Foto: Hans Jörg Michel
Eine Frau ist unsterblich in einen Engel verliebt und sehnt sich nach der geistigen und körperlichen Vereinigung mit ihm. Diese Geschichte faszinierte nicht nur Sergej Prokofjew, sondern auch das Publikum am vergangenen Samstag bei der Premiere von »Der feurige Engel« in Düsseldorf.
Die Vorstellung des züchtigen Lebens einer Heiligen und fleischliches Verlangen koexistieren in Renatas Charakter. Dieser Konflikt setzt ihr schwer zu.
Walerie Brjussows Verhältnis zu Nina Petrowskaja, die Geliebte und Muse vieler Symbolisten war, inspirierte ihn, den Roman »Der feurige Engel« zu schreiben. Die Geschichte geht wie folgt:
Renata erschien der Engel »Madiel« zum ersten Mal als Kind im Traum. Nach einer intensiven Beziehung mit dem Engel bittet sie ihn Jahre später auch um die körperliche Vereinigung und wird daraufhin von ihm verlassen. Später glaubt sie, ihn als Reinkarnation in Gestalt des Grafen Heinrich wiedergefunden zu haben. Dieser lässt sie jedoch nach einem Jahr fallen. Mithilfe des Ritters Ruprecht schafft sie es, Heinrich ausfindig zu machen, wird jedoch wieder von ihm verschmäht. Ruprecht fordert Heinrich zum Duell heraus und wird schwer verwundet. Im Wahn gesteht Renata Ruprecht ihre Liebe, weist ihn jedoch später wieder ab und zieht sich in ein Kloster zurück. Dort erleidet sie Anfälle, die auch die anderen Nonnen in Ekstase versetzten. Von der Inquisition gefoltert, stirbt sie schließlich.
Sergej Prokofjew war von dieser Handlung gepackt. Er komponierte die Oper ohne einen Auftrag und schrieb das Libretto selbst. Zeit seines Lebens wurde sie nie aufgeführt – Josef Stalin hielt die Oper für zu dekadent. Und auch heute ist die Aufführung an der »Deutschen Oper am Rhein« eine von wenigen geblieben.
Foto: Hans Jörg Michel
In Düsseldorf versetzte der Regisseur Immo Karaman die Handlung aus dem späten Mittelalter in die Anfänge des 20. Jahrhunderts. Ort des Geschehens: eine Psychiatrie. Ruprecht ist hier kein Ritter, welcher der Jungfrau in Nöten hilft. Er ist der Arzt, der sich in seine verwirrte Patientin verliebt.
Das perspektivische Bühnenbild erinnert an eine Barockbühne, die mit dem Einsatz von Prospekten die Szenen wechselt. Nur handelt es sich hier nicht etwa um schöne Gärten oder Ballsäle, sondern um die kargen Räume der Heilanstalt (Bühnenbild: Aída Leonor Guardia). Zahlreiche Szenenwechsel unterstützen die ereignisreiche Handlung. Mal befinden sich Renata und Ruprecht in einer Zelle, mal in der Kantine oder in seinem Büro. Ein buntes Varieté-Theater verwandelt sich innerhalb nur weniger Sekunden in die Halle der Nervenanstalt. Beeindruckend und wie ein grotesker Zaubertrick wirkt dieser Szenenwechsel.
Trotz der düsteren Handlung, welche durch die Heilanstalt nicht weniger schaurig wirkt, bieten die Geschehnisse auf der Bühne einen formvollendeten Anblick. Ob psychisch Kranke in der Kantine perfekt in Szene gesetzt ihre Mahlzeit einnehmen oder Aggripa von Nettersheim das offene Hirn einer Leiche untersucht – die Inszenierung bietet viele manierierte Bilder.
Die spirituelle Engelserscheinung einer Mystikerin im Mittelalter – die nicht so keusch ist wie sie sein sollte – funktioniert auch als Wahnvorstellung einer psychisch Kranken Anfang des 20. Jahrhunderts. So ist der Stoff auch heute noch relevant – denn Renata wird in dieser Inszenierung nicht einfach als Verrückte abgetan. Spätestens am Ende der Oper, als der Inquisitor den Teufel aus Renata austreiben will und die Nonnen sich im die Kleider vom Leib reißen, sollte man sich fragen, wer hier tatsächlich als verrückt gelten kann. Denn was die Diffamierung von psychisch Kranken angeht, hat sich in hundert Jahren nicht viel getan.
Foto: Hans Jörg Michel