Ode an die Hymne der Europäischen Union

Was Friedrich Schiller und Ludwig van Beethoven mit Europa zu tun haben und warum es sich lohnt, am Kern unserer Europahymne festzuhalten.

Im Rahmen unserer zum Thema Hymnen geplanten Reihe habe ich meine persönliche Lieblingshymne ausgesucht – die der Europäischen Union. Im Verlauf der Recherche habe ich im Sommer viele Artikel, Bücher und Porträts gelesen, und, um ein besseres Gespür für den Komponisten zu bekommen, das Beethoven-Haus in Bonn besucht.

Griechische Mythologie

Zur Einordnung: Der Name Europa geht auf die gleichnamige phönizische Königstochter zurück, die der griechischen Mythologie zufolge vor etwa 3.000 Jahren von Göttervater Zeus auf die Insel Kreta entführt wurde. Die Melodie der Europahymne hat Ludwig van Beethoven (1770-1827) im Schlusssatz seiner im Jahr 1824 komponierten Neunten Sinfonie festgehalten. Sie stellt eine Vertonung der ersten, 1785 entstandenen Fassung von Friedrich Schillers (1759-1805) Ode „An die Freude“ dar.

Als Dichter, Philosoph und Historiker prägte Schiller die deutsche Literaturgeschichte mit seinen zahlreichen Gedichten, Balladen und Dramen nachhaltig. Sein kritischer Umgang mit seinem eigenen Schaffen zeigt sich auch in den Änderungen, die er in der zweiten Fassung seiner Ode „An die Freude“ vorgenommen hat: So hat er darin beispielsweise die erste Strophe abgeändert und die letzte komplett gestrichen.

Freude, schöner Götterfunken,

Tochter aus Elysium,

Wir betreten feuertrunken,

Himmlische, dein Heiligtum.

Deine Zauber binden wieder,

Was die Mode streng geteilt,

Alle Menschen werden Brüder,

Wo dein sanfter Flügel weilt.

(Friedrich Schiller, „An die Freude“, Strophe 1)

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Mit der Europahymne wurde aus Schillers Gedicht und Beethovens Musik eine Komposition in der Sprache der Musik geschaffen. Ob sie schon ahnten, dass ihr Werk einmal offiziell das Zusammengehörigkeitsgefühl der Europäer*innen repräsentieren würde?

In seiner Ode verlieh Schiller seiner Idealvorstellung Ausdruck, wonach alle Menschen „zu Brüdern“ werden sollen. In der Literaturepoche der Aufklärung (1720-1800), die auch als „Epoche der Vernunft“ bezeichnet wird, war die Humanität ein wichtiges Ideal. Philosophische, soziale und politische Veränderungen riefen den Anