In Mittelfranken sorgte Pfarrer Claus Ebeling für einen regelrechten Hype, weil er Lieder, Psalme und ganze Messen ins Fränkische übersetzt. Mit einem “Fränkischen Psalter” gelang ihm schließlich der Durchbruch. Er ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Mundartstrategie. Wer ist der Mann, der Gottesdienste im Dialekt hält und was treibt ihn an? Wir haben ihn in seinem Heimatort Lichtenau besucht und gingen auf Spurensuche.
Kurz vor den Festtagen. Da die Weihnachtszeit einiges von einem Pfarrer abverlangt, einigen wir uns auf einen ruhigeren Termin nach all den Festlichkeiten. Er sagt zu – wenn nicht zu viele Leute beerdigt werden müssen. Ob das oft zu dieser Zeit vorkommt, will ich wissen. So gut ist sein Draht zu Gott dann doch nicht, sagt er. Ich hoffe auf die Gnade Gottes und warte ab. Kein Toter, also fahre ich hin.
Auf nach Franken
-2 Grad, rauer Wind und nur gelegentlich Sonnenstrahlen. Kälte legt sich an jenem Morgen über das weite Frankenland. Noch 5 Kilometer bis Lichtenau. Dass der Ort durch sein Wirken einmal so in die Schlagzeilen geraten würde, ahnte Pfarrer Claus Ebeling nicht. Nürnberger Nachrichten, Bayerischer Rundfunk und Lokalpresse, alle wollten hin. Der Ort ist, was man die fränkische Steppe nennen könnte: fernab von jeder Großstadt und Hektik. Das Ortseingangsschild lässt zunächst nicht vermuten, dass die Kirche im Ort einen besonderen Charme versprühen würde. Heilige Messe um 9.30 Uhr, keine Spur von Besonderheit.
Eine Auffälligkeit zeigt sich dann aber doch, wenn man den Aushang an der evangelischen Ortskirche durchstöbert: Zwischen Spielenachmittagen und Mittagstischen findet sich im Haus der Begegnung auch eine Veranstaltung mit dem Namen “Liched in dä Noochd” – ein Gedichteabend jenseits des Hochdeutschen.
Das ist nur eine von vielen Ideen, die einer fränkischen Strategie des Pfarrers folgen. Aus einem Arbeitskreis heraus wurden zunächst Gottesdienste umgesetzt, die rein in fränkischer Sprache abgehalten werden. Nun erreicht der Dialekt seinen vorläufigen künstlerischen Höhepunkt: Pfarrer Claus Ebeling hat gemeinsam mit seinen Mitstreitern alle Texte, Psalme und Lieder in Mundart zusammengetragen und in die fränkische Sprache übersetzt – sofern sie nicht schon im Original fränkisch waren. Auf seinem PC sammeln sich bereits seit mehreren Jahren eigens angefertigte Übersetzungen und allerlei Liedgut. Daraus entstanden ein Hörbuch und der “Fränkische Psalter”, der über die Ortsgrenzen hinaus für Aufsehen gesorgt hat. Dort soll unter einem hohen Anspruch Dialekt in die Mitte des Glaubens gerückt werden. In Ebelings Bücherzimmer stapeln sich seither die Anfragen. Da alles in Eigenregie und ohne Verlag entstanden ist, führt er handmännisch Buch über die eingehenden Bestellungen. Strichlisten übersäumen seinen Tisch und zeugen von einem wirtschaftlichen Erfolg. Der Psalter verkauft sich deutlich besser als erwartet. Von 4000 georderten Exemplaren sind schon mehr als die Hälfte verkauft. Der Erlös kommt wiederum dem Arbeitskreis zugute und dient somit der Refinanzierung neuer Ideen zur Dialektförderung vor Ort.
Im Gespräch mit einem Sprachkünstler
Pfarrer und Gemeinde werden eins
Pfarrer Claus Ebeling nimmt viele über sein Sprachrohr mit, die er vielleicht sonst gar nicht erreicht hätte. Es sei doch sowieso schon die Sprache, die man vor Ort immer spreche, erklärt Pfarrer Ebeling im Gespräch. “Des ist die Sprache der Menschen hier. […] Das ist ja für die normal, in der Regel in ihrer Muttersprache zu reden.” Mit Muttersprache meint er fränkisch. Wenn Kinder wie er dreisprachig aufwachsen, dann meint er das Zusammenspiel von Oberbayrisch, Fränkisch und ja, auch Hochdeutsch. “Warum soll Kirche diese Menschen ausschließen? […] Wer die Menschen verstehen will, muss auch ihre Sprache erst einmal verstehen”. Dass es dabei hilft, Kirche auf eine (sprachliche) Ebene mit ihren Zuhörern zu bringen, davon ist er überzeugt.
