Musik und Literatur, Musik und Sprache, Musik und Kunst, Musik und Geschichte, Musik und Politik, Musik und Natur, Musik und Astronomie, Musik und … Die Liste ließe sich endlos weiter fortsetzen, ebenso wie die Liste möglicher und tatsächlich stattfindender Veranstaltungen, die sich aus diesem Potpourri der Disziplinen basteln lassen: Eine Lesung mit Sonetten von Shakespeare und Musik von Dowland, ein Abend im Planetarium mit Gustav Holsts Die Planeten, ein Ausstellungskonzept zum Impressionismus mit Bildern von Monet und Konzertabenden mit Musik von Debussy, …
Musik&. In dem „&“ klingt etwas an, was der bunte Veranstaltungsreigen spiegeln möchte: Interdisziplinarität. Eine Bezeichnung, die in letzter Zeit zu einem Modewort avanciert ist. Gerade in der Wissenschaft wird kaum ein Begriff so häufig bemüht wie „Interdisziplinarität“. Ringvorlesungen, Forschungsansätze, Seminare, Studiengänge – alles interdisziplinär! Wo „interdisziplinär“ gearbeitet wird, wird besser gearbeitet, kompetenter, zukunftsweisender – so scheint es zumindest. Offenbar besteht die Auffassung, dass etwas, das „interdisziplinär“ ist, schon einmal grundsätzlich besser ist als etwas ohne diesen Zusatz.
Aber was heißt Interdisziplinarität? Wo findet man sie? Warum braucht man sie? Braucht man sie überhaupt? Und ist überall Interdisziplinarität drin, wo Interdisziplinarität draufsteht?
Interdisziplinarität als Kooperation
Der Begriff „Interdisziplinarität“ ist sehr vage, weil er in verschiedenen Zusammenhängen sehr unterschiedlich definiert und gebraucht wird. Seinen Ursprung hat er in der Wissenschaft mit ihrer historisch gewachsenen Ausdifferenzierung zu zahlreichen Disziplinen. Die Verzweigungen der Wissenschaft in immer mehr Teilgebiete wurde unter anderem von der Säkularisierung der Hochschulen im 19. Jahrhundert vorangetrieben: traditionelle Studienpläne wurden durch nicht-klassische Sprachen, Sozialwissenschaften und Naturwissenschaften wie Chemie oder Physik ergänzt. Darüber hinaus führte die neue Verfügbarkeit von Technologien sowie die schnellwachsende Menge an Informationen dazu, dass sich Fachgebiete immer weiter spezialisierten.
Eine allgemeingültige Definition von Interdisziplinarität zu formulieren, ist schwierig. Man könnte allerdings von bestimmten „Zuständigkeiten“ verschiedener Disziplinen sprechen. Die einfachste Form von Interdisziplinarität ergibt sich dann daraus, dass ein Gegenstand bestimmte Eigenschaften hat, die in die „Zuständigkeitsbereiche“ verschiedener Disziplinen fallen. Viele Disziplinen selbst sind aus der Kooperation über Disziplingrenzen hinweg entstanden; berühmtes Beispiel ist die Medizin. Hier klingt schon an, was intuitiv vermutet werden kann: Im Prinzip ist nichts streng disziplinär. Fachliche Grenzen haben sich historisch entwickelt und sind nicht naturgegeben, die einfache Grenzziehung zwischen den Disziplinen ist also schwierig. Unsere Welt ist komplex. Und so sind es die Versuche, diese Komplexität zu ordnen.
Allen Kategorisierungen von „Interdisziplinarität“ gemeinsam ist aber die Grundbedeutung: inter disciplinas (lat.: zwischen den Disziplinen). Es geschieht etwas zwischen den Disziplinen: Austausch, gegenseitiges Wahrnehmen, kooperatives Handeln.
Interdisziplinarität als Chance – Interdisziplinarität als Problem
Wegen ihrer kooperativen Grundlage erfährt die Forderung nach Interdisziplinarität gerade in neuerer Zeit einen Aufschwung: Komplexe globale Probleme wie der Klimawandel werden wahrgenommen, wobei die Vielschichtigkeit der Probleme eine Lösung durch einzelne Disziplinen unmöglich zu machen scheint. Interdisziplinarität präsentiert sich hier also als ein soziales Phänomen: das gemeinsame Arbeiten an einem Problem und der gegenseitige Wille zu lernen. Also Friede, Freude, Interdisziplinarität?
