Wie & warum (nicht) klassisch digital?

Ein Sammelsurium aus Gedanken, Fragen, Ideen und Problemen rund ums Thema Kultur und Digitalität im Konzerthaus. terzwerk wirft einen kleinen Blick hinter die Kulissen des Virtuellen Konzerthaus Berlin, wo sich Probleme tummeln, die zunächst gar nichts mit künstlerischen Aspekten zu tun haben. Welche Möglichkeiten sind überhaupt realisierbar, Digitalität und Kultur sinnvoll miteinander verschmelzen lassen und als durchdachte Ergänzung zum normalen Betrieb zu etablieren?

terzwerk hat mit Elena Kountidou, der Direktorin für Kommunikation und digitale Vermittlung des Konzerthaus Berlin, über die Knackpunkte von Digitalität an Kulturinstitutionen gesprochen.

Woher kommt die Initiative, sich als Kulturinstitution digital aufzustellen?

In erster Linie kommt die Initiative aus Bestrebungen, Anliegen und der Strategie des/der Intendant*in. Meist steht dabei die Öffnung des Hauses, die Vermittlung klassischer Musik in neuen Formaten, die Erschließung eines neuen Publikums sowie das Angebot, dem bekanntem Publikum neue Perspektiven anzubieten im Vordergrund. Die Initiative für mehr Digitalität ist eng an die Idee geknüpft, ganz neue Wege einzuschlagen.

Wieviel kostet eine digitale Neuaufstellung?

Mit der Finanzierung steht und fällt die erfolgreiche Einbindung von Digitalität im Kulturbereich. Förderungen sind notwendig, denn Techniker*innen und Programmierer*innen sind teuer.

Im Virtuellen Konzerthaus wurde zuerst gemeinsam mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin ein Antrag gestellt, als gerade eine neue Periode der EFRE-Förderung startete, wie Frau Kountidou uns im Interview gegenüber erzählt. Das lief über den Senat für Forschung und Wissenschaft und sollte Forschungsprojekte vom Mittelstand oder Kulturinstitutionen fördern. Von einem Großteil des Geldes werden die Gehälter z. B. für Forscher*innen und Doktorand*innen finanziert.

Kountidou: „Aus dem hauseigenen Personalstamm heraus können solche Projekte nicht gestemmt werden. Man braucht Leute, die sich intensiv mit der Technik auseinandersetzen.“

Wie lange dauert so eine digitale Neuausrichtung denn?

Digitale Projekte sind zurzeit noch mit einem großen zeitlichen Aufwand verbunden. Virtual Reality Projekte zu konzipieren und umzusetzen dauert gut ein Jahr, Projekte mit VR-Brillen können sogar noch länger dauern. Immersive Technologien sind heutzutage noch mit einem immensen technischen und visuellen Aufwand verbunden, weshalb sie für Konzerteinführungen oder andere tagesaktuelle Projekte nicht geeignet sind.

Besonders zeitaufwendig sind vor allem die Apps, die nicht nur konzipiert, sondern auch gewartet werden müssen. Mit jedem Update von iOS oder Android müssen sie von Programmierer*innen einzeln angepasst werden, weil auf jedem Gerät (iPhone, iPad, Samsung, etc.) andere Bugs entstehen. Außerdem sind sie nur für User mit aktuellem Handy nutzbar, da alte Betriebssysteme nicht unterstützt werden.

Es gibt jedoch standardisierte Apps, die zwar auch gewartet werden müssen, deren Content sich aber schnell austauschen lässt. Sie eignen sich dafür, Inhalte öfter anzupassen und an bestimmte Ereignisse zu knüpfen. Ein Beispiel dafür ist „Wolfgang“.

Mehr zu "Wolfgang"

“Wolfgang” ist speziell für klassische Konzerte konzipiert worden. Während des Konzerts gibt sie Informationen an den User weiter, z.B. zur Musik selbst, zu Instrumenten, zum Hintergrund von Komponist*innen. Vereinzelt ist die App auch in Deutschland bei ausgewählten Konzerten im Einsatz.

