Das dritte und letzte Konzert vor der Sommerpause im Domicil. Zwei kleine Jazzcombos versprechen an diesem Abend „Messages“ – so der Konzerttitel. Paul Littich hat sich damit beschäftigt, ob diese Botschaften nach dem Konzert angekommen sind. Eine Rezension.
Rote Stühle. Paarweise, getaucht in rotes Licht. Überall Abstand, an den Seiten, vorne, hinten.
Ob der große Saal des Dortmunder Domicils durch die Corona-Sicherheitsbestimmungen stylisch oder trostlos aussieht, ist auch nach dem Konzert noch nicht so wirklich klar.
Viel wichtiger ist sowieso, dass überhaupt wieder Konzerte stattfinden, wenn auch nur für 60 Personen.
Beim letzten Konzert vor der Sommerpause – das erst dritte seit Mitte März – stehen zwei kleine Jazzbesetzungen im Mittelpunkt.
Hans Wanning (Klavier) und Jaime Moraga Vasquez (Schlagzeug) eröffnen den Abend mit…Hm, was ist das eigentlich?
Free Jazz mit klassischen Einsprengseln und einer Energie, die immer am Anschlag ist. Ein Suchen und Finden, ein Kreisen um Genres und Harmonien, ein Verschieben und Wabern der Stile und Rhythmen.
Der heutige Abend steht unter dem Motto „Messages“, doch gesprochen wird während des 40-minütigen Improvisationsstücks nicht. Zwar gibt es in der zweiten Konzerthälfte einen eher humoristischen, als ernsten Kommentar zur Donald-Trumpschen-Politik, doch ansonsten bleibt der Abend arm an Botschaften. Ein kleiner wörtlicher Hoffnungsschimmer, ein kleines „Auf-den-Rücken-Klopfen“ oder „Wir-schaffen-das“ hätte den Abend noch intensivieren können. Nur zu Beginn, bevor der erste Ton erklingt, begrüßt Hans Wanning das Publikum und bereitet es vor: Er wisse genauso wenig, wie die Anwesenden, was gleich passieren werde.
Überraschenderweise ist der Beginn dann doch äußerst kontrolliert – und wunderschön.
Wanning spielt volle, träumerische Akkorde, so sanft, dass der Atem stockt. Er lässt ihnen genug Zeit, sich im Raum zu entfalten. Es ist sphärisch, wie sich die Klänge langsam neu mischen und so steigt auch die Spannung ganz sachte, aber stetig. Währenddessen fängt Jaime Moraga Vasquez an, sein Schlagzeug zum Klirren und Zittern zu bringen. Nur sehr spärlich und geräuschhaft umspielt er das Klangbett, das Wanning ihm bereitet hat.
Manchmal ist das Zuhören schwierig, weicht doch bald der liedhafte und lyrische Charakter des Beginns schnellen Staccato-Einwürfen. Das Klavier zerhackt die Melodien und sie sind nur noch als Bruchteile erkennbar. Das Schlagzeug bäumt sich auf und tanzt zusammen mit dem Klavier einen brutalen Tanz, um jeden einzelnen Ton. Hans Wanning und Jaime Moraga Vasquez sind tief mit und durch die Musik verbunden, gemeinsam spinnen sie das Stück immer weiter. Wanning rutscht oft ekstatisch auf seinem Klavierhocker hin und her, springt beinahe auf, im Einklang mit der Musik. Immer dann, wenn dieser Klangrausch fast zu gewaltig, zu anstrengend geworden ist, fällt die Intensität ab. Dann schweben wieder die sehnsuchtsvollen Akkorde, die das Stück eröffnet haben, in den Vordergrund. Ruhig und behutsam, wie schon der Beginn, endet die Musik. Applaus brandet auf. Bravo.
Die zweite Konzerthälfte in Triobesetzung (Ryan Carniaux – Trompete, Reza Askari – Bass, Nils Tegen – Schlagzeug) ist eher einem „klassischen“ Jazzsound zuordenbar, mit voneinander getrennten Musikstücken und dem Wechsel von musikalischen Themen und Soli.
Im Mittelpunkt aber steht das Werk des Jazztrompeters Don Cherry, das den Free Jazz atmet und, zwischen all den prächtigen Melodiebögen, mit erhobenem Zeigefinger der Atonalität Raum lässt. Bass und Schlagzeug grooven sich langsam, aber bestimmt ein, während Ryan Carniaux an der Trompete zu Spielen beginnt. Die melodiösen Linien sind sehr luftig und lassen viele Nebengeräusche zu.
Sein Sound wirkt anfangs beinahe zerbrechlich – Gerade wenn Carniaux seinen inneren Bebop-Schweinehund herauslässt und sich laut und leicht in die höheren Register schraubt. Beim Improvisieren pendelt er stets zwischen großen Melodiegesten und rasanten Licks, die er mit gelegentlichen Bendings und Growls anreichert.
Auch Reza Askari am Kontrabass kann mit seinen Soli glänzen und entwickelt dabei einen obertonreichen und satten Bassklang, der den kompletten Tonraum abdeckt. Gerade die ruhigeren Momente, spielt er wunderbar zurückgelegt, ohne die nötige Präzision vermissen zu lassen. Nils Tegen am Schlagzeug unterstützt ihn dabei mit Beats, die punktgenau durch den Saal hallen. Das bleibt immer angenehm auf Augenhöhe und lediglich bei seinen stimmungsvollen Schlagzeugsoli, die von einem klaren Spannungsbogen profitieren, spielt sich Tegen in den Vordergrund.
Als der letzte Ton erklingt gibt es sogar Standing Ovations, obwohl das doch eigentlich coronabedingt gar nicht erlaubt ist. Natürlich gibt es eine Zugabe und so kehrt noch einmal der Swing zurück, bevor alle den Saal durch den Hinterausgang und ein dunkelkaltes Treppenhaus verlassen müssen.
Gute Musik war das zwar, doch die Corona-Trostlosigkeit konnte sie nicht komplett aus den Köpfen der Anwesenden vertreiben.
Fotocredits:
Beitragsbild, Hintergrundbild
und alle im Beitrag verwendeten Fotos © Kurt Rade