Euphorisch beklommen und zweifelsfrei ambivalent

Bru-nO

Dirigent Teodor Currentzis gastiert mit seinem Ensemble MusicAeterna und Verdis Requiem am 25.11.2022 im Dortmunder Konzerthaus. Ein Abend, der bis zuletzt auf der Kippe stand.

Schon seit Längerem war das Konzert umstritten. Einerseits durch die russische Finanzierung des Ensembles. Andererseits durch Teodor Currentzis selbst, der seit Monaten zum Krieg schweigt, weshalb die Kölner Philharmonie wieder auslud. Kurz vor dem Konzert haben sich die Ereignisse gehäuft: Einige Ensemblemitglieder von MusicAeterna haben sich vor den Auftritten in Baden Baden und Dortmund „pro-Kreml“ geäußert. So veröffentlichten zwei russische Tenöre ein nationalistisch-patriotisches Lied. Andere Mitglieder zeigten ihre Unterstützung im Angriffskrieg durch Russlandflaggen auf ihren Accounts. Die Folge: Eine Suspendierung der betreffenden Mitglieder.

Der Saal ist überraschend leer. Ein bizarrer Anblick, an solch einem Konzertabend mit Publikumsmagnet Currentzis. Fast so seltsam wie der riesige politische Elefant im Raum, so Musikwissenschaftler Alexander Gurdon bei seiner Konzerteinführung.

In den Köpfen arbeitet es.

Was dann folgt, lässt die Stimmen im eigenen Kopf zunächst verstummen. Die Streicher hauchen das pianissimo possibile und MusicAeterna entfaltet den Eingang von Verdis Messa da Requiem.  Im Publikum herrscht Vakuumstille. Gehustet und genießt wird heute diszipliniert zwischen den einzelnen Teilen der Totenmesse. Ein diabolisches Zischen geht durch den Chor und kündigt das Dies Irae an.  Als die Tutti hereinbrechen und das ganze Orchester dröhnt und ächzt, offenbaren sich Dynamikunterschiede, die den Weg vom Himmel bis zur Hölle ernst zu nehmen scheinen.

Im Kontrast zu diesem eingeschworenen Orchester wirkt das Soliquartett in sich weniger gemeinschaftlich geschlossen. So steht Tenor Andreas Schager stellenweise zu laut da und übertönt seine Quartettpartner*innen.  Sopranistin Zarina Abaeva dagegen hält die Spannung in leisestem Piano und atemberaubenden Höhen. Ihre innigen Solopassagen mit Mezzosopranistin Eve-Maud Hubeaux wirken vertraut. Bereits seit 2021 führen sie das Verdis Requiem gemeinsam auf. Eine mögliche Erklärung dafür, dass Andreas Schager und Bariton Matthias Goerne an diesem Abend nur schwer in den inneren Kreis vordringen können.

Und Teodor Currentzis? Tritt geschlossen mit seinem Orchester auf.  Mal steht er fast reglos da, mal treibt er mit dem ganzen Körper seine Celli an und dreht sich während der Sequenza: Confutatis halb zum Publikum. Als wolle er sagen: „Da hinaus muss der Klang“.  Kurz vor Ende verlässt der Dirigent sogar sein Pult und steht inmitten hysterischer Streicher und tönender Posaunen.  Dabei wirkt er einend, weniger exzentrisch als erwartet.  Nach einem euphorischen Applaus, der den Saal ausfüllt, stupst der Dirigent die umstehenden Musiker*innen sacht in spiritueller Manie an und geht mit ihnen ab.

Und da sind Currentzis und sein Ensemble auch schon wieder von der Bühne. Wer weiß, wie lange das mit MusicAeterna noch so weitergeht, denke ich wie automatisch, denn das neue Ensemble Utopia steht schon in den Startlöchern.

Diese Interpretation war intensiv und hinterlässt euphorisch. Aber war es das auch wert? Trotz der russischen Finanzierung von MusicAeterna? Trotz fehlender Positionierung von Currentzis? Trotz der jüngsten Aktionen einiger Ensemblemitglieder?  Alles Ambivalenzen, die man nach Gurdon nun aushalten muss. Und so bahne ich mir meinen Weg nach draußen.  Euphorisch-fasziniert und beklommen-frustriert. Zweifelsfrei ambivalent eben.

 

Bildcredtis: Bru-nO, Sebastiangoessl von pixabay.com und Alexandra Muravyevaimage

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