Avi Avital ist rastlos und immer auf der Suche nach Neuem. Deswegen improvisiert er in seinem neuen Projekt nun auch. Ein Gespräch über “Avital meets Avital”, sein Instrument und ihn selbst.
Trotz der verspäteten Ankunft versprüht Avi Avital auf den ersten Blick eine gehörige Portion David Garrett-Appeal. Charme aus allen Poren. Anders als David Garrett trägt er allerdings je einen weißen und einen schwarzen Mandolinenkoffer unter dem Arm und zieht einen schon etwas abgenutzten Hartschalenkoffer hinter sich her. Bei der Begrüßung auf Hebräisch freut er sich sichtlich und lacht laut.
terzwerk: Avi, auf deiner neuen CD hast du ausnahmsweise selbst komponiert. Genügen dir Bach und Vivaldi nun nicht mehr?
Avi Avital: Das ist ein klassischer Fehler, der immer wieder gemacht wird, wenn ich ein Album veröffentliche. Mein erstes Album war Bach und jeder meinte dann: „Ah er spielt Bach, also ist die Mandoline ein Barockinstrument.“ Bei meinem zweiten Album habe ich mich auf die klassische Folkmusik des 20. Jahrhunderts konzentriert und dann meinten alle: „Achso, die Mandoline ist ein Folkinstrument“. Dann habe ich wieder Vivaldi gespielt. Und natürlich habe ich noch immer ein großes Interesse an Vivaldi und Bach, die beiden gehören ja zu meinem normalen Repertoire.
terzwerk: Also spielst du mal Barock, mal Folk und mal Klezmer?
Avital: Es ist wie in einem Fotoalbum. Dafür sucht man sich die schönsten Bilder von einer Reise aus. Genauso suche ich mir für jedes Album ein besonderes Ding oder Stimmung aus.
terzwerk: Du suchst deine Alben nach deiner Stimmung aus?
Avital: Nein, ganz und gar nicht. Ich frage mich immer, was die Leute gerne im Auto oder in der Küche hören wollen. Und natürlich auch, was mich selber interessiert.
terzwerk: Trotzdem stehst du beim diesjährigen Schleswig-Holstein Musik Festival im Fokus. Und auch Omer Avital spielt in einem Streichquartett bei den Mecklenburg-Vorpommern Festspielen. Ist das nicht ein bisschen zu konservativ?
Avital: Das fasse ich als ein klasse Kompliment auf– für mich und für Schleswig-Holstein. Ich starte das Festival mit „Avital meets Avital“, spiele aber auch sehr viel zeitgenössische und barocke Musik und Improvisation. Ich glaube die Mandoline ist mittlerweile Mainstream. Die Leute sehen in ihr nicht mehr das kleine Instrument aus Neapel. Mittlerweile hat sie einen berechtigten Platz neben der Violine und dem Cello, auch wenn man sie selten zu hören bekommt.
terzwerk: Also sozusagen eine Mandolinen-Renaissance?
Avital: Ja, genau.
Das Projekt
Die CD erschien vor drei Wochen bei der Deutschen Grammophon. Avi Avital spielt Mandoline und kommt aus der Klassikszene. Omer Avital spielt Kontrabass und kommt vom Jazz. Zusammen spielen sie eine Kombination aus Jazz und Weltmusik. Die Avitals teilen allerdings nicht nur den Nachnamen: Die Eltern der beiden stammen aus Marokko, die Avitals selbst sind in Israel aufgewachsen. In „Avital meets Avital“ werden sie von Omer Klein am Klavier und Itamar Doari am Schlagwerk unterstützt. Im Moment befindet sich das Ensemble auf Tour.
terzwerk: Woher kam der Impuls für die neue CD, „Avital meets Avital“?
Avital: Ich habe zwar mein Leben lang Klassik gespielt, aber mich trotzdem schon immer für andere Musikgenres interessiert. Das erste Mal, als ich mit einem nicht-klassischen Programm aufgetreten bin, habe ich Klezmer mit Giora Feidmann gespielt.
Das war vor etwa 15 Jahren und hat ein neues Kapitel aufgeschlagen. Ich habe in den letzten Jahren viel Balkan-Musik gespielt nun kommt eben das erste Projekt mit Originalmusik von Omer Avital und mir. Und das ist etwas total anderes als ein 300 Jahre altes Concerto zu spielen. Beim Improvisieren weiß man nie, was passieren wird. Dem wollte ich nun Raum geben.
terzwerk: Wie meinst du das genau?
Avital: Vor vier Jahren hatte ich ein Gespräch mit Omer. Er kommt vom Jazz, ich von der Klassik. Ich war improvisieren nicht gewohnt und hatte Angst. Denn wenn ich Noten vor mir habe, habe ich keine Angst falsch zu spielen. Wenn ich improvisieren muss, dann habe ich allerdings Angst Fehler zu machen. Als ich das Omer erzählt habe, hat er gelacht und meinte, dass es bei ihm genau umgekehrt ist. Das hat meinen Blickwinkel sehr verändert.
Itamar Doari betritt den Raum, es gibt ein Problem: Es sind nicht alle Teile von dem Schlagwerk angekommen. Avi entschuldigt sich „I have a problem“ und verlässt kurz den Raum. Als er wiederkommt, beendet er, noch bevor er sich hingesetzt hat, den Satz, bei dem das Interview unterbrochen wurde.
terzwerk: Du kannst also von beiden profitieren.
