Es ist ein sagenumwobener Ort: Bayreuth mit seinen jährlichen Festspielen. Als eine von über 200 Stipendiat:innen war Clara Hütterott vom Wagner Verband Dortmund e.V. eingeladen, fünf Tage im Festspielort zu verbringen. Sie schildert ihre Eindrücke.
Es ist so weit: Fünf Tage Bayreuth, fünf Tage Wagneropern sehen, hören, fühlen. So zumindest meine Erwartung und ich bereite mich wenigstens noch im Zug etwas vor. Zwar weiß ich nicht genau, wo ich anfangen soll – ob bei den monumentalen Werken (inklusive ihrer Rezeptionsgeschichte, versteht sich) oder dem sagenumwobenen Ort oder vielleicht doch der eventuell bald endenden Familiendynastie? – doch bleibt bei der langen Anfahrt zum Glück Zeit für ein bisschen von allem.
Wie sich herausstellt, erwartet mich ein vielseitiges Programm: Ein Empfang folgt dem anderen, Museumsbesuche, Stadtführungen und dazwischen eben auch Oper.
Bei den Empfänge wird betont, es gehe vor allem um Musik: „Haben Sie schöne Stunden im Festspielhaus“, begrüßt Katherina Wagner höchstpersönlich, „Sie werden sehen – es wird sich lohnen!“, verspricht Stiftungsvorsitzende Stephanie Kollmer, „Wagner wollte keinerlei Prachtentfaltung sondern reine Funktionalität“ versichert Wagner-Museumsdirektor Dr. Sven Friedrich.
Fantastisch! Ich hatte versnobteres erwartet. Mehr so etwas wie „Seien Sie froh, hier sein zu dürfen!“, „Wer die Libretti nicht auswendig kann, fahre bitte wieder nach Hause!“ oder „Ohne Abendkleid kommen Sie nicht rein!“. Der Einführungsvortrag vor der ersten Vorstellung aber gibt einen groben Abriss über Stadt- und Festspielhausgeschichte sowie den bei Wagnerianer:innen etablierten Festpiel-Knigge. Ich komme mit meiner sporadischen Vorbereitung problemlos mit und wenn ich gewisse Blicke aushalten würde, anscheinend auch ohne Abendkleid in die heiligen Hallen.
Schnell zeigt sich, dass es um viel mehr als ‚nur‘ Opern geht.
Alle Stipendiat:innen sind interessiert und heiß darauf zu diskutieren. Jeder Abend geht weitaus länger als Mitternacht, weil wir so lange zusammensitzen und quatschen. Ich tausche Nummern mit einer Regisseurin aus England, einem Tenor aus Frankreich und einem Flötisten aus Kuba. Binnen dieser fünf Tage gehe ich kulturpolitischen Fragen auf den Grund, vernetze mich international und schließe Freundschaften fürs Leben.
Dann schimmert in den Reden und Ansprachen noch etwas anderes als Musik, Musik, Musik durch. Es scheint eine Rolle zu spielen, dass wir wieder kommen. Durch die Reihe weg heißt es, treten Sie in die großen Fußstapfen Ihrer Vorgänger! (Wiederholt kommt der Hinweis, 30% des Ensembles bestehe aus ehemaligen Stipendiat:innen) Kommen Sie als Mitwirkende zurück! Kaufen Sie für Ihren Lebensabend jetzt gerade noch günstige Immobilien in Bayreuth!
Ganz klar doch nicht nur Musik. Blanke Angst vor fehlendem Nachwuchs scheint es mir (noch?) nicht zu sein. Doch die Vehemenz und Häufung fallen auf.
Aber wieso, frage ich mich. Hat der aus musiktheatraler, kulturpolitischer und historischer Sicht so einzigartige grüne Hügel Nachwuchssorgen?
Am künstlerischen Material kann es nicht liegen. Jedes Mal versinke ich aufs Neue, Wagners Werke machen süchtig. Definitiv. Am Anfang eines jeden Aktes schwindet das Licht, die Spannung steigt, einige Sitze knarzen und die Musik setzt ein. Der Klang lullt mich ein und lässt nicht los. Mal Elisabeths Pianissimo-Stellen im Tannhäuser, mal Fortissimo-Stellen vom Tutti im fliegenden Holländer.
Und auch die in den Opern verhandelten Fragen sind und bleiben universell. Die Diskussionen auf der Rückfahrt erreichen ähnliche Lautstärken wie der Orchestergraben. Nicht alle Inszenierungen überzeugen gleichermaßen, aber alle regen an. Was ist das für ein Trend, diese Videokunst auf der Opernbühne? Welches Potenzial birgt Komik? Inwieweit entsprechen Plastikponchos bei Platzregen nach Vorstellungsende dem Diskursthema „Kunst und Klima“?
Es muss an etwas anderem liegen und meine Ahnung steigt mit jedem weiteren Festspielhausbesuch. Zwischen die genussvollen Momente schleicht sich eine kühle, ja fast abschätzige, Distanz. Die nur einem ausgewählten Kreis bekannten Verhaltensregeln, das Zurechtweisen während der Vorstellungen (das by the way lauter ist als die eigentliche Störung…), die Preise der Getränke und des Essens, die anwesende Prominenz. Es ist ein spürbares ‚Ihr‘ und ‚Wir‘. Seitens der Organisator:innen heißt es, die Musik stünde im Mittelpunkt. Auf dem grünen Hügel bekomme ich den Eindruck, dass für die meisten alles Relevante drum herum passiert.
Mein erstes Mal bleibt in Erinnerung. Ob es ein Zweites geben wird? Ich bin mir noch nicht sicher. Es war eine wagnersche Palette an Gefühlen und dazu gehören eben nicht nur positive. Wenn sich der Fokus weg von der Unantastbarkeit und der Exklusivität der heiligen Hallen hin zu künstlerischen Höhepunkten verschiebt, dann wäre ich dabei. Dann bliebe der Suchtfaktor erhalten. Dann könnte ich mich der Musik ganz hingeben und mich danach auch noch mit anderen Begeisterten darüber austauschen.
Wären das nicht befriedigende Aussichten?
Foto Credits: markusspiske von pixabay und Richard-Wagner-Stipendienstiftung
Video Credits: Clara Hütterott