Anatolische Klänge und Klassik. Percussion auf Geigen und ein singender Pianist. Bei Fazil Say gibt es keine Verbote – und irgendwie passt alles zusammen.
Fazil Says Chamber Symphony – ein temporeiches, witziges Stück. Dann warten alle auf den Star des Abends. Die Tür geht auf, Applaus setzt ein. Und hier ist er: Fazil Say. Doch sein Auftreten irritiert: Ruhig geht Say auf die Bühne, schaut fast mürrisch drein – ein bisschen mehr Schwung hätte man schon erwartet. Say wirkt fast ohne Elan, als er die Bühne betritt.
Aber dann. Fazil Say setzt sich an den Flügel, um Mozarts Klavierkonzert Nr. 12 zu spielen. Die Musiker sehen jetzt richtig aufgekratzt aus, und los geht’s! Wie zuvor in der Chamber Symphony beweist das Ensemble unglaubliches kammermusikalisches Gespür. Das Zusammenspiel der immerhin 24-köpfigen Camerata Salzburg unter der Leitung ihres Konzertmeisters Gregory Ahss sucht seinesgleichen. Noch während der Introduktion des Orchesters wendet sich Fazil Say dann dem Publikum zu, mit strenger Miene, wie um zu sagen: Die Geschichte beginnt hier, und ihr seid dabei, also aufgepasst!
Nichts leichter als das. Denn in diesem Klavierkonzert ist es schwer, wegzuhören, so intensiv ist der Kontakt zwischen Solist und Kammerorchester. Jeder Übergang ist fein ausmusiziert, niemals zufällig oder beiläufig. Wirkte Fazil Say eben noch abwesend, geht er jetzt vollständig in der Musik auf. Komponieren und Klavier spielen gehören für ihn zusammen. Man hat das Gefühl, dass er im wahrsten Sinne des Wortes mit Mozarts Gesten spielt. Wenn er will, reizt Say die Spannung zu einer neuen Phrase aus, und übertritt dabei manchmal die Grenze des „guten Geschmacks“. Wenn die Musik abreißt, dann tut sie das eben ohne Kompromisse. Es fühlt sich dann wie eine Ewigkeit an, bis es weitergeht.
Zuhören kann Fazil Say. Seine Meinung sagen aber auch. Was er meint, das zeigt sein Spiel in aller Deutlichkeit, denn er scheut keine Übertreibung. Eine mächtige linke Hand, die grooven kann, stellt dabei keinen Widerspruch dar zu den filigranen Sechzehntelketten der rechten Hand. Manchmal beugt er sich ganz nah zu den Tasten, wie um die Aromen frühlingshafter Klänge in sich aufzunehmen und ihnen besser folgen zu können. Manchem ist es vielleicht zu viel des Guten, wenn Fazil Say mitsingt, mit den Füßen den Beat klopft, die Arme zur Musik bewegt. Man kann sein Spiel zu plakativ finden. Allerdings: Mozart hat Popmusik geschrieben. Elitär oder zurückhaltend ist sie sicher nicht.
Voll Energie und Leichtigkeit spielt auch die Camerata Salzburg, keine Frage. Sehr genaue Klangvorstellungen treffen auf feine Kommunikation. Frei schwebende Akkorde in der Chamber Symphony setzt das Ensemble derart pur und makellos, dass man nur staunen kann. Die Balance ist perfekt. Manchmal ist es fast zu schön. Nach der Pause hören wir Mozarts Sinfonie Nr. 29, und die wirkt dann schon glatt, ein bisschen zu wohlklingend. Eine Portion von dem Wagemut, den Fazil Say an den Tag legt, wäre gut gewesen. Im ersten Satz vermisst man seinen Drive.
Foto: Andreas Hechenberger
Zu guter Letzt hören wir Fazil Says Komposition „Silk Road“, in der wir uns auf eine imaginäre Reise von Tibet bis in die heutige Türkei begeben. Die Streicher imitieren Regen und Instrumente des Ostens, Say selbst holt aus dem präparierten Flügel unerhörte Klänge heraus. Zwischen perkussiven Patterns verhuschte Melodiefragmente. Mit seiner Programmatik und den behutsamen Veränderungen ist „Silk Road“ sicher gut zugänglich für Kinder. Die Education-Abteilung der Philharmonie bot daher Kindern die Möglichkeit, in der ersten Konzerthälfte an einem Workshop teilzunehmen, der die zweite Hälfte vorbereitete. So nachvollziehbar die Reihenfolge daher ist – dramaturgisch wäre es schöner gewesen, die Chamber Symphony am Ende des Konzerts zu spielen. Es ist schade, dass man Kindern offenbar nicht die Tiefe der Chamber Symphony zumuten wollte, die durchaus komplex mit türkischen Idiomen spielt.
Trotzdem hat sich der Abend gelohnt. Es ist ein Ereignis der besonderen Art, wenn Fazil Say Klavier spielt. Er gehört nicht in den hochglanzpolierten Bereich der Klassik-Sternchen, zu kritisch ist auch seine Haltung dem türkischen Staat gegenüber. Fazil Say verzichtet als Künstler auf Allüren und zeigt eines ganz anschaulich: Freiheit muss man sich erkämpfen und leben, dann erst kann man in der Musik überzeugen.