Wen interessiert überhaupt eine digitale Ausstellung in einem Konzerthaus?

Um nachzuvollziehen, welche Besucher*innen das Virtuelle Konzerthaus erreicht, werden Statistiken erhoben. In Besuchsstatistiken werden eine Mischung aus Laufkundschaft, die durch das schöne Gebäude angelockt wird, und angemeldeten Führungen von Volkshochschulen oder Tourist*innen getrackt.

© Alexander Naumann auf Pixabay

Die Konzertbesucher*innen, die schon an das Haus gebunden sind, identifizieren sich gerne mit dem Orchester. Durch VR-Brillen sind sie beispielsweise näher dran oder erleben einen Perspektivwechsel, indem sie einen Blick auf den*die Dirigenten*in ermöglicht bekommen. Einige Stammbesucher*innen bringen sogar ihre Familien mit, um ihnen zu zeigen, wie sehr sie diese technische, immersive Erfahrung überzeugt hat. Darunter sind auch ältere Erstnutzer*innen, die sich trauen, die Projekte zu testen.

Außerdem gibt es auch sogenannte Outreach-Programme, wie z.B. Kooperationen mit Bezirksbibliotheken. Dadurch erfolgt eine andere Zielgruppenansprache. Das Konzerthaus verlässt die Institution und den Kontext Musikwelt, trifft aber trotzdem auf großes Interesse bei einem divers ausgerichteten Publikum.

Die Nutzung von digitalen Möglichkeiten kann eine nachhaltige Wissens-vermittlung fördern. Bei Kindern, die mit digitalen Medien aufwachsen, ist dabei ein größeres Interesse als bei klassischer Musikvermittlung beobachtbar, auch wenn die Begeisterung für das digitale Gerät zuerst im Vordergrund steht. Über die Nutzung von digitalen Mitteln erreicht man die Kinder heute mehr, als über das Hören einer CD und einer Gestaltung eines Plakats dazu. So hat die Elena Kountidou die Erfahrung gemacht, dass der Mehrwert von digitalen Projekten vor allem im interaktiven Part liegt.

Wie sinnvoll sind digitale Projekte überhaupt?

Die Wege der Ideenfindung sind sehr unterschiedlich. Was sich für die Erarbeitung und Durchsetzung von Projekten anbietet, ist eine Kooperation mit einer Hochschule. Der Nachteil dabei ist, dass die Kooperationshochschulen keine Dienstleister sind, wie z. B. eine Agentur, bei der man konkrete Wünsche äußern kann. Meistens gibt es aber Forschungsschwerpunkte, auf die man sich beziehen kann, z. B. die Technologien „augmented reality“ oder „virtual reality“. Technisch ist alles möglich, die Frage ist nur: Was bringt‘s mir? Was kann diese, was eine andere Technologie nicht kann? Eine digitale Umsetzung ist nicht immer die bessere Lösung, daher muss viel ausprobiert werden, um zu erkennen, welche Ideen sinnvoll umgesetzt werden können.

Der wohl wichtigste Punkt bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit ist die Interaktion. Lernen kann Spaß machen, wenn sofort Bezüge zur eigenen Realität gezogen werden und wenn mit Technik interagiert werden kann oder auch individuelle Klangerlebnisse ermöglicht werden. Dabei kann auch ein gegenseitiger Lernprozess zwischen Kindern und Erwachsenen entstehen, weil Kinder oft ganz andere Dinge wahrnehmen und mit digitalen Technologien intuitiv umgehen. An die Realität  geknüpft bedeutet das: Vermittlung durch digitale Spielereien bei kann bei bestimmten Zielgruppen nachhaltig sein. Eine kurze Nutzung kann schon hohe Wissenserkenntnisse nach sich ziehen. Für die einen vielleicht banal, aber für andere Bildungsschichten können spielerische Aspekte beachtliche Vermittlungserfolge bedingen.

