Das Kölner Fest für Alte Musik – ein renommiertes Musik-Festival, das den Fokus auf alte Musik und vor allem die historische Aufführungspraxis legt. Das diesjährige Motto des Festivals hat auch aktuellen Bezug: „Krieg und Frieden“. Am 16. März zeigte die junge russische Pianistin Olga Pashchenko, wie unterschiedlich Komponisten um 1918 dieses Thema in ihren Werken verarbeiteten.
Wer an diesem Freitagabend im Kölnischer Kunstverein eintrifft, ist nicht aus Zufall da. Alles erweckt den Anschein eines kleinen, intimen Privatkonzertes. Die junge russische Pianistin Olga Pashchenko läuft vor Beginn noch in Alltagskleidung vor dem Saal herum, begrüßt Zuschauer und wechselt immer wieder ein paar freundliche Worte mit den Besuchern. Ein kleiner Saal mit ca. 80 Stühlen erwartet die Zuhörerschaft; das Klavier steht auf derselben Ebene wie die Plätze der Zuschauer. Auf einem Stuhl in der ersten Reihe liegen die Noten Pashchenkos.
Der Konzertabend beginnt mit Liszts Funerailles, der Miserere, d’aprés Palestrina und den Consolations 1&2. Werke, in denen Liszt die Nationalhelden ehrt, die bei dem Aufstieg und anschließenden Sturz Ungarns 1848 und 1849 gefallen sind.
Mit hochkonzentriertem Gesichtsausdruck setzt Pashchenko den ersten Akkord auf die Tasten des historischen Flügels von Blüthner. Mit klarem Anschlag und gutem Tastengefühl gestaltet die junge Pianistin den groß angelegten virtuosen Trauermasch. Wenn sie ihren Blick von den Noten (übrigens auf einem iPad) auf die Tasten lenkt, scheint sie ihre Finger fast hypnotisieren zu wollen. Man bekommt als Außerstehender beinahe das Gefühl, die Künstlerin befände sich gar nicht mehr im selben Raum, sondern sie ist in ihrer ganz eigenen Liszt-Blase.
Diese starke Mimik hält auch bei den weiteren Werken Liszts an. Bei der Misere d’aprés Palestrina und den Consolations 1&2 scheint sie ihre Finger und die Noten mit ihren Blicken fast streicheln zu wollen. Ein Indiz dafür, dass ihr der neue choralartige Charakter, der sich so stark vom zuvor gespielten Trauermarsch unterscheidet, bewusst ist. Auf lieblichen und zarten Klangfarben liegt nun der musikalische Fokus.
Fotos: © Christina von Richthofen
Mit diesen Klangfarben erscheint der Übergang zu Ravels Le Tombeau de Couperin nicht zu hart. Jeder Satz in diesem Werk ist einem Freund des Komponisten gewidmet, der als Soldat im ersten Weltkrieg fiel. Musikalisch erinnert er unter anderem an den Lieutenant Jacques Charlot und Gabriel Deluc oder an Pierre und Pascal Gaudin, zwei Brüder, die im selben Bunker getötet wurden. Pashenko lässt ihre Finger die typische weiche Klangsprache Ravels sprechen, verbunden mit einer breiten Verwendung des Pedals. Auf einer im Pedal liegenden Harmonik eine bestimmte Melodie hervorzuheben oder andersherum eine liegende Harmonik nur noch auf einen einzelnen Ton nach und nach zu reduzieren, ist an diesem Abend eine der Stärken der Pianistin. Doch auch hier fehlt es nicht an ihrem strengen und starren Blick. In ihrer hohen Konzentration geht die musikalische Intensität zu manchen Zeitpunkten etwas verloren.
Zu den Höhepunkten des Abends zählt die erste Hälfte nach der Pause mit Werken von Nikolaj Medtner, einem Zeitgenossen von Skrjabin und Rachmaninoff, der jedoch weitaus unbekannter ist. Mit der Sonata a minor op. 30, genannt Kriegssonate setzt Pashchenko direkt ein musikalisches Statement. Die bedrohliche Stimmung, die die gesamte Sonate dominiert, macht sie fast greifbar. Auch die wilde Rhythmik und harte Harmonik bereiten ihr keine Schwierigkeiten. Die miteinander verbundenen Stücke Canzona matinata und Sonata tragica bilden einen runden Abschluss dieses Programmteils. Während die Canzona sorglos und mit ihren leicht jazzigen Klängen wortwörtlich an ein Morgenlied erinnert, hat die Sonata tragica einen wesentlich entmutigteren Charakter.
Ich wurde 1879 mit einem Jahrhundert Verspätung geboren, was ich daraus schließe, dass mich keine Umstände dazu bringen können, mit den gegenwärtigen Strömungen der Musik zu schwimmen, sondern ich immerzu gegen den Strom schwimmen muss. – Nikolaj Meitner
Den Abschluss des Konzertes bildet die Sonata 4 op. 30 von Alexander Skrjabin. Ein Werk, welches als einziges an diesem Abend nicht nur mit Krieg, Zerstörung und Pessimismus in Verbindung gebracht wird. In Skrjabins Gedicht, das er zu dieser Sonate verfasst hat, spricht er von „zitterndem Strahlen“ und einem „fernen Stern“: Er sehnt sich einen Flug zu einem Stern herbei, den er als Quelle der Sehnsucht ansieht. Am Ende des Konzertes gibt es also doch noch den lang ersehnten musikalischen Hoffnungsschimmer.
Nach einer musikalischen Darbietung höchster Konzentration, der es zwischendurch jedoch etwas an musikalischer Intensität und Ausdifferenzierung fehlt, gibt Pashchenko nach wohlverdientem, ergiebigem Applaus noch eine Zugabe und bedankt sich anschließend mit Verbeugungen bei dem kleinen, aber sehr aufmerksamen Publikum.