Eine Konzertscheune, jede Menge Grün und Musik von Dmitri Schostakowitsch. Von dieser magischen Kombination angezogen, pilgern diese Woche Musiker, Fans und solche, die es noch werden wollen, in den kleinen Kurort Gohrisch in der Sächsischen Schweiz zu den 10. Internationalen Schostakowitsch-Tagen. terzwerk-Autorin Marie Stapel hat mit dem künstlerischen Leiter des Festivals, Tobias Niederschlag, über die Ursprünge, die besondere Atmosphäre und seine Geheimtipps fürs Festival gesprochen.
terzwerk: Herr Niederschlag, es sind jetzt noch ein paar Tage bis zum Beginn des Festivals. Wie fühlen Sie sich?
Tobias Niederschlag: (lacht) Im Moment sind wir alle noch entspannt, wobei man schon merkt, dass die Dinge konkreter werden. Viele logistische Fragen sind noch zu klären, die unser Geschäftsführer Martin Steude in der Hand hat. Also es nähert sich, aber es ist auch gut so, dass es konkreter wird. Wir freuen uns sehr!
terzwerk: Dieses Jahr ist ein ganz besonderes: Das Schostakowitsch-Festival wird zehn Jahre alt. Wenn Sie mal auf die letzten Jahre zurückblicken: Wie hat sich das Festival entwickelt?
Tobias Niederschlag: Es ging ursprünglich in einer Situation los, in der wir gar nicht wussten, wie wir es machen sollen und wie das Ganze eine Zukunft haben könnte. Wir haben 2009 einen Verein gegründet. Erstmal, um das Andenken an Schostakowitsch aufrecht zu erhalten, der zweimal in Gohrisch war. 1960, wo er das „8. Streichquartett“ komponiert hat, und 1972 noch einmal. Relativ schnell war dann klar, dass natürlich auch Musik von Schostakowitsch in Gohrisch erklingen soll und so ist dann die Idee eines Festivals entstanden. Wir haben drei Tage ausgewählt, weil das der Zeitraum ist, in dem Schostakowitsch nachweislich das „8. Streichquartett“ komponiert hat. Im ersten Jahr hatten wir wenig Geld, aber sehr schnell die Unterstützung der Staatskapelle, sodass wir schon das erste Festival sehr hochkarätig umsetzen konnten. Es gab aber keinen Veranstaltungsort, sodass wir auf eine Scheune ausgewichen sind, die aber übers Jahr hinweg auch als solche genutzt wird. Sie muss jedes Jahr fürs Festival hergerichtet werden. Das erste Festival war dann ein so großer Erfolg, dass sehr schnell klar war: Es muss weitergehen.
terzwerk: Gibt es denn irgendwas, was Sie in diesem Jahr inhaltlich ganz bewusst im Vergleich zu den letzten Jahren verändert haben?
Tobias Niederschlag ist künstlerischer Leiter der Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch und Leiter des Konzertbüros am Gewandhaus in Leipzig. Er hat die Schostakowitsch Tage mitbegründet.
Tobias Niederschlag: Das Abschlusskonzert ist etwas, wo wir uns einem anderen Genre widmen – dem Jazz. Das ist bestimmt für viele unserer Besucher etwas Neues. Und auch was das Rahmenprogramm angeht. Eine Wanderung ist neu im Programm, die Gespräche mit dem Musikjournalisten Axel Brüggemann in der Schostakowitsch-Lounge. Das gibt es in dieser Form zum ersten Mal. Die Idee dahinter ist, das gemeinsame Erleben weiter auszubauen und den Austausch zwischen Künstlern und Publikum noch mehr zu fördern. Da versuchen wir einfach durch verschiedene Formate die Bedingungen dafür zu schaffen.
terzwerk: Axel Brüggemann wird die Künstlerinnen und Künstler nach den Konzerten in der Schostakowitsch-Lounge interviewen. Was erhoffen Sie sich von diesen Gesprächen?
