Zwei Abende, drei Pianisten, sechs Werke und ein Gewinner. So konzeptioniert sich die finale Zielstrecke des Honens-Wettbewerbs, der alle drei Jahre in Calgary (Kanada) stattfindet. Was auf dem Programm steht, konnten alle selbst bestimmen, ihre individuelle Stückwahl wird mitbewertet. Summa summarum: einhundert Punkte. Die beiden Abschlusskonzerte mit Orchester zählen bei der Abrechnung lediglich dreißig, die anderen zwei Blöcke 2Kammermusik” und “Klavier solo” jeweils ebenso. Auch der Medienaspekt fällt nicht unter den Tisch, zehn Punkte können im Prüfungsinterview ergattert werden. Besucher der zwei Abschlussabende haben nur einen Teil der Wahrheit hören können und es kann Irritation auftreten, wie es so mancher ins Finale geschafft hat. Das Werkeln mit Orchester ist nicht das Talent eines jeden Starpianisten.
Mozarttapete & Schuhwerkhammer
Artem Yasynskyy scheint ein solcher Kandidat zu sein. Böse und leise wurde am bitteren Ende gezüngelt, wie er es überhaupt hierher geschafft hat. So recht erschließt sich das einem tatsächlich nicht. Klar, ein großer Pianist, nur die hiesige Konkurrenz schubst ihn blass in die Ecke. Beim ersten Konzertabend greift er mit einem Klavierkonzert von Mozart heftig daneben, hätte besser Beethoven spielen sollen. Das Klavierkonzert Nr. 24 in c-Moll nimmt Schaden an der Interpretation, mühsam, schwerfällig und kalt schleppt sich Yasynskyy durch das Stück. Freilich, ein Mozartklavierkonzert hat es in sich, gar nicht wegen der Noten, sondern der Tiefe dazwischen, die diese Musik braucht, um weder als Kitsch, noch im Grab zu enden. Prunk will Artem Yasynskyy nicht, erstickt damit aber das Leben im Stück. In schnellen Läufen erahnt man, was er kann. Obwohl er mit Konzertflügel auftritt, hat man das silbrige Hammerklavier im Ohr. Das ist überraschend und sehr fein. Der musikalische Charakter wird auf seine Interpretation nur leider aufgeklatscht, angeklebt und hält nicht recht. So fällt die Mozarttapete auf den Boden, Klavierkonzert ade.
Den zweiten Abend eröffnet Yasynskyy mit Prokofiev Nr. 3 und die Katastrophe geht in die nächste Runde. Heute klappert das, was gestern noch hoffen ließ: der Rhythmus. So bringt er den fabelhaften Dirigenten Yann Pascal Tortelier an die Nervengrenze. Tortelier kann sich nicht wirklich auf sein Orchester konzentrieren, hämmert (mit dem Rücken zu den Musikern!) den Takt mit Schuhwerk vor. Das alles tut einem schrecklich leid, für Yasynskyy, für das Orchester und für das Publikum. Der Schneeballeffekt beginnt, ein unsauberes Calgary Philharmonic Orchestra deutet musikalische Ideen nur noch an, verhungert am ausgestreckten Arm. Im dritten Satz endet das Werk gerade noch so gemeinsam, worauf man stellenweise nur hoffen konnte.
Bilder: Monique de St. Croix
Bilder: Monique de St. Croix
Spontanzauber & eine Packung Schwerkraft
Henry Kramer liebt es zu kommunizieren und seine musikalische Mitteilung hat es gewaltig in sich. Er begeistert für sein Spiel, vor allem aber für das Werk. Die Stückwahl ist riskant. Es wird sich lohnen. Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 sollte die Gattung einst aus dem Salon in den Konzertsaal katapultieren, eine jähe Kraft zieht sich durch die Interpretation von Kramer, die Binnendynamik ist ihr Kleber. Atemberaubend, wie er den Ton auffächert, die klangliche Reichweite erreicht das Maximum, jeden Kubikzentimeter im Konzertsaal befüllt er mit Klang, der hypnotisierend vibriert. Orchester und Solist erkunden das Werk gemeinsam, wunderbar d’accord verständigen sie sich. Dirigent Tortelier kitzelt alles heraus und es bleibt die Frage, was sich spontan entwickelt. Es wird gewettet, probiert und gezaubert. Kramer faselt sich selbst in den Wahn, beruhigt sich durch die Musik, wird dabei nie bemitleidenswert und klingt doch genial verletzt.
