Umjubelt wie ein Popstar: Klaus Florian Vogt gilt seit den Bayreuther Festspielen 2011 als der Lohengrin schlechthin. Ida Hermes hat sich ins Fan-Getümmel gestürzt und den Heldentenor in der Deutschen Oper Berlin erlebt.
Nun hört, ob ich an Adel euch nicht gleich. Gelassen tritt die schlanke, hohe Gestalt zum Bühnenrand. Zieht einen Zettel aus der Tasche und offenbart, dass das Folgende sorgfältig erdacht und auswendig gelernt ist. Gesendet vom Heiligen Gral – wer das glaubt, dem ist auch nicht mehr zu helfen. Regisseur Kasper Holten will Lohengrin heute Abend als Scheinhelden demaskieren. Als einen Blender mit politischem Kalkül, dessen Suggestionskraft wir zum Opfer fallen. Doch der Schwanenritter denkt gar nicht daran, sich das gefallen zu lassen. Klaus Florian Vogt ballt die Fäuste, als er die letzten Verse der Gralserzählung in jeden Winkel des Saals katapultiert. „Vom Gral ward ich zu euch daher gesandt!“, daran lässt er keinen Zweifel.
Die Deutsche Oper Berlin ist restlos ausverkauft. Vor den Saaltüren stehen zwei zugeknöpfte Damen vom Richard-Wagner-Verband, gegenüber kann man für einen Zwanziger die dreiteilige Schnittchen-Komposition „Lohengrin“ erstehen. Inwiefern Räucherlachs mit dem dritten Aufzug kohäriert, muss allerdings ein Mysterium bleiben. Menschen in Abendkleidern und Anzügen mit goldenen Anstecknadeln drängen sich in den Fluren, suchen nach CD-Aufnahmen oder dem Programmheft. Seit der Premiere 2012 gehört Kasper Holtens Inszenierung zum festen Repertoire des Hauses. Doch das scheint hier niemanden wirklich zu interessieren. Die Attraktion des Abends ist die hochkarätige Besetzung: Anja Harteros als Elsa, daneben Bayreuth-Erprobte wie Petra Lang (Ortrud), Ain Anger (König Heinrich) und Simon Neal (Telramund). Vor allen anderen aber: Klaus Florian Vogt als Lohengrin.
„Ich glaube, dass Wagners Musik am besten verständlich wird, wenn man sich an den Notentext hält. Seine Gesangspartien sind sehr genau durchdacht: Gerade die lang gebauten, verwobenen Sätze des Librettos müssen richtig gegliedert und betont werden, damit man sie als Hörer nachvollziehen kann.“ (Klaus Florian Vogt)
Wer Wagners letzte romantische Oper zum ersten Mal hört, möchte kaum seinen Ohren trauen. Sich die Augen reiben, als könne man dann beobachten, was da wie ein Lichtstrahl durch einen wolkenverhangenen Himmel bricht. Und wie grausam, wenn sich dem Glanz die Schroffheit der Kriegsrufe und Heeresmusiken entgegensetzt! Vogt ist dafür bekannt, diese Extreme zu beherrschen. Seine Stimmfarbe ist unvergleichlich hell und klar, eine kolossale Ausnahme unter Wagner-Tenören. Gerade mezza-voce-Passagen sind seine Stärke, ein Pianissimo, das selbst aus der Ferne ganz nahe scheint. Das Portamento fein dosiert, statt – wie so oft – Überbrückungshilfe für große Intervallsprünge. Umso stärker die Zerstörungskraft seiner Ausrufe wie O, Elsa! Was hast du mir angetan? Blankes Entsetzen ließ er damit 2011 in der berühmten Ratten-Inszenierung von Hans Neuenfels zurück. Nicht so in Berlin. Stürmischer Applaus bricht los, während der Schlussakkord noch im Raum verhallt – geschockt oder betroffen ist hier niemand.
„Ehrlich gesagt stehe ich ein bisschen auf Kriegsfuß mit dieser Inszenierung.“ Klaus Florian Vogt lacht, mehr belustigt als verlegen. So wie Lohengrin in eine fremde Welt geworfen wird, findet sich Vogt an diesem Abend mit einer Regie konfrontiert, die seiner persönlichen Haltung fremd ist. „Lohengrin ist eine zutiefst ehrliche und geradlinige Figur, für die Vertrauen und Gerechtigkeit von höchster Bedeutung sind. Ein Betrug liegt ihm völlig fern.“ Da wundert es nicht, dass sich Titelheld und Inszenierung gehörig im Weg stehen. Der anfängliche Versuch des Sängers, sich in die vorgegebene Figureninterpretation hineinzudenken, mündet in schauspielerischer Ratlosigkeit. Dann beginnt Vogt, die Ehre seiner Figur immer entschlossener zu verteidigen. Am Ende steht er da, mit erhobener Faust, als die Heldenfigur, vor der Kasper Holten uns so sehr warnen wollte – und wird umjubelt. Ein Lohengrin-Darsteller wird zu Lohengrin selbst.
Die Zweifel an der Heldenhaftigkeit dieser Figur sind eigentlich ein interessanter Aspekt der Oper. Doch Holten scheint sie bis zur Gewissheit steigern zu wollen: Lohengrins Kampf gegen Telramund zeigt er als ein Blendwerk aus Nebel und Scheinwerferlicht, die Heirat mit Elsa ist eine Theatervorstellung und die Gralserzählung eine Lüge. Ganz davon zu schweigen, dass er den Verdacht nahelegt, der Ritter habe Elsas Bruder Gottfried ermordet und drohe seine Abreise nur an, um sich als Held noch unabkömmlicher zu machen. Das sind Interpretations-Konstrukte, die das von Wagner so fein ausgearbeitete Gefühlsleben der Figuren vernachlässigen und vom eigentlich sinnvollen Grundgedanken (Glaubt nicht alles, zweifelt!) ablenken.
Die Euphorie der Zuhörer wirkt am Ende wie eine ironische Pointe darauf, wie wenig Menschen dazu bereit sind, sich ihre Helden nehmen zu lassen. Andererseits ist diese Feststellung angesichts der fast durchweg CD-reifen Interpretationen der Sänger relativ. Und Klaus Florian Vogt zeigt, wie sehr man als Darsteller auf eine Inszenierung Einfluss nehmen kann, ohne sie zu sabotieren. Ein Star-Kult, hinter dem es vieles zu entdecken gibt.