Zwischen der Idee und einer Partitur liegen Welten. Papier, Notensatz-, Bildbearbeitungs-, Graphikprogramme, Verlagshäuser, Lektoren, Kopisten, Notensetzer und viel Hirnschmalz. Die Komponistin Brigitta Muntendorf behält diesen Prozess meist in ihren eigenen Händen, kämpft dabei aber des Öfteren mit den Einstellungen eines Notationsprogramms. Wir haben mit ihr über den Umgang mit den Mitteln beim Komponieren gesprochen.
terzwerk: Notationsprogramme ersetzen heute das Handwerk des Notensetzers. Ist das nicht zu viel als Komponistin, sich auch um eine professionelle Notation zu kümmern?
Muntendorf: Nein, ich finde die Notation ist ein ganz wichtiger Teil des Kompositionsprozesses. In der Notation fokussiert sich die Idee. Das ist wie wenn man Gedanken ausspricht, oder aufschreibt und sich fragt, wie will man diese konkretisieren? So ist das auch bei künstlerischen Ideen. Außerdem muss man als Komponistin beachten, dass andere Menschen die Musik interpretieren. Deswegen finde ich es ziemlich wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, wie man die Ideen weitergibt und wie man sie zugänglich macht. Eine Partitur ist auch ein Dokument, welches bleibt und es muss jemandem, der die künstlerische Idee noch nicht kennt, so viele Fragen wie möglich beantworten.
terzwerk: Hast du schon mal etwas notiert, was Musiker völlig missverstanden haben?
Muntendorf: Sicherlich. Schwierig ist es immer, wenn ich etwas notiere, was relativ offen ist. Zum Beispiel ein musikalisches Element, über das man improvisieren kann mit bestimmten Parametern, wie Lautstärke, oder ungefährer Ausdruck. Dafür finde ich die Programme nicht richtig geeignet. Ich muss ohnehin für jedes Stück neue Zeichen und Notationen erfinden und investiere grundsätzlich immer sehr viel Zeit in die Notation. Für eine Textur die musikalischen Freiraum lässt, müsste ich aber das angebotene Notensystemlayout grundlegend auf den Kopf stellen, bevor ich überhaupt etwas schreiben kann. Das ist es mir nicht wert. Deshalb schreibe ich in diesen Fällen ein Notenbild, welches herkömmlicher aussieht und kommuniziere meine Intention verbal oder schreibe einen Text dazu. Allerdings kommen da immer Fragen und Unklarheiten auf. Vielleicht ist es das professionelle Notenbild, was Hemmungen erzeugt. Handschriftliche Notation löst generell eine größere Freiheit bei den Musikern aus.
terzwerk: Wie sollten die Programme gestaltet sein, damit sie mehr Freiheit erlauben?
Muntendorf: Man müsste sie von der anderen Seite aufziehen. Programme wie Sibelius oder Finale sind auf eine standardmäßige Partitur eingestellt. Das aufzubrechen und sich Freiheit zu erkämpfen, empfinde ich als eine total lästige und unnütze Arbeit. Ein Programm welches eine künstlerische Freiheit im Improvisieren und in der Interpretation als Ziel haben möchte, müsste eigentlich mit einem weißen Blatt anfangen.
terzwerk: Wie integrierst du denn Notensatzprogramme in deine Arbeit?
Muntendorf: Für mich kommen die Programme immer an letzter Stelle. Am Anfang arbeite ich nur auf Papier. Ich mache oft eher Skizzen oder schreibe einen Text. Das geht am schnellsten, wenn ich alles erst ein mal frei erfinden kann. Wenn es dann um die konkrete Umsetzung geht, ist das Notationsprogramm sehr wichtig, weil es die Vermittlung beschleunigen kann. Ich kann die Stimmen sehr schnell erstellen und nach Wunsch z.B. das Format anpassen. Letztlich hängt es aber davon ab, um was für ein Stück es sich handelt. Wenn es ein Stück ist, welches in Notenlinien passt, geht das Hand in Hand. Aber sobald ich z.B. performative Elemente einbauen möchte, stoße ich an die Grenzen eines Notationsprogramms.
terzwerk: Was machst du, wenn du an solche Grenzen kommst?
