Funkelnigelnagelneu?!

„Ich Sie??? (lacht) Jetzt momentan fällt mir da überhaupt nix ein.” Bernhard Lang war ganz schön perplex. Gleich zu Beginn unseres Interviews konfrontierten wir ihn mit der Frage: “Was wollten Sie uns immer schon mal fragen?” Wir hatten uns einen Spaß erlaubt und den Spieß umgedreht. Passend zum Thema des “Neuen” in der Musik wollten wir auch die Form des Interviews mal anders angehen, neu sein um des Neuseins Willen. War es sinnvoll, war es bereichernd? Oder einfach albern?

Interessant ist jedenfalls, welche Reaktion dieselbe Frage bei unserem anderen Gesprächspartner hervorrief: Adrian Nagel, mit 27 Jahren einer der jüngsten Komponisten auf dem Festival, fragte unbekümmert: “Warum seid ihr hier?” Vielleicht lag es daran, dass Bernhard Lang mit seinen 60 Jahren bereits mehr Interviews geführt hatte und mit einer anderen Erwartungshaltung ins Gespräch ging. Oder bestätigte sich in diesem Experiment die These, dass jüngere Menschen Neuem gegenüber grundsätzlich aufgeschlossener waren als die ältere Generation?

Mit dem „Neuen“ ist das ja so eine Sache. Ein brandneues Laptop vom alten zu unterscheiden ist babyleicht: Glänzt, ist schneller, besser. Aber wie verhält es sich mit Musik? Welche ist wirklich neu? Und wozu brauchen wir sie?

Donaueschingen ist ein guter Ort für Antworten. Seit 96 Jahren pilgert die Musik-Avantgarde ins Schwarzwaldstädtle, um die neuesten Klänge zu feiern, die die Szene zu bieten hat. Paradoxerweise sei es ausgerechnet die Tradition, die dem Neuen einen inspirierenden Rahmen biete, sagt Bernhard Lang. Mitten im Nirgendwo, in Turnhallen mit mieser Akustik, findet das Festival statt. „Der Versuch, Neues zu schaffen und der Diskurs in Donaueschingen, das ist einzigartig.“

Der Fokus auf die Musik fällt in dieser Stadt leicht. Sie ist so klein und hat so wenig zu bieten, dass nichts den Blick trüben oder ablenken könnte. In den Donauhallen steppt der Bär, ansonsten eher Pampaflair. Kulinarische Bedürfnisse stillt man im Ochsen, im Hirschen oder im Jägerstüble; man schlürft Flädlesuppe und Markklößchenbrühe, beim Bier erübrigt sich die Auslese sowieso – es gibt nur eins. Wer zum Kreis der Erlauchten gehört, stellt sich schnell heraus. Gelbe Haare, Hornbrille, goldenes Rucksacktäschlein? Kein Einheimischer. Überall wird debattiert, philosophiert und schultergeklopft. Bernhard Lang schätzt den Donaueschingen-Zirkel sehr: „Wir sitzen nächtelang zusammen, tauschen uns aus und sind befreundet und gleichzeitig strenge Opponenten in unseren ästhetischen Haltungen.“ Dass sich die Bewohner selten unter die Freaks mischen, spielt keine Rolle. Es gehe ja genau um dieses einzigartige Zusammentreffen von Spezialisten. Adrian Nagel: „Das hier ist ein Fachpublikum. Die meisten, die herkommen, haben schon viel Erfahrung.“ Das verspreche konstruktive Kritik.

„Bullshit!“, schreit eine Frau nach der Uraufführung von Thomas Meadowcrofts „The News in music“. Für viele Zuhörer klang diese Musik zu gewöhnlich, zu wenig “neu”.

Bernhard Langs „DW28 …loops for Davis“ direkt im Anschluss kommt besser an. Das technoid pulsierende Werk für Orchester und Bassklarinette reißt mit, nicht zuletzt durch die expressive Virtuosität des Solisten Gareth Davis. Jubelrufe.

Auf der Suche nach Überraschungseiern

In Donaueschingen liegen Lob und Verdammung dicht beieinander. Nicht jedes Konzert liefert ein Überraschungsei, trotz der vielen Uraufführungen.

Wann aber ist Musik wirklich neu? Adrian Nagel reagiert auf die Frage zunächst verblüfft: „Naja, Neue Musik wurde jetzt geschrieben. Das sind alles neue Stücke hier, das ist alles neue Musik.“ Logisch, Uraufführungen bieten per Definition nie gehörte, also „neue“ Musik. Doch Adrian Nagel gibt zu: Ob sich die Musik auch für den Hörer neu anfühle, das sei eine andere Frage.

