Musik kann so schön sein, dass es kaum auszuhalten ist. Steile These, aber so war es nun mal am Samstagabend in einer Schulaula in Hamm.
Dirigent Martin Schädlich steht mit ausgebreiteten Armen vor seiner Band. Die 30 jungen Musiker*innen sitzen auf ihren Stuhlkanten, er blickt in die konzentrierten Gesichter, scheint in Millisekunden alle Energie zu bündeln und schon nimmt der satte Sound der ganzen Band den Saal ein.
Bereits das erste Stück der Youth Brass Band (kurz YBB), eine Komposition des 25-jährigen Bandmitglieds Georg Puntigam, ist ein Bouquet für die Ohren. Hier noch fanfarenartige Sechzehntelrepetitionen, da bereits einnehmende Klangteppiche. Das sympathische Moderator*innen-Team (natürlich auch aus den eigenen Reihen) rund um Natalie Didinger und Philip Seidel erklärt: Die Komposition ist von Holsts Planeten Suite inspiriert. Und tatsächlich erinnert Into the Voids daran, allerdings stärker an die universelle Freude des Jupiters als an die militärische Aggression des Mars.
Insgesamt ist der Abend ganz und gar nicht marschig, wie bei einer kompletten Blechblasinstrumentierung vielleicht zu erwarten wäre. Ganz im Gegenteil erwecken intime Akkordschichtungen und feinfühlige Dialoge Assoziationen an Holzbläsersätze und a-capella Chöre. Nur insgesamt lauter und runder, Blech eben.
Die Youth Brass Band NRW wird ihren drei Slogans kompromisslos gerecht: Berührender Klang, satte Akkorde, brillante Technik. Le roi d’Ys von Lalo in einem Arrangement von Frank Wright ebenso wie Terra Australis von Martin Ellerby sind eindeutige Beweise. Mühelos wechseln die Musiker*innen zwischen facettenreiche Dynamiken, Tempi und Harmonien und reihen die unterschiedlichsten Tonlandschaften aneinander. Als wäre es das natürlichste der Welt, auf das tutti Fortissimo mit hämmernden Mallets ein schimmerndes Duett zwischen Kornett und Althorn folgen zu lassen.
Die Pause nach drei Stücken kommt überraschend und dennoch genau richtig, die Dichte der Geschehnisse muss erst mal verarbeitet werden.
Die zweite Hälfte hält gleich vier Werke bereit. Was auf den ersten Blick überladen wirkt, erschließt sich im Konzertverlauf durch die wirklich gelungene Konzertdramaturgie. Es ist eine Vielzahl an Atmosphären, die stetig heraus-, aber nie überfordert.
Zunächst folgt das mit Soli geschmückte Sång till Norden von Lode Violet. Einzelne Bandmitglieder stehen dabei nacheinander auf und solieren an der Bühnenkante mal virtuos, mal lyrisch – mit einer Coolness, die man eigentlich von Profis kennt.
Danach erklingen ein exklusiv für die YBB gesetztes Silverado-Arrangement von Patrick Kunzendorf und das Irish Tune from Country Derry von Percy Grainger in einem Arrangement von Denis Wright. Das Eine entführt programmatisch in die Klänge des Wilden Westens, das Andere in die Weiten der Highlands. Der Irish Tune wird zusätzlich performativ gestaltet: Die Band tritt ab und positioniert sich hinter der letzten Reihe. Das Publikum sieht nicht mehr, was passiert und wird vollständig vom Klang der im Rücken stehenden Band eingehüllt.
Leider nicht die YBB, aber dafür die Kolleg*innen aus Frankreich:
Brass Band 13 Etoiles mit Hope von Stijn Aertgeerts
Und der Höhepunkt? Definitiv Hope von Stijn Aaertgeerts. Das zeitgenössische Werk erklingt in der Mitte der zweiten Hälfte, durch die Moderation im Kontext der Klimakatastrophe, der andauernden Pandemie und des Ukrainekrieges angekündigt.
Die Sorge, es werde kitschig oder sogar heuchlerisch, als müsse ein Haken hinter „Gesellschaftliche Verantwortung“ gesetzt werden, verfliegt beim ersten Akkord. Für fünf Minuten lassen die wunderschönen Klänge alles andere vergessen, geben Hoffnung, spenden Trost, treiben Tränen in die Augen. Es ist so schön, dass es kaum auszuhalten ist; einer dieser seltenen Konzertmomente, in denen einfach alles stimmt.
Natürlich belohnt das Publikum mit Standing Ovations. Die humoristische Zugabe Elephant Patrol von Philip Harper rundet den kurzweiligen Abend ab. Martin Schädlich, Gründer und Dirigent der ersten landesweiten Jugendbrassband Deutschlands, spricht zum ersten Mal an diesem Abend und wendet sich an seine Band. Kein Anzeichen von arrogantem Dirigenten-Gehabe: Er bedankt sich für das Engagement der Musiker*innen ohne das ein solch anspruchsvolles Programm nicht möglich gewesen wäre.
Es ist fast schade, dass es kein Abend in einem großen Konzertsaal war. Seine Akustik und Größe wären der Qualität des Ensembles würdiger gewesen. Andererseits lässt sich vielleicht genau an dieser Bescheidenheit die Hingabe zum Gegenstand erkennen? Die Youth Brass Band um Martin Schädlich ist sich nicht zu schade, einen großen Abend auch in einer kleinen Aula zu spielen.
Foto Credits Konzertfoto: Inga Kissling
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