Aus Solokünstler wird Trio, wird Orchester. Der Jazzbassist Avishai Cohen hatte schon vor vielen Jahren die Idee, seine Musik auf die großen Orchesterbühnen zu bringen. Schnell hatte er mit Omri Mor am Klavier und dem Percussionisten Itamar Doari eine Idealbesetzung gefunden, die eine authentische Genremixtur aus smoothem Jazz, Fusion und orientalischen Klängen, von Jazzclub zu Jazzclub tragen konnte. Bei der aktuellen Konzertreihe werden dieser vielfältigen Stilwelt zusätzlich klassische Elemente hinzugefügt – zusammen mit den Essener Philharmonikern gelingt ein emotionales Programm.
Der heutige Abend soll nicht nur Spaß machen, sondern auch die schwül-drückende Stadtluft aus den Köpfen der Besucher vertreiben. Statt Anzug und Lackschuhen gibt es bei manchen Besuchern heute auch kurze Hosen oder bunte T-Shirts. Obwohl das Wetter förmlich nach Badesee und Bier ruft, ist die Essener Philharmonie fast bis auf den letzten Platz gefüllt.
Diese sommerliche Stimmung ist auch den Essener Philharmonikern anzumerken, als sie die Bühne betreten. Hier und da ein Winken ins Publikum, fast überall ein breites Grinsen.
Die Orchestermusiker verlassen heute ihr klassisches Terrain, Avishai Cohen wird es im Laufe des Abends immer wieder mit ausgeklügelten Jazz-Arrangements unterspülen. Bei der „An evening with Avishai Cohen“ – Konzertreihe hat der israelische Bassist Stücke aus seinem eigenem Repertoire und Musikwerke, die ihn auf seinem Lebensweg begleitet haben, ausgewählt und diese für Sinfonieorchester arrangiert.
Beim ersten Stück des Abends fehlt das Trio um Cohen noch, zuerst soll der Klangkörper des Orchesters vorgestellt werden. Dirigent Alex Hanson leitet zusammen mit den Philharmonikern den Abend ein. Sanft wiegt Hanson seinen Taktstock zur Musik. Die von Cohen komponierte Ouvertüre Noam, op.1, steht normalerweise an erster Stelle seines Albums Almah und leitet heute in den Abend ein. Die Melodie hat einen Aufbruchscharakter, der sich durch schwelgende Streicher, sowie offene und bestimmte Blechbläser offenbart und sich sofort im Ohr der Besucher festsetzt.
Avishai Cohen ist ein Bildermaler, ein Geschichtenerzähler, das ist bereits an der ersten Komposition zu erkennen. Wie ein Vogelschwarm, der sich durch wechselnde Landschaften bewegt, windet sich die Melodie durch verschiedenste Tonregister und Instrumentengruppen. Die anfangs vorsichtigen Jazzeinflüsse kann man nur hintergründig an den brodelnden Kontrabässen und der Melodieführung, die sich auch mal in eine unerwartete Richtung bewegt, erahnen.
Ein Konzept, das Spaß macht. Die Besucher werden nicht hinterrücks mit der Jazzkeule erschlagen, sondern langsam an das experimentelle Projekt herangeführt. Als Avishai Cohen zusammen mit seinen Triomusikern und langjährigen Weggefährten Omri Mor und Itamar Doari den Saal betritt, erhält auch gleichzeitig der Jazz seinen Einzug. Schon bald mäandert die Musik allerdings so organisch zwischen den beiden Genres, dass es schwer vorstellbar ist, dass die Musiker auch getrennt voneinander existieren könnten. Das Orchester gibt Melodien vor, welche mühelos vom Trio aufgenommen und verändert werden, um dann wieder mit dem kompletten Ensemble zu einem gemeinsamen Höhepunkt geführt werden zu können. Immer wieder wird die Musik durch ausladende Soli unterbrochen. Das Publikum reagiert mit frenetischen Beifall. Nach jedem Stück und das zu Recht.
Den Großteil des Konzerts über, aber vor allem bei den Titeln, bei denen Cohen zusätzlich am Gesangsmikrofon stand, lag eine andächtige Stimmung in der Luft. Als wäre die Musik direkt in Kopf und Herz der Besucher geflossen. Da blieb oftmals nicht viel übrig, als mit stockendem Atem und offenem Mund den emotionalen Klängen zu lauschen.
Woher diese magische Emotionalität auch kam, sie hielt sich nicht nur im Zuschauerbereich auf, sondern auch auf der Bühne und war allen Beteiligten anzumerken. Dirigent Hanson, so schien es, hatte oft mit den Freudentränen zu kämpfen und wurde nicht müde, das Publikum zu spontanem Szenenapplaus aufzufordern. Das reichte sogar so weit, dass mitten im Konzert das gesamte Orchester aufstand und mit einem herzlichen Beifall bedacht wurde.
Wer frenetisch applaudiert, wird reich belohnt. So war es nicht verwunderlich, dass Avishai Cohen weitere vier Male die Bühne für eine Zugabe betrat und unter anderem das melancholische Nature Boy von Nat King Cole und Remembering spielte, welches ohne die Essener dargeboten wurde und zu den bekanntesten seiner Titel gehört. Wahrscheinlich hätte sich das Publikum auch noch weitere Zugaben angehört, nach zwei Stunden wurde es dann aber doch in die nun kühlere Abenddämmerung entlassen. Bestimmt erzählt es daheim von diesen zwei Stunden voller Emotionen, von dieser Chance, in musikalische Welten abzutauchen, von diesem Abend für offene Münder, Gänsehaut und Begeisterung – von Avishai Cohens geglücktem Experiment.
Fotocredits:
Bilder von Avishai Cohen: Hamsa Saad – Avishai Cohen 22 & Avishai Cohen 25
Video: Avishai Cohen, an insight into his orchestra project / http://avishaicohen.com/classical-world/