Wir haben das Publikum gebeten, in Gesichtsausdrücken zu zeigen:

Bernhard Lang glaubt, dass die Frage nach dem Neuigkeitswert viel zu selten ernsthaft gestellt wird: „Das Neue ist derzeit in der sogenannten ‚Neuen Musik’ ein blinder Fleck. Ein Thema, das in der Forschung dauernd, in der Ästhetik aber nur beschränkt reflektiert wird. Warum? Weil hier Musikmarkt und Musikkonzept konkurrieren.“ Das Wörtlein „neu“ taugt als Verkaufsschlager. Ein paar ausgeklügelte Sätze im Programmheft, ein flippiger Titel und gute Beziehungen – fertig. Im Zentrum stehen Personen und Konzepte, nicht die Musik.

Dieses Phänomen beobachtet auch Adrian Nagel: „Ich hasse beliebige Sachen. Die Setzung von Klangmaterial muss sehr bewusst passieren. Und da habe ich das Gefühl, dass das zu selten geschieht.“

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Adrian Nagel

Bernhard Lang

Bernhard Lang

Vielleicht liegt die Ursache für die Flucht ins Konzeptionelle auch daran, dass es weitaus schwerer fällt, auf andere Weise neu zu sein. Zumal das Neue je nach Perspektive unterschiedlich bewertet wird. Wenn ein Komponist neue Stile erprobt, kann das für seine eigene Entwicklung fortschrittlich sein – für das Publikum klingt es vielleicht wie ein billiges Imitat.

Jeder Hörer greift zudem auf einen anderen Erfahrungshorizont zurück, je nach Erwartung, Verfassung und Geschmack fällt auch die Beurteilung anders aus. Bei Laptop und Bügeleisen entscheiden Merkmale wie Effizienz, Geschwindigkeit oder Stromverbrauch über Qualität. Musikalische Substanz lässt sich nicht so einfach greifen.

Und überhaupt: Wieso muss es Neues geben in der Musik, wo doch auch heute noch Werke von Mozart, Bach und Beethoven berühren? „Weil wir uns sonst langweilen!“, kommt es wie aus der Pistole geschossen von Bernhard Lang. Er sei ein ungeduldiger Mensch. Sogar in seinen eigenen Werken müsse er sich immer wieder selbst überraschen, getrieben von unersättlicher Neugierde. Der Drang nach Neuem ist ein Urtrieb des Menschen. Wir befragen die Welt, in der wir leben, wir gestalten und erschaffen unser Umfeld. Und um Wahrnehmung zu schärfen und das Bewusstsein zu erweitern, könne eben auch die Musik ein Mittel sein. Doch wirklich neuartig zu komponieren, das schaffen nur die Wenigsten.

„Es gibt in der derzeitigen Musikkultur, wenn man jetzt einige Inselchen in Donaueschingen vergisst, nur Wiederholungen. 97 Prozent unserer Kulturproduktion ist Wiederholung des Vorhandenen.“ (Bernhard Lang)

Lang reflektiert über diesen Zustand in seinen Werkzyklen, die schon im Titel „Loops“ oder „Wiederholung“ ankündigen. Er spielt damit, die vertraute Wahrnehmung zu durchbrechen und zu sagen: „Schau, du hast das hundertmal gesehen, aber ich zeig dir jetzt was, was du vorher noch nicht gesehen hast.“

Grenzenlose Freiheit oder befreiende Grenzen?

Die Situation ist vertrackt: Einerseits wirkt es, als wären Komponisten in ihrem Tun noch nie freier gewesen. Andererseits kann ihre Musik vielleicht tatsächlich nicht mehr großartig überraschen. Das klassische Instrumentarium wurde von Helmut Lachenmann und Liuigi Nono an seine Grenzen geführt, gibt Bernhard Lang zu. „Aber ich bin da ein bisschen optimistischer. Für mich gibt’s eben auch den Sampler, für mich gibt’s den Synthesizer und aus der Bassklarinette haben wir doch ein paar neue Töne herausgeholt, die es bis jetzt noch nicht in der Form gegeben hat.“ Apropos Grenzen: Die seien keineswegs verschwunden. Bernhard Lang beschreibt die verschiedenen Schulen sogar als äußerst präsent. Was die Münchner beklatschen, verschmähen die Stuttgarter. Und so weiter. Oft gibt es außerdem Kompositionsvorgaben: Besetzung, Spieldauer, Spielort, Musikerniveau. Adrian Nagel gefällt das. Grenzen schaffen Ordnung, das fehle heute oft, nicht nur in der Musik. „Im Sommer habe ich ein Stück geschrieben, nur für Knackfrösche, nur fünf Minuten lang. Das war toll.“ Komponieren für Orchester habe ihn dagegen zunächst überfordert – zu viele Möglichkeiten.

Scheitern ist in Donaueschingen okay. Vielleicht das Beste an diesem Festival: Hier werden nicht nur Prachtstücke erwartet, es gibt Raum für Experimente. Von zwanzig Uraufführungen klingen womöglich zwanzig doof. Was den Einen zu Tode langweilt, findet der Andere aufregend. Und manchmal, ganz manchmal, entdeckt man ein funkelnigelnagelneues Überraschungsei.

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