Tobias Niederschlag: Dass man nochmal einen sehr persönlichen Eindruck der Künstlerinnen und Künstler bekommt. Vielleicht auch persönliche Eindrücke vom Konzert. Bei den meisten Künstlern ist es ja so, dass viele, wenn sie zum ersten Mal nach Gohrisch kommen, gar nicht so ganz genau wissen, was da auf sie zukommt. Natürlich gibt es da diese Historie mit Schostakowitsch, dann ist es eine Scheune, aber da könnte ich mir vorstellen, dass es bei vielen Künstlern erstmal viele Unbekannte gibt. Auch darüber zu sprechen, wie sie das Publikum – das man so nicht überall findet – wahrgenommen haben.
terzwerk: Das Publikum in Gohrisch ist also einzigartig? Was zeichnet es denn aus?
Tobias Niederschlag: Mittlerweile kann man schon sagen, dass das ein großer Stamm von Besuchern ist, die jedes Jahr kommen und die auch in den letzten Jahren wirklich mitverfolgt haben, was in Gohrisch passiert ist. Man kann fast schon von sowas wie einer Schostakowitsch-Gemeinde sprechen. (lacht) Wirklich sehr viele Leute, die sich intensiv mit diesem Komponisten und seiner Musik beschäftigen. Gleichzeitig ist es aber trotzdem kein Spezialisten-Publikum, sondern es ist offen für jeden. Auch für viele Gohrischerinnen und Gohrischer, die natürlich jedes Jahr kommen. Es ist ein unglaublich konzentriertes und begeisterungsfähiges Publikum, was man für ein Repertoire aus diesen Epochen nicht unbedingt erwarten würde.
terzwerk: Woher kommen die Besucher des Festivals?
Tobias Niederschlag: Das ist sehr gemischt. Natürlich haben wir immer ein großes Interesse daran, dass viele Leute aus der Region kommen. Es hat sich aber schon in den ersten Jahren gezeigt, dass sehr viele Leute auch von weiter weg kommen. Aus Berlin, aus Stuttgart und sogar dem Ausland. Es gibt viele Besucher*innen, die in jedem Jahr aus Holland, England oder inzwischen auch aus Russland kommen, um das Festival zu besuchen. Es ist nach wie vor das einzige Schostakowitsch-Festival weltweit, das jedes Jahr stattfindet.
terzwerk: Natalja Gutman, Gidon Kremer, das Borodin Quartett… Das sind nur einige große Namen aus den Programmen der letzten Jahre. Worin besteht Ihrer Meinung nach der Reiz für diese Künstler nach Gohrisch zu kommen?
Tobias Niederschlag: Wir haben in diesem Jahr natürlich versucht, viele Künstler nach Gohrisch zurückzuholen, die das Festival in den letzten Jahren geprägt haben und natürlich neue dazu zu bringen. Mittlerweile ist es so, dass ich immer sehr viele Anfragen bekomme. Auch von Künstlern, die schon mal dort waren, die wahnsinnig gerne wieder kommen würden, weil sie einfach die besondere Atmosphäre und die Konzentration in Gohrisch sehr schätzen. In diesem Jahr hatten wir zum Beispiel einen solchen Fall. Da war das Programm schon so gut wie fertig und dann bekam ich einen Anruf von dem Bratscher des Borodin-Quartetts, der sagte: „Wir sind in der Zeit gerade in Deutschland und würden wahnsinnig gerne wieder in Gohrisch spielen.“ Und dann haben wir das Borodin-Quartett an einem Samstagnachmittag noch mit ins Programm reingenommen. Ich kenne niemanden, sowohl von den Künstlern als auch im Publikum, der in Gohrisch war und nicht gesagt hätte, dass er im nächsten Jahr wiederkommen möchte.
terzwerk: Wie können Sie so große Künstler für das Festival gewinnen?
