus für die Hitarie von Dalila, bewegend interpretiert von Ramona Zaharia.

Nun hatte Saint-Säens die Oper leider als Oratorium geplant, wodurch die Rahmenakte von zahlreichen Chorszenen gespickt sind. Lieber hätte man weiter der betörenden Dalila oder den anderen Solisten gelauscht, als dem wackeligen Chor. Immer wieder muss er nach oben korrigieren; ein homogener Klang fehlt auch von Zeit zu Zeit. Aber bei der ganzen Schubserei ist das verständlich… da kann schon mal der ein oder andere falsche Ton aus den Sängern geschüttelt werden.

Alles in allem ein Opernabend der mehr stolpert, als standhaft zu sein.

Bildcredits:

Hintergrundbild und Beitragsbild: © Jochen Quast

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