Stimmen können streicheln. Neunzig Minuten lang elektrisierende Gänsehaut. Was es dafür braucht? Eine Stimmgabel, die den Ton zur Hingabe des eigenen Stimmnaturells vorgibt und Vokalklang ohne Affektiertheit, ohne Manierismen. Unverbraucht, unverkopft und einfach nur achtmal unnatürlich seidenweich-klarer Stimmenklang. Das beschreibt Voces8. Dieses Vokalensemble aus England hat sich innerhalb weniger Jahre an die Spitze des A cappella-Olymps gesungen. Drei Gesangsgöttinnen plus fünf -götter macht zusammen acht vergoldete Kehlen, die strahlen.
Mit der Konzertbetitelung „Balulalow – Wiegenlied für das Jesuskind“ entscheidet sich Voces8 für ein Programm vorweihnachtlichen Epochenmixes. Von der Renaissance mit Werken von Praetorius und Tallis, über die Romantik mit Mendelssohn, bis hin zu Britten und Stopford faszinieren die Engländer mit einer stilistischen Bandbreite. Immer finden sie die passende Stimmung und den richtigen Sound für die doch sehr unterschiedlichen Stücke. Diese Klangfarbenvariationen wirken nie unnatürlich, sondern als hätte das Oktett beim Einstudieren jedes Mal eine Zeitreise in die jeweilige Epoche unternommen. Ganz nebenbei bleiben sich die Sänger und Sängerinnen aber auch immer ihrer speziellen Voces8-Klangfarbe treu.
Das nur für das Ensemble persönlich von Zeitgenosse Philip Stopford arrangierte „Ave Maris Stella“ macht süchtig: Da manipuliert salbungsvoller Sound und emotionale Klangperlen benetzen Herz und Ohr. Das Gefühl von Verletzlichkeit, das allein durch den sylphidenhaften Klang entsteht, lässt erschaudern, bis man wieder durch die tonmalerisch dissonanten Akkorde aufgefangen wird. Kein Akkord erstarrt bei Voces8, sondern jeder lebt. Fidele Klangkunst, bei der man sich ernsthaft fragt, ob jeder der acht Sänger nicht seiner Stimme ein Live-Mastering verpasst hat. Denn mikroskopisch rein intoniert ist ihr Gesang. Der Klang des Ensembles ist wie ein Gemälde, an dem man sich nicht satt sehen kann. Acht individuelle Farbtöne werden einzeln aufgetragen, fließen aber so harmonisch zusammen, als kämen sie mit nur einem einzigen Pinselstrich auf die Klangleinwand. Die zwei Sopranistinnen Andrea Haines und Eleonore Cockerham mit ihren diamantklaren Timbres werden von Katie Jeffries-Harries erdenden Altstimme umwoben. Tenöre Sam Dressel und Blake Morgan knödeln nie. Immer singen sie mit heller Kopfstimme und mit vorderem Stimmsitz – wider den Vorurteilen gegenüber Tenorstimmen. Barnaby Smith hingegen als alleiniger Countertenor bringt mit seiner speziellen Stimmfärbung den außergewöhnlichen Touch in den Voces8 Sound. Und zum Dahinschmelzen der erhitzende Bariton- und Basskolorit Christopher Moores und Jonathan Paceys. Dieses solistische Qualitätsniveau ist wohl ein Merkmal Voces8. Man sucht nach musikalischen Makeln und wird doch nicht fündig.
Als vokales Oktett gelingt es den Sängern alte Sakralmusik jedem im Kirchensaal am Donnerstagabend zugänglich zu machen. Jedes Stück ist ein stimmliches Highlight für sich, egal aus welcher Epoche, egal mit welchem kirchlich-weihnachtlichen Inhalt. Durchweg ist allen Sängern bewusst, wovon sie singen. Selbst bei den deutschsprachigen Werken sind weder ein englischer Akzent, noch fehlendes Wissen über den Liedinhalt zu erahnen. Wie Voces8 mit seiner Präsenz und seinem Sound die Konzentration des Publikums gewinnt, fasziniert. Als Zuhörer will man nichts verpassen und kann seine Aufmerksamkeit eh auf nichts anderes als den Gesang richten. Süchtig machen vor allem die sich reibenden Klangteppichakkorde. Anders scheint es selbst dem Oktett nicht zu ergehen. Sinnlich schließen sie manchmal die Augen, um sich ihren Stimmen völlig hinzugeben, die Musik zu genießen und doch verlieren sie sich nicht in ihrem persönlichen Sängertunnel.
Am Ende des adventlichen Konzertes will das Publikum sie zurecht nicht gehen lassen. Es kann ja noch nicht vorbei sein. Drei Zugaben, in denen sie sich bei der letzten auch noch in der Jazzvokalmusik beweisen und Tenor Morgan den Solopart bei „Winter Wonderland“ übernimmt. Galant manövriert er das gesamte Ensemble innerhalb weniger Sekunden durch insgesamt fünf Tonarten. Intonatorisch sauber bleibt es, trotz wirbelnder Tonartmodulationen. Wer es bis dahin noch nicht wusste: A cappella ist die Königsdisziplin des Gesangs.
Fotos: © Voces8