Aber wo hakt's denn jetzt bei der Umsetzung?

Es hakt sowohl am Festhalten einiger Intendant*innen an alten Strukturen als auch ganz klar an der Kohle. Vergleicht man den Prozess mit dem der bildenden Kunst, fällt auf, dass die schon um einiges fortgeschrittener ist. Für Museen ist es allerdings auch etwas einfacher, denn: anderer Inhalt, andere Nachhaltigkeit. Exponate, die man digitalisieren und in 3D visualisieren kann, wie es z.B. das Städelmuseum macht, haben den direkten Mehrwert, dass sie in Originalgröße in der eigenen Wohnung erscheinen. Aber auch in Museen gibt es Widerstand durch Kurator*innen, die sich querstellen.

Frau Kountidou nannte im Interview das technische Museum als gutes Beispiel für die andere Ebene der Nachhaltigkeit. Dort wird die Mondlandung als immersive Erfahrung simuliert.

Kountidou: „Das bleibt natürlich für immer sinnvoll, es ist schließlich die Mondlandung.“

Der Unterschied zum klassischen Konzert- oder Opernbetrieb ist der, dass es ein stetig wechselnder Betrieb ist: wechselnde Spielpläne, Chefdirigent*innen und Solist*innen. Trotzdem gibt es eben einige Argumente für einen digitalen Transformationsprozess, der in Kulturinstitutionen noch am Anfang steht. Viele Intendant*innen können sich damit überhaupt nicht identifizieren und fördern dementsprechend eine Transformation der Digitalisierung in den Häusern nicht ausreichend. Viele sehen nur das entweder oder, nicht die Ergänzung, die das klassische Konzert jedoch in keiner Weise ersetzen soll, geschweige denn kann. Die Sinnhaftigkeit ist aber Bestandteil reger Diskussionen in der Marketingrunde Deutschsprachiger Konzert- und Opernhäuser.

Wenn die Kulturinstitutionen sich nicht den neuen Technologien und Erzähl-formen annehmen – ob das jetzt social media oder augmented reality ist – dann sind sie irgendwann nicht mehr relevant, weil sie in der Welt der Jugendlichen überhaupt nicht mehr stattfinden werden. Ziel muss sein, in der gesamten Kulturszene eine Form von Präsenz zu schaffen.

Kountidou: „Die werden keine CD hören und ein Aha-Erlebnis haben und zu uns kommen.“

Um den Prozess voranzutreiben, müssen Budgets umgelagert werden, damit personelle und finanzielle Ressourcen anders genutzt werden. Es müssen neue und abteilungsübergreifende Prozesse aufgesetzt werden, damit solche Projekte erfolgreich auf- und umgesetzt werden.

Erst jetzt werden kleine Schritte gemacht, unter anderem werden entsprechende Stellen ausgeschrieben. Doch auch die Besetzung dieser Stellen macht Probleme, weil viele Menschen mit passender Ausbildung höhere Bezahlungen verlangen als die, die sich Kulturinstitutionen leisten können. Einzelne Sponsoren für Projekte sind zwar gut, aber nicht nachhaltig. Riesenkonzerne wie die Telekom Agenda können es sich leisten ganze Konzerte mit riesigen Datenmengen immersiv zu gestalten. Für Kulturinstitutionen ist das undenkbar. Durch Corona ist ihre wirtschaftliche Situation erschwert, sodass ein  Stellenaufbau erstmal nicht stattfinden wird und die Budgets eher runter als hoch gehen werden. Eine Lösung wären Fonds, die von der Regierung aufgestellt werden und sehr mutige Intendant*innen, die die Häuser umstrukturieren und z.B. bei Veranstaltungen einsparen, um mehr Mittel für den Transformationsprozess zur Verfügung zu haben.

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