Kaum ein Komponist hat das moderne Chorrepertoire so bereichert wie Morten Lauridsen. In seiner Heimat, den USA, darf er stolz das Label „Meistaufgeführter Chorkomponist“ tragen, auch in Europa sind seine Werke beliebt. Anlässlich seines 75. Geburtstags in diesem Jahr brachte die Deutsche Grammophon Ende Oktober ein Album mit dem Titel „Light Eternal – The Choral Music of Morten Lauridsen“ heraus. Klingt nach einer Best-of-Platte, und mit den enthaltenen großen Werken wie dem titelgebenen Lux Aeterna, seinem berühmten O magnum mysterium und den Nocturnes scheint sich dieser Eindruck zu bestätigen. Mit Prayer und Ya eres mia sind jedoch auch zwei bisher unveröffentlichte Stücke enthalten, die sich nahtlos in sein Oeuvre einfügen.
Ein düsteres Brummen im Bassregister, unzählige Oktaven, darüber ein undefiniertes Geigenflimmern: Lauridsens ewiges Licht beginnt nicht hell strahlend, sondern mit unerwartet dunklen Klangfarben; ein mahlerscher Naturlaut. Doch dieses zunächst unangenehme Liegetongemisch erweist sich als fruchtbar, bald erblühen daraus warme Harmonien. Der erste Choreinsatz (Requiem aeternam dona eis) erklingt schließlich a cappella, gesungen auf einem dissonanten, aber dabei sanft schwebenden Akkord. Dieses Kunststück zieht sich durch Lauridsens Gesamtwerk – die häufigen Dissonanzen sind kein Störimpuls, vielmehr verleihen sie seinen Kompositionen einen sphärischen, spirituellen Anklang. Musik, die direkt aus dem Himmel zu kommen scheint.
Neben Lauridsens unverwechselbarer Klangsprache ist für diesen Höreindruck vor allem der Chamber Choir of Europe verantwortlich. Vierundzwanzig Stimmen aus fünfzehn verschiedenen Ländern vereint Dirigent Nicol Matt zu einer Klangwolke, die in den homophonen Passagen pastellartig verschwimmt, um darauf mit weichen, aber klaren Strukturen mal feine, mal breit leuchtende Linien zu zeichnen. Diese neuen Aufnahmen sind etwas besonderes, sie verleihen Lauridsens Werken eine ungekannte Tiefe. Das Album entstand in intensiver Zusammenarbeit mit dem Komponisten, der neben dem Orchester I Virtuosi Italiani immer wieder selbst am Klavier zu hören ist.
Nicht so sphärisch, aber auch nicht weniger wundervoll sind die Chansons de Roses nach Gedichten von Rainer Maria Rilke, von denen zwei aus fünf auf dem Album einen Platz gefunden haben. Nummer eins, En une seule fleur, bildet mit seinen stetigen Tempowechseln eine vergnügte Ausnahme auf dem sonst andächtigen Album, während das berühmte Dirait-on, wieder ruhig, durch die süße, beinahe kitschige Melodie ein wenig an John Rutter erinnert.
Mit dem Titel Ov’è lass‘ il bel viso? aus den Six Fire Songs zeigt Lauridsen, dass er nicht nur eine himmlische, sondern auch eine diabolische Klangsprache beherrscht. Hier werden dem Hörer die clusterartigen Akkorde drohend entgegengeschmettert, ein tonlos geflüstertes lass‘ zum Schluss entlässt den Hörer ausnahmsweise mit Unbehagen aus dem Stück.
Außergewöhnlich sind auch die Umstände, unter denen Lauridsen zuweilen komponiert. Einige seiner früheren Werke entstanden bei Kerzenschein auf einem 50-Dollar-Klavier – auf einer einsamen Insel an der kanadischen Grenze. Womöglich bedarf es dieser Abgeschiedenheit von störenden Einflüssen, um derart reine, klare Musik zu schreiben. In jedem Fall schlägt sich diese asketische Kompositionsweise in seinen Werken nieder. Sie transportieren Demut, Ausgeglichenheit und Frieden mit sich selbst und der Welt. Lauridsens Musik gibt dem Hörer etwas, von dem er nicht wusste, dass er es braucht.
Beitragsbild: CD Cover “Light Eternal” © Die Deutsche Grammophon