Wir schlagen die Augen auf und es ist morgen. Oder vielleicht ist es auch gestern? Wer weiß das heutzutage schon so genau. Die Welt schwimmt in einer wabernden Kugel aus Zeit. Jeder neue Tag scheint, trotz seiner angeborenen Einzigartigkeit, genau das gleiche Gefühl zu hinterlassen. Eine Art niederdrückende Schwerelosigkeit, die uns weltweit in Richtung Boden der Tatsachen stürzt. „Willkommen, Bienvenue, Welcome“ im Cabaret der Goldenen Zwanziger! Die Jahre der großen Depression, selbstverständlich auch auf wirtschaftlicher Ebene. Eine Zeit der grenzenlosen Höhen und bodenlosen Tiefen, welche möglichst öffentlich und gemeinsam einsam verlebt werden.
Ob unsere Urgroßeltern die gleichen Gedanken hatten? An den Grundzügen der Welt hat sich in den letzten 100 Jahren wohl kaum etwas verändert. Soviel Fortschritt und doch tritt man auf der Stelle. Wir rasen von einem Problem zum nächsten, nur um es gegen ein neues, interessanteres einzutauschen. Die zurückgelassenen Probleme sind nicht etwa gelöst. Ganz im Gegenteil: Sie warten lediglich geduldig darauf, wieder an die Reihe zu kommen und von der Kunst ins Rampenlicht gerückt zu werden. Wenn die Kunst selbst zum Problem wird, ist das natürlich eine äußerst bedauerliche Situation. Aber nicht zu ändern, oder?
Während Konzerthäuser stillstehen und Ensembles auf eine gute Zoomverbindung zum Proben hoffen, berichten Medien von der vermeintlichen Rückkehr der Delfine nach Venedig. Der Himmel ist blau und die Luft scheint rein. Wie praktisch, wenn sich Probleme gegenseitig erledigen. Die Welt bringt sich in Ordnung für diejenigen, die das Geld haben darauf zu warten. Wer sich die Zeit nicht leisten kann, muss selbst gucken wo er bleibt. Oder wohnt.
Für den Augenblick wirkt die Welt wie aufgebraucht. Es ist nichts mehr da, was konsumiert werden könnte. Nur gut, dass wir vor der eigenen Realität an unseren allgegenwärtigen ‚save space‘ flüchten können. Während unsere Laptops heiß laufen und uns davor bewahren an Einsamkeit zu erfrieren, stellen wir uns mutig einer virtuellen Wirklichkeit. Angeführt von Pianist Igor Levit, der uns zeigt, dass man Wunder auch aus dem eigenen Wohnzimmer heraus bewirken kann. Innerhalb nur weniger Wochen, schafft der Künstler es, anhand von Konzertübertragungen auf Twitter, seine ganz eigene Revolution der Aufnahmetechnik umzusetzen. Mittlerweile ist es sogar möglich, der Musik zuzuhören ohne diese stumm zu schalten.
Die Zeit ist pluralistischer denn je. Es existiert nicht nur sehr viel Gestern, sondern auch eine ganze Menge Heute. So viel, dass es nicht nur unmöglich scheint, sich alles anzuhören. Wie Bernd Alois Zimmermann wohl das Jahr 2020 vertont hätte? Vielleicht irgendetwas zwischen Vergoldung und Schwarzmalerei, definitiv weniger Beethoven.
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Beitragsbild: Foto von Hanna Postova / Unsplash