Ein gewaltiges Scheppern erschüttert das Concertgebouw in Amsterdam. Das Orchester pocht, der Boden vibriert. Irgendwo, inmitten der Klänge zerschellt etwas. Ein pulsierender Rhythmus bestimmt den Gong, den ersten Teil der Solar Trilogy.
Was wie der Titel einer Science – Fiction Serie klingt, ist das Orchesterwerk des zeitgenössischen Komponisten Poul Ruders. Genauer, eine dreigeteilte Hommage an die Quelle allen Lebens: Die Sonne. Wo bleiben also nun die altbekannten, romantischen Melodien, wie man sie beispielsweise aus der Morgenstimmung gewohnt ist? Die Sonnenstrahlen, die sich so wunderbar musikalisch interpretieren lassen? Man wartet vergeblich. Das Orchester bäumt sich auf, die Geigen flirren, das Schlagwerk treibt rücksichtslos voran. Weiter, lauter, schnarrend, kreischend. Dann, ein Moment zum Aufatmen. Ein melodisches Schimmern löst die Spannung und lässt das Orchester zur Ruhe kommen. Markus Stenz steht mit weit ausgebreiteten Armen am Dirigentenpult. Einen Moment lang hält das Radio Filharmonisch Orkest inne, dann ist der erste Teil der Solar Trilogy vorbei.
Das Holland Festival 2016 neigt sich an diesem Samstag, dem 25. Juni langsam dem Ende. Seit Anfang des Monats präsentiert das größte und älteste Festival der Niederlande klassische und zeitgenössische Darbietungen. Tanz, Theater, Musik und Film finden in Amsterdam ein Publikum, das es gewohnt ist, im Concertgebouw neben dem Standartrepertoire auch auf Neue Musik zu stoßen. Zum ersten Mal wird die Sonnentriologie in voller Länge in den Niederlanden aufgeführt. Ein Ereignis, das alles andere als alltäglich ist. Die bunten Sitzkissen im Zuschauerraum sind gut besetzt. Polstersitze gibt es nur wenige. Wer keinen mehr abbekommt, bewegt sich frei mit einem Weinglas im Hintergrund oder liegt, die Augen geschlossen, auf dem Boden des Konzertgebäudes. Die hohen, gold verzierten Decken sind in tiefem Orange beleuchtet. Eine Lichtinstallation, die sich während des gesamten Konzerts verändert und der Musik anpasst. Hellgelbe Lichtflut oder dunkelrote Schatten komplementieren die Atmosphäre, die die Musik kreiert.
“Man darf nie vergessen, welch’ ungeheure Wucht der Klang eines Sinfonieorchesters hat, wenn es in allen Ecken anfängt zu vibrieren. Solar Trilogy pulsiert tatsächlich. Es ist eine ganz opulente Feier, der Möglichkeiten eines Sinfonieorchesters.”
Mit diesem Satz trifft Markus Stenz, der Chefdirigent des Radio Filharmonisch Orkest, wohl den Kern der Trilogie. In den Teilen, Gong, Zenith und Corona ist genau diese Energie, auf jeweils unterschiedliche Weise, spürbar. Mal bewegt sich die Musik am Rande des Ausbruchs, dann weicht sie auf und wird zu einem kaum hörbaren Flimmern. Das Orchester meistert diese dynamischen Bewegungen fabelhaft. Auch der zweite Satz, der getragen von einer triumphierenden Bläserpassage, den Zenit der Sonne beschreibt, wirkt nicht überspielt. Ein mahnendes Brodeln der Kontrabässe lässt den Hörer nie ganz in der Träumerei versinken. In Ruders Musik steckt keine künstliche Beschönigung. Er behält sich die dunkle Gewissheit, dass alles, auch die Sonne, irgendwann zu einem Ende kommt.
“Bei allen Fragen, die um den Kosmos kreisen, sind wir sehr schnell bei Fragen der Existenz. Die persönliche Entwicklung eines jeden Einzelnen, Ziele, die man sich selbst setzt, Laufbahnen im weitesten Sinne. Die Musik lässt für die gesamte Ecke der philosophischen Fragen Raum.” (Stenz)
Mit Solar Trilogy schafft Ruders ein Werk, dem es gelingt, einer Naturgewalt, in ihren unterschiedlichen Formen, Klang zuzuschreiben. Solar Trilogy ist eine ungeheuerliche Annäherung, fernab von buntem Kitsch. Das Amsterdamer Publikum ist von dem musikalischen Trip zur Sonne begeistert. Als Souvenir dieser Exkursion bleibt die Faszination. Für den Feuerball, genau so wie für die Ausdrucksmöglichkeiten der Musik.
"Track by Track"
Markus Stenz über die drei Teile der Solar Trilogy
„Der erste Satz dreht sich um Gong also das Schwingen. Man wird daran erinnert, dass die Sonne angeblich selbst in vier unterschiedlichen Tempi schwingt. Eine Musik mit unglaublich viel Energie.“
„Genau wie die Sonne, die in der Mitte des Tages durch den Zenit schreitet, hat Ruders genau in der Mitte der Triologie den lautesten Moment komponiert. Fünfzehn Minuten lang übersteigt ein liegender Akkord den nächsten. So baut sich die Musik, ähnlich dem Orbit der Sonne, immer weiter auf. Sehr kraftvoll, sehr stark, sehr groß – nicht schnell, einfach nur gewaltig.“
„Corona ist die Sonne, die sich verdunkelt. Man bekommt ein Gespür dafür, wie energiegeladen, wie heiß, wie wild es in der unmittelbaren Sonnenatmosphäre zugeht. Der Moment der Dunkelheit wird in der letzten Partiturseite aufgelößt. Ruders lässt die Sonne auf glorifizierende, fast anbetende Art und Weise erstrahlen. Licht pur.“