Avital: Ja klar! Wenn ich Vivaldi oder Bach spiele, kann ich viel von der Spontanität und Sensibilität aus dem Jazz mit hineinnehmen – das spürt dann auch das Publikum: Es gibt viel mehr Interaktion. In den Jazz nehme ich viel von der klassischen Feinfühligkeit, den Nuancen, dem Rubato und vor allem dem Kammermusik-Gefühl mit hinein.
terzwerk: Was ist genau meinst du damit?
Avital: Die Kammermusik war immer unser Ansatz. Wir haben auch beispielsweise das ganze Album ohne Click Track (Metronom) aufgenommen. Der Farbenreichtum, die feinen und kleinen Details, diese Finesse – das ist eben unerlässlich für klassische Musik.
terzwerk: Improvisation ruft ja auch immer die Assoziation mit Freiheit hervor. Hat klassische oder westliche Musik ihre Grenzen?
Avital: Nein, ich glaube in der Klassik gibt es eine riesige Freiheit. Man glaubt immer, man kann dort weniger kreativ sein, aber das Stück wurde vielleicht 300 Jahre zuvor komponiert. Man muss also die Phrasierung des Stücks verstehen, sich auf den Raum und die Atmosphäre einlassen, in der man spielt und schließlich dem Stück selbst dienen so gut man es nur eben kann. Und das funktioniert so in allen Musikgenres, es ist wie eine Sprache mit verschiedenen Dialekten.
terzwerk: Trotzdem hat man ja immernoch Noten, an die man sich halten muss…
Avital: Klar, wenn es im Jazz ein Motiv gibt und erst das Piano, dann die Mandoline und dann das Schlagwerk darüber improvisiert, ist das schon etwas anderes. Diese kleinen Inseln kreativer Freiheit sind sozusagen das kleine Extra. Jedes Mal, wenn ich Jazz spiele, klingt es anders – aber das tut Vivaldi auch.
terzwerk: Dieses Ausprobieren, etwas Neues machen – ist das nicht vielleicht ein bisschen symptomatisch für dich?
Avital: Ja, ich kann mir mein Leben tatsächlich gar nicht anders vorstellen. Das liegt sicherlich auch an der Mandoline. Wenn man beispielsweise Klavier oder Violine spielt, ist der Weg mehr oder weniger klar. Man spielt ähnliches Repertoire, macht ähnliche Wettbewerbe und besucht ähnliche Schulen. Alles was ich dagegen hatte war ein offenes Feld, ich musste mir meine Straße also selber suchen und zurechtebnen. Das ist natürlich ein großer Vorteil und mittlerweile quasi zur Gewohnheit geworden. Ich bin immer auf der Suche, mich auszuprobieren und meine Komfortzone zu testen.
terzwerk: Stimmt es, dass du deswegen auch von Padua nach Berlin gezogen bist, weil Partystimmung dort so sexy ist?
Avital: Ganz so ist es nicht. Ich sehe Berlin heute wie Montmartre im 20. Jahrhundert. Da gab es Picasso, Strawinsky, Hemmingway, Debussy und all die anderen in unmittelbarer Nachbarschaft. Sie haben die komplette Kunstszene geprägt. Das Gleiche findet gerade in Berlin statt, es gibt dort einfach riesig viel Raum für Kunst und Kreativität.
terzwerk: Oft musst du ja Stücke zum Beispiel von Violine für die Mandoline transkribieren. Auf der neuen CD sind die Stücke ja alle eigens für dein Instrument geschrieben. Was macht den Unterschied aus?
Avital: Die Mandoline hat natürlich ihre einzigartigen Fähigkeiten. Und jedes Mal, bevor ich ein Stück spiele, frage ich mich: Warum soll gerade dieses Stück auf einer Mandoline gespielt werden? Wenn es besonders bekannt ist, eröffnet es dem Hörer die Möglichkeit, das Werk aus einem neuen, ganz anderen Blickwinkel zu wahrzunehmen. Man hört dann wieder wie zum ersten Mal.
Bei „Avital meets Avital“ haben wir von Anfang an den Klang unserer Truppe im Ohr gehabt, da passt die Mandoline natürlich hinein. Besonders, weil dieses Projekt die mediterranen Nah-Ost-Klänge aufgreift. Alte Instrumente, wie die Oud oder die Bouzouki, kann die Mandoline sehr gut imitieren, wie ein Chamäleon.
terzwerk: Ist die Mandoline nicht auch bei Vivaldi und Bach ein Chamäleon? Sie wechselt, je nach Werk, ihre Klangfarbe?
Avital: Absolut. Italienische Musik klingt sehr italienisch und russische Musik klingt sehr russisch auf der Mandoline. Das hängt sicherlich auch mit der großen Familie der Zupfinstrumente zusammen. Letztendlich geht es aber für mich als Handwerker darum, das richtige Gerät zu wählen. Wenn ich Vivaldi spiele, versuche ich all das Italienische herauszuholen.
terzwerk: Ist das bei Vivaldi besonders?
Avital: Vivaldi ist ein sehr venezianischer Komponist. Er hätte seine Musik nirgendwo anders komponieren können. Das Wasser, die Stadt, den Sommersturm… all das vertont er so plastisch es nur irgendwie geht. Wenn ich also Vivaldi spiele, will ich aus ihm jeden Tropfen Venedig herauspressen.
Erneut klopft es an der Künstlergaderobe. Es gibt einen strengen Zeitplan und noch immer fehlen Instrumente. Avi steht auf und spricht vor der Tür. Als er wieder hereinkommt wirkt er nervös und besorgt. Er hat es eilig.
terzwerk: Was können die Hörer von deiner Musik lernen?
Avital: Sie sollen die Verschiedenheit zelebrieren, aber sich an die Allgemeinheit anschließen. Sie sollen die Schönheit und die spirituelle Bereicherung in unserem Leben vermitteln.