Muntendorf: Dann arbeite ich mit zwei oder drei Programmen gleichzeitig. Zum Beispiel kopiere ich die Noten aus dem Notationsprogramm, fertige Bilder mit Photoshop an und füge sie in ein anderes Programm ein. Beim Komponieren erlebt man ohnehin schon einen Verlust, wenn man eine Idee aufschreibt. Um weiteren Verlust zu vermeiden, der entsteht wenn man ein solches Programm benutzt, muss man sehr flexibel denken und Zeit einkalkulieren.
terzwerk: Wie genau entsteht dieser erste Verlust? Allein dadurch, dass man eine Idee aufschreibt?
Muntendorf: Ich habe eine Idee und in dem Moment, in dem ich sie aufschreibe, muss ich ganz viele Entscheidungen treffen. Welcher Ton wird gespielt, wie laut soll dieser sein und in welchem Register wird er gespielt? Ob man dann diese Idee ganz genau so trifft oder ob sie sich verwandelt, ist ein Teil des Kompositionsprozesses.
terzwerk.: Die Musikwelt hat sich in den letzten Jahren sehr stark verändert. Als Komponistin musst du nicht zwingend mit einem Verlag zusammenarbeiten. Du kannst professionelle Partituren und Stimmen erstellen und ausdrucken. Wie bewertest du diese Veränderungen?
Muntendorf: Grundsätzlich finde ich sie super, weil das Prinzip eines Lektors und eines Stimmsetzers nur dann funktioniert, wenn man wirklich traditionelle Partituren schreibt. Aber ab einem bestimmten Punkt funktioniert das nicht mehr. Dann muss man so viel Zeit investieren, um jemandem zu erklären, was er transkribieren soll, dass sich das nicht mehr lohnt. In diesem Fall macht man es besser selber. Heutzutage geht es in vielen Stücken um unvorhergesehene Momente. Es geht um den Bezug von Multimedialem und um Performatives. Vieles kann erst in den Proben und in der gemeinsamen Erarbeitung auf den Punkt gebracht werden. Und da macht es keinen Sinn mehr, an den alten Strukturen festzuhalten.
terzwerk: Was müsste sich in dem Betrieb in Deutschland noch ändern?
Muntendorf: Ich glaube vieles passiert jetzt schon. Das Profil der Komponisten verändert sich, weil sich auch die Kunst und die Gesellschaft verändern. Die Kunst wird geöffnet für andere Sparten und auch viele Interpreten wollen mittlerweile mehr, als nur interpretieren. Viele sind offen für Performance und wollen weg von einem Abhängigkeitsverhältnis. In der Kunst selbst entsteht gerade ein ganz großer Wunsch danach, diese traditionellen Strukturen zu verlassen, sich anderen Professionen zuzuwenden und neue Formate zu entwickeln. Dabei würde ich mir ganz stark wünschen, dass diese Entwicklung auch in den Institutionen Einzug erhält. Viele Institutionen denken noch in Sparten und fragen sich, “was verkauft sich jetzt? Kann ich einem Publikum in einem Tanzhaus ein Musiktheater mit Tänzern anbieten? Nein, das müsste dann Tanztheater mit Musik sein“. Dieses Denken schockiert mich immer wieder. Da passiert gerade so viel und diese großen Apparate müssen sich eigentlich mitverändern oder den Mut haben, eine Offenheit zu zeigen. Das passiert zwar ansatzweise schon, aber noch lange nicht in dem Maße, wie es eigentlich nötig wäre.
terzwerk.: Und du glaubst nicht, dass die Digitalisierung langsam Strukturen aufbricht?
Muntendorf: Doch, ich denke, dass das dadurch auch passieren kann. Aber die Digitalisierung ist letztlich ein Tool, welches dazu dient, schneller und anders zu kommunizieren oder neue Bedürfnisse der Kommunikation zu wecken. Aber ich denke der eigentliche Wandel findet in den Köpfen statt, nicht in den Computern.