Die Beethovenwahl von Konzertabend eins passt ideal. Kurzes Schaudern überfällt einen, erblickt man das Programm am nächsten Tag: Prokofiev Klavierkonzert Nr. 2 in g-Moll. In keiner Sekunde ist ein Verstecken hinter dem Orchester möglich, ein ausgestellter Solist muss die unfassbar verzwickten, nie enden wollenden Läufe mit Ruhe bezwingen. Stopfen sich die Notenzeilen mit immer mehr schwarzen Punkten zu, lädt das zum rastlosen Rasen ein. Er bleibt erstaunlich gelassen, lädt sich eine Packung Schwerkraft auf die Schultern und gewinnt damit. So scharfkantig, rigoros und frech tribbelt Kramer durch das Paradestück, dass die Nervosität überschwappt. Er muss jede Note von allen Seiten durchdacht haben, seine Aussagekraft reduziert sich zwar, angesichts der neuen Facetten scheint das jedoch trivial. Nach der sich jähzornig auftürmenden Kadenz fallen die Kinnladen im Publikum. Kein Zweifel, den Namen Henry Kramer sollte man im Oberstübchen abspeichern.
Getänzel & Bürsten der Waschstraße
Luca Buratto würde am liebsten auf dem Klavierhocker tanzen. Manchmal spannt er den rechten Oberschenkel so sehr an, dass der Sitzkontakt fehlt, zeitgleich schwingt er den linken Fuß in Richtung Klavier. In dieser Manier tollt er durch Mozarts Klavierkonzert “Jeunehomme“, unartig schnarren die Töne zwischen den Orchestermusikern. Es könnte eine Jagd sein, bei der niemand weiß, wie sie ausgeht. Mit dieser Unberechenbarkeit kämpft auch Tortelier, doch die prickelnd-scharfe Triller scheren alles wieder in den Taktfluss ein. Die Spielfreude von Buratto ist zupackend, geradzu umwerfend bei den schnellen Ecksätzen. Dazwischen widerspricht er sich dann zum Glück selbst, er kann mehr als Spaß, macht klar, dass seine Interpretation einen doppelten Boden beinhaltet, den man oft bei Mozart vermisst. Die Tempouneinigkeiten und Intonationspatzer der Calgary Philharmonics rütteln am gesamten Werk, Buratto trudelt, kämpft mit den Spannungsbögen. Schade, sitzt man doch auf der Stuhlkante und will mehr von dieser kecken Herangehensweise.
Buratto zückt am zweiten Abend, ebenso wie Yasynskyy, das dritte Klavierkonzert von Prokofiev und macht vor, wie es laufen sollte. Das Schnarren ist wohl sein Markenzeichen, gewieft gemacht, denn damit steckt er das Orchester an, begeistert die Musiker und das Publikum. Dirigent Tortelier hat endlich genug Zeit sich um mehr zu kümmern als nur um den Zusammenhalt. Buratto packt das Stück am Schopf, bändigt es und treibt es dann gezielt auf die Spitze. Wie riesige, rotierende Bürsten aus einer Autowaschanlage prasselt das rasante Tongepurzel aufs Orchester ein. Aufwühlend! Problemlos löst er die Verstrickungen des Tonmaterials auf. Diesem Strahlen, Witzeln und Begeistern zuzusehen ist einfach toll.
Bilder: Monique de St. Croix
Warum der Honens- zeitgleich mit dem Leeds-Klavierwettbewerb über die Bühne brettert, mag man unverständlich finden, schreibt man sich doch beiderorts auf die Fahnen, die Besten der Besten zu haben. Die Landschaft der Klavierwettbewerbe ist dicht besiedelt, aber keines gleicht dem anderen. In Calgary hegt und pflegt man seine Teilnehmer bis zum nächsten Turnus, also drei Jahre. Außergewöhnlich und sinnig, wenn man verhindern will, ein einziges Event, eine Ausstellung der jungen Äffchen, auf Kosten der Teilnehmer zu stiften. Dass der Preis kulinarische Früchte trägt, machte bereits Jean-Efflam Bavouzet klar. Der Gewinner Luca Buratto darf sich über einhunderttausend Kanadische Dollar freuen und viel wichtiger, er wird in den nächsten Jahren mit einer halben Million (!) Dollar ideel unterstützt. Mehr Futter kann man einem jungen Künstler nicht geben. Ob er zu einem der ganz großen Pianisten im Geschäft wird, muss man abwarten.