Im Gegenteil. Wo verschiedene Ansichten aufeinandertreffen, selbst wenn dies zum Zweck der Problemlösung geschieht, sind Probleme vorprogrammiert. Die offensichtlichste Schwierigkeit liegt in der Verständigung der unterschiedlichen Seiten und den daraus entstehenden Missverständnissen. Im Problemkatalog der Interdisziplinarität findet man auch die Tatsache, dass interdisziplinäre Zusammenarbeit Vereinfachungen erfordert, um das Verstehen beider Seiten zu erleichtern, welche dann aber oftmals zu Verfälschungen der Sache führen können.
Zwischenfazit: Interdisziplinarität löst Probleme. Interdisziplinarität ist sozial. Interdisziplinarität verursacht Missverständnisse. Interdisziplinarität verfälscht… Es ist kompliziert.
Musik und Interdisziplinarität
Ein Gegenstand, der prädestiniert für eine interdisziplinäre Auseinandersetzung ist, erfüllt im einfachsten Sinne Folgendes: seine Eigenschaften fallen in die Zuständigkeiten verschiedener Disziplinen. Musik, zum Beispiel, ist ein solcher Forschungs- und Lerngegenstand. Die Musikwissenschaft selbst ist schon interdisziplinär, schaut man auf die Zuständigkeiten der Systematischen Musikwissenschaft: Akustik, Musikphysiologie, Musikpsychologie, Musiksoziologie, Musikethnologie… Von den zahlreichen Überschneidungen im Bereich Musik und Sprache, Dichtung, Text ganz zu schweigen.
Musik als Gesamtsystem überlappt also mit vielen angrenzenden Disziplinen. Gerade in Bereichen der Musikvermittlung wird dies in der Zusammenarbeit mit verschiedenen künstlerischen und wissenschaftlichen Disziplinen genutzt. Kooperiert wird mit Literaturwissenschaftlern, Sprachwissenschaftlern, Historikern, Astronomen… Moment, da war doch was?
Viele der Veranstaltungsbeispiele vom Anfang fallen in die Kategorie, die Winfried Löffler, Professor an der Universität Innsbruck, höchstwahrscheinlich als „Nice-to-know“-Interdisziplinarität bezeichnen würde: eine scheinbare Interdisziplinarität, die auf Ähnlichkeiten auf der sprachlichen oder metaphorischen Ebene beruhe, aber keine (wissenschaftlich) sinnvolle Interdisziplinarität darstelle. Und Kritiker, die von einem musikalischen Werkbegriff ausgehen, würden einer Herangehensweise wie in den Beispielen im Rahmen der Musikvermittlung vermutlich Verflachung und Eventhaftigkeit vorwerfen.
Interdisziplinarität als Annäherung
Löffler stellt allerdings den Nutzen dieser „Nice-to-know“-Interdisziplinarität nicht grundsätzlich in Frage, da sie ein eine Annäherung der Beteiligten ermögliche, welche dann in eine fruchtbare Interdisziplinarität münden könne. Musikvermittlung will Beziehungen stiften zwischen der Musik, den Ausführenden und dem Publikum und diese Beziehungen dann intensivieren. Dies scheint als Folge des Konzepts der ersten „Annäherung“, von der Winfried Löffler spricht, nicht unvorstellbar.
Interdisziplinär im streng wissenschaftlichen Wortsinn mag Vieles nicht sein. An dieser Stelle sei aber ein Zitat von Wissenschaftstheoretiker Ian Hacking angebracht, der Folgendes zur Diskussion beiträgt:
„Ich fand, es könnte sich lohnen, sich für kollaborierende Disziplinen auszusprechen, die nicht, in irgendeinem wichtigen Sinne des Wortes, ‚interdisziplinär‘ sein müssen.“
Disziplinen, die sich zusammenfinden und kollaborieren, obwohl sie eigentlich nicht für denselben Gegenstand zuständig sind. Eine Vorstellung, die man nicht von Vorneherein ausschließen sollte, nur weil sie nicht in die Kategorie passt. Feststeht: konstitutiver Bestandteil einer interdisziplinären Beziehung ist Kooperation und im Bereich der Kooperation der Musik mit anderen Feldern geschieht vieles, worauf es sich lohnt, einen Blick zu werfen.