Zwei Ballett-Affine in der gleichen Vorstellung: Kommen dabei dann auch wirklich zwei identische Rezensionen heraus? Die eine tanzte selbst 14 Jahre lang Ballett und kann ein Jeté Sauté von einem Assemblé unterscheiden. Die andere genießt Ballett lieber regelmäßig aus dem Zuschauerraum, als selbst auf der Bühne Pirouetten zu drehen. Carla und Hanna bei der Premiere von “Ballet Revolución” am 27. Februar im Capitol Theater Düsseldorf.
Ballett-Groupie (carla)
„Ballet Revolución“ – ein Name, den man oft auf Plakaten in den Innenstädten liest; ein Name, der auch online immer wieder auftaucht. Doch was kann man sich eigentlich wirklich darunter vorstellen? Ich hatte vor meinem inneren Auge kein richtiges Bild, wie so ein Tanzabend aussehen sollte. Die einzigen Assoziationen, die ich hatte, waren junge Menschen, die zu aktuellen Pop-Charts ein Programm abliefern. Wie so etwas wirklich konkret aussehen sollte – keine Ahnung.
Bei der Premiere des aktuellen Programms von „Ballet Revolución“ am 27. Februar im Capitol Theater Düsseldorf wurde ich eines Besseren belehrt.
„Ballet Revolución“ ist eine Show, die sich nicht einfach in eine Schublade einordnen lässt. Ballett, Modern Dance und lateinamerikanischer Tanz ergeben einen ganz eigenen Mix, der charakteristisch für das kubanische Ballett ist und dieses ganz besonders macht.
Primaballerina (hanna)
Heiß. Heißer. Gaaaanz heiß. So tanzen sie sich aus Kuba bis nach London, Sydney und Paris. Auch in deutschen Städten wie Berlin, Köln und Hamburg wirbeln sie tanzend durch die Theaterhausluft. Immer im Gepäck: elektrisierende Tanzperfektion al español. Die kubanische Tanzcompany „Ballet Revolución“ besteht hauptsächlich aus Tänzern der international hochangesehenen Tanzhochschule “Escuela Nacional de Arte” (ENA) in Havanna. Gegründet 1961 erhalten die Studierenden an der ENA eine fundamentale Ausbildung im klassischen Ballett, in zeitgenössischen Tanzformen, sowie speziell in dem weltweit geschätzten kubanischen Tanzstil „Danza Folklórica“. Was die Absolventen von Havannas Tanzhochschule auszeichnet, ist ihre emotionale Ausdrucksstärke in jeder ihrer Bewegungen gepaart mit technischer Perfektion und Leidenschaft.
“Die meisten Tänzer tanzen mit der Musik, die Kubaner aber tanzen in ihr.”
– Aaron Cash (Choreograph)
An diesem Abend zeigten sich die Tänzer von ihrer besten Seite. Das Ensemble – bestehend aus 21 Mitgliedern – tanzte jeden Schritt so synchron, dass man fast das Gefühl bekam, jemand säße unsichtbar über der Bühne und zöge an Fäden, um die ganze Choreographie zu koordinieren. Denn die Choreographie von Roclan Gonzáles Chávez und Aaron Cash hatte es in sich. Schien es am Anfang eines jeden neuen Abschnitts noch leicht unübersichtlich, war doch jeder Schritt genau überlegt und aneinander gereiht, ergab jeder einzelne dieser Schritte ein perfekt aufeinander abgestimmtes Gesamtkonstrukt. Geschmeidig und voller Anmut setzten die Tänzer einen Fuß vor den anderen, drehten sich in perfekter Pirouette und sprangen in einer Höhe, die man im Ballett nur selten zu sehen bekommt. Das alles geschah mit einer Gruppendynamik, die von Anfang an den kubanischen Funken überspringen ließ. Diese Leidenschaft hatte eine subtile Erotik, die durch die sehr körperbetonten Bewegungen nur verstärkt wurde.
Liegt den Kubanern also nicht nur das Rumbrauen und Zigarrenrollen im Blut? Mitnichten. Ganz besonders das Tanzen wird als kubanische Lebensphilosophie verstanden und genau diese Leidenschaft scheint den Tänzern der „Ballet Revolución“ durch die Adern zu jagen. Denn was bei der Premiere auf der Bühne des Capitol Theaters in Düsseldorf am Dienstagabend geschieht, gleicht einer kunstvollen Reizüberflutung für Auge und Ohr. Es wird gesprungen, gehoben, gestreetdanct, geschäkert und mit Erotik und Vitalität die Bühne zum Beben gebracht. Die klassische Ballettausbildung jedes einzelnen Tänzers ist unschwer zu erkennen, sonst würden die exzellenten Pirouetten, die anmutigen Arabesquen, die energiegeladenen Grand Jetés und Fouettés En Tournants nicht durch ihre technische Perfektion und Lebendigkeit bestechen. Dieses impulsiv-vitale Potential seiner Tänzer macht sich der australische Choreograph Aaron Cash mit seinem kubanischen Kollegen Roclan González Chávez, der selbst aus der ENA hervorging, zu nutzen. Gemeinsam kreieren die Beiden Choreographien, die von der Coolness des Moderndance bis Hip-Hop, sowie der Erotik des brasilianischen Sambas, kubanischen Salsas und Mambos profitieren.
Dieses kubanische Feuer wurde durch die Musik der „Ballet Revolución Live Band“ nur verstärkt. Durch Congas, jazzige Trompetensoli und die Soul-Stimmen von Janine Johnson und Weston Foster klangen selbst aktuelle Charts – die tatsächlich an diesem Abend auch nicht fehlten – nach Zentralamerika.
Nach einer Show von 2,5 Stunden mit Pause dankte der ganze Saal dem Tanzensemble mit Standing Ovations, die auch während einer Zugabe der Tänzer nicht aufhören wollten. Und selbst die abschließenden Verbeugungen der Tänzer schienen eine Perfomance im Miniatur-Format. Kein Schritt wurde unbewusst gesetzt. So endete der Abend an diesem kalten und ungemütlichen Dienstagabend mit einem kleinen kubanischen Funken, den jeder Zuschauer mit sich nach Hause tragen konnte.
Alles auf live gespielte kubanische Musik und eigens interpretierten Pop-Charts von der eigenen Big Band. Mit der Illusion spielende Gruppenkonstellationen lösen sich im Pas-de-deux auf und lassen Raum, sodass sich jede Tänzerpersönlichkeit individuell präsentieren kann. Schwingende Hüften, wirbelnde Beine und akrobatische Sprünge, sowie faszinierende Hebefiguren bringen das kubanische Feuer im eisigen Februar auf die Capitol-Bühne. Ins Schwitzen kommen nicht nur die Künstler, sondern auch das Publikum bei dem Anblick der muskelbepackten Tänzer und der leichtbekleideten Tänzerinnen. Sexappeal schreibt sich die gesamte Company bewusst auf den „Körper“ und vertanzt pure Erotik in jeder einzelnen Tanzszene mit Herz und Seele. Der tosende Applaus will am Ende zu Recht gar nicht mehr verebben, denn diese feurige Tanzperformance macht eben süchtig. Der nächste Urlaub nach Kuba ist gebucht!
Foto Credits:
Johan Persson