Tobias Niederschlag: Es war uns von Anfang an klar, dass wir für ein solches Festival – wenn man den Anspruch hat, internationale Schostakowitsch Tage zu sein und überregional wahrgenommen zu werden – die größten Schostakowitsch-Interpreten nach Gohrisch bringen müssen. Das ist insofern nicht ganz einfach, weil wir nach wie vor den Künstlern, die in Gohrisch auftreten, kein Honorar bezahlen. Es gibt nur ein symbolisches Frackgeld von 10 Euro für jeden, der an den Veranstaltungen mitwirkt. Aber das – und das hat sich sehr schnell gezeigt – spricht überhaupt nicht dagegen, denn Schostakowitsch ist ein Komponist, der vielen Künstlern viel bedeutet.
terzwerk: Wie erklären Sie sich die Begeisterung für das Festival sowohl vom Publikum als auch von den Künstlern?
Tobias Niederschlag: Das hier ist wirklich etwas Besonderes. Es ist so, dass der ganze Kurort sich bei diesem Festival einbringt. Es gibt ganz viele Ehrenamtliche, die sich während des Festivals darum kümmern, dass die Dinge laufen und eine gute Atmosphäre da ist. Dass das mit Leidenschaft und auch mit viel Liebe gemacht wird, mit einem großen Engagement, das ist etwas, was die Künstler spüren und natürlich auch das Publikum. Man kann sagen, dass die Grenzen zwischen dem Publikum und den Künstlern eigentlich fließend sind.
Eine Sache spürt jeder, der zum ersten Mal da ist: dass etwas ganz Besonderes auf einem sehr hohen Niveau stattfindet und dass es etwas ist, was einen emotional erreicht. Und das ist glaube ich wirklich etwas, was dieses Festival von anderen unterscheidet.
terzwerk: Schostakowitsch hatte eine besondere Beziehung zu Gohrisch. Wird es im Festivalprogramm einen Moment geben, wo man den Geist Schostakowitschs nochmal ganz besonders intensiv erfahren kann?
Tobias Niederschlag: Das ist etwas, was man wahrscheinlich bei allen Konzerten erfahren kann. Es ist natürlich immer etwas Besonderes, wenn das „8. Streichquartett“ beim Festival erklingt. Das machen wir nicht jedes Jahr und das ist auch für jedes große Streichquartett etwas Besonderes, dieses Werk an diesem Ort zu spielen. Sicher auch die Uraufführung von Schostakowitschs kurzem Klavierstück „Im Wald“. Vom Titel her klingt‘s fast so, als wäre es für Gohrisch komponiert. Ist es natürlich nicht! (lacht)
terzwerk: In den letzten Jahren gab es ja auch immer wieder Uraufführungen von Schostakowitsch auf dem Festival. Ist der Nachlass denn noch gar nicht vollständig erschlossen?
Tobias Niederschlag: Erstaunlicherweise sind immer wieder noch Dinge aufgetaucht, die man uns angeboten hat. Wir haben einen sehr engen Austausch mit dem internationalen Schostakowitsch-Zentrum in Paris und mit Schostakowitschs Witwe Irina Antonovna. Ich glaube, das ist etwas, das sich mittlerweile rumgesprochen hat. Dass das ein idealer Ort ist, um vielleicht auch kleinere Stücke von Schostakowitsch erstmals öffentlich zu präsentieren. Wir hatten innerhalb der letzten neun Festivals insgesamt elf Uraufführungen und zehn deutsche Erstaufführungen.
terzwerk: Was ist Ihr ganz persönlicher Geheimtipp für das Festival?
Tobias Niederschlag: Es ist ja so, wie man das immer so schön sagt: „Alles ist wichtig und alles ist besonders!“ (lacht) Ich glaube, wenn jemand an dem Sonntag ganz spontan Lust hat, in die Sächsische Schweiz rauszukommen, kann man da exemplarisch eigentlich alles erleben, was dieses Festival ausmacht. Am Vormittag ein Kammerkonzert mit Isang Enders und Yekwon Sunwoo mit Duo-Werken für Cello und Klavier. Dann am Nachmittag die Preisverleihung an Andris Nelsons, wo es auch noch eine Überraschung geben wird, die ich aber noch nicht verraten darf. Und abends dieser neue Ausblick in Richtung Jazz. Ich glaube das ist etwas, wo man sehr viel von diesem Festival mitnehmen kann und auch die ganze Vielfalt erleben kann.