Viele Kirchengemeinden haben Mühe, Besucher in die Gottesdienste zu locken. Dazu lassen sie sich lokal immer wieder Besonderes einfallen. In Aschaffenburg in Unterfranken gerät eine Kirche seit ihrem Umbau zur Jahrtausendwende in die Schlagzeilen, weil ihr Innenraum seitdem komplett weiß angestrichen ist. Seit einiger Zeit beten Pfarrer und Gemeinde nun sogar im Kreis. In Prichsenstadt nahe Würzburg wollte man bei der dringend benötigten Rennovierung der St. Sixtus-Kirche neue Akzente setzen. Neben einem neuen lichtdurchfluteten Raum ist auch das Bodenniveau in der gesamten Kirche angeglichen worden: Auch hier ist der Altar in die Mitte gerückt und nun auf einer Höhe mit den Gläubigen. In beiden Fällen verschwimmt in den Augen der Betrachter die erfurchteinflößende Distanz zwischen Laien und Amtskirche.
Dialekt als Sehnsuchtsort
Pfarrer Claus Ebeling sehnt sich nach demselben Ziel, hält dafür jedoch die Sprache am geeignetsten. „Ich habe damals schon gespürt, […] dass die Kirche schon immer sich auch durch Sprache abgegrenzt hat.” Die katholische Kirche habe lange gebraucht, sich von ihrem lateinischen Sprachgebrauch zu lösen – die Evangelische klammere sich am Hochdeutschen fest. Durch die Verwendung von Standardsprache würden Menschen von vornherein ausgeschlossen. Lediglich in Norddeutschland hätte sich regionales Plattdeutsch bis heute in Gottesdiensten durchgesetzt. In ganz Europa werden in Grenzregionen ebenfalls Sprachgewohnheiten der Bevölkerung in der Messe berücksichtigt. Wer käme im Hohen Dom zu Brixen in Südtirol schon auf die Idee, die deutschsprachigen Gottesdienste zu verbannen? Italienisch können viele Südtiroler inzwischen zwar auch, aber die Alltagssprache für viele bleibt weiterhin Deutsch bzw. Südtirolerisch. Auch in Schlesien, das heute zu Polen gehört, ist der schlesische Dialekt fester Bestandteil des öffentlichen Lebens. Warum also nicht auch in Süddeutschland? Warum gerade in der Messe nicht?
Vor seinem Pfarramt in Lichtenau war Ebeling auch schon in der Region tätig. Dabei ist er gar kein reiner Franke, Teile seiner Familie sind sogar gebürtige Oberbayern. Er liebt Sprachen durch und durch und für ihn gehört der Dialekt schlicht zum Leben dazu. Das spürt man und es beschäftigt ihn: Schon als Kind war ihm dafür eine besondere Gabe in die Wiege gelegt. Der Psalter ist da nur die letzte Handlung einer konsequenten Dialektstrategie. Eine Strategie, die nicht nur in Lichtenau Anhänger findet. Seine Botschaft soll sich auch gar nicht auf seinen Heimatort und den dort gelebten Dialekt beschränken. Mit der Initiative sollen vielmehr in allen Teilen Deutschlands Dialekte verschiedenster Art reaktiviert werden. Zunächst belächelt und teils kritisch beäugt, bahnte sich sein Gedanke seinen Weg und fand unterdessen immer neue Fürsprecher. Nun sind Franken, Schwaben, Pfälzer und Co. in einem Arbeitskreis vereint. Dabei hielt sich die Begeisterung von Seiten der evangelischen Landeskirche in Grenzen. Die “offizielle Kirche steht dem Thema total skeptisch gegenüber”, erinnert er sich. Eine Vikarin, die seine Predigt beurteilen sollte, hatte noch wenige Jahre zuvor die Möglichkeit, “stark mundartlich geprägte Sprache” als Negativkriterium einfließen zu lassen.
Die Leut' kommen
Die heilige Messe wird für immer weniger Menschen in Deutschland zum sonntäglichen Anlaufspunkt. Mit Mundartgottesdiensten will Claus Ebeling das bei sich im Kleinen verhindern. “Beim Mundartgottesdienst kommen deutlich mehr Menschen”. Kämen sonst teils gerade einmal 35 Menschen in eine reguläre Messe, sei die Kirche mit über 200 Personen umso gefüllter, wenn eben jene Messe in Mundart ertöne. Die Ressonanz sei durchweg positiv: “Herr Pfarrer, jetzt habe ich endlich mal was verstanden”, bescheinigen ihm seine Zuhörer. So bricht er die gelernte Struktur vom Pfarrer der Obrigkeit auf: Er nennt das “Untertane Mentalität”. “Dass wir als Gemeinde deutlich machen, wir möchten mit euch was zu tun haben”, das sei wichtig. Schnell ist ihm klar geworden, dass man darüber “auch ernste Inhalte” transportieren kann, nicht bloß Unterhaltung. “Die Regeln, die für gute Predigt in Standardsprache gelten, gelten auch für die Predigt in Mundart”. Alle liturgischen Teile werden dann bis ins letzte Detail übersetzt. Blutleere Predigten wollte er in seiner Kirche sowieso nie abhalten. Die müssen die Gottesdienstbesucher “mitten im Leben” abholen. “Das muss aber eigentlich jede gute Predigt auch in Standardsprache können”.
Welche Sprache spricht der "Psalter"?
Wie man “richtig” Mundart spricht, sorgt bei den Sitzungen regelmäßig für Zündstoff. Die Dialekte können von Ort zu Ort stark variieren. Teils gäbe es für ein und dasselbe Gemüse unterschiedlichste Bezeichnungen, so auch in der Gegend um Lichtenau.
Welches Fränkisch liefert der Psalter nun überhaupt seinen Lesern? “Hochfränkisch. […] An einer Stelle haben wir uns nicht einigen können.” So finden sich im Psalter zwei unterschiedliche Fassungen des Liedes “Jetzt fangen wir zum Singen an” von Tobi Reiser aus dem Evangelischen Gesangbuch. Hermann Brunner, einer seiner Kollegen aus dem Mundart-Kreis, wollte sich partout nicht auf seine Version “Etz fanga mir zum Singa oo” einigen. Er wohnt nur wenige Kilometer weiter weg. Eine solche Fehlinterpretation könne unmöglich in dem Psalter landen, fand er. Für ihn war die Sache klar: “Etz fanga mir zum Singa uu” müsste es lauten. Nach langen Diskussionen finden sich schlussendlich beide Versionen im Psalter. So kann sich jeder Leser nun seine eigene Meinung bilden, ob er lieber die “oo”- oder die “uu”- Fassung unterstützenswert findet – oder gar keine.
Der Inhalt des "Psalter"
Was sind die Erzeugnisse, die dieses Werk hervorgebracht hat? Der Psalter gliedert sich in Psalmen, die mehrheitlich aus dem Alten Testament stammen und Lieder. Darunter finden sich Advents- und Weihnachtslieder, aber auch Passionswerke und bekannte geistliche Gesänge. Zum Teil sind es eigens übersetzte Texte, aber auch original fränkisches Liedgut ist dabei. Das Hörbuch zum Fränkischen Psalter hat begleitenden Charakter und enthält zudem noch Landler mit kleiner Orgel und Akkordeon. Was der Psalter liefert, mag Nichtfranken durchaus befremdlich sein. Ein Germanistiker wäre wohl Tage damit beschäftigt, dieses Werk von Rechtschreibfehlern zu befreien. Statt dem allseits bekannten “Vater unser” findet sich im Psalter nur das “Vadder unser”.
“Macht hoch die Tür, die Tor macht weit” von Georg Weissel heißt hier “Macht auf die Türn sperrangelweit”.
Die erste Strophe vom beliebtesten Weihnachtslied der Welt “Stille Nacht, Heilige Nacht” von Joseph Mohr übersetzt Claus Ebeling in “Alles schläft, und die Pracht vo die Stern scheind affs heiliche Paar”. Wem das immer noch nicht fränkisch genug ist, sollte einen Blick in die 4. Strophe werfen. Hier driftet die Übersetzung beinahe ins Selbstironische: “Fränggisch is des Liedla gmacht. Weil aa Franggn zur Krippn sich grennt”.
Zurück zur Normalität
In den vergangenen Tagen ist es wieder ruhiger geworden um den Psalter. Die letzten Medienvertreter werden aus dem Ort abgezogen und es kehrt wieder Ruhe ein. Pfarrer Claus Ebeling ist das ganz recht: “Im Moment ist echt Gottseidank Flaute, es ist alles ganz ruhig, keine neuen Bestellungen mehr”. Die Ruhe kehrt zurück: Eben typisch fränkisch Land, so wie’s scho’ immer war. Dort, wo die Leute noch immer kein Wort für die “Liebe” finden, weil es in ihrem fränkischen Wortschatz nicht verankert ist. “Gott ist die Liebe, des kann man auf fränkisch nicht sagen”, aber “Gott moch uns ganz arch gern”, da ist er sich sicher.
Wir danken dem Arbeitskreis Mundart in Vertretung von Pfarrer Claus Ebeling für die freundliche Erlaubnis, Ausschnitte des Psalters auf terzwerk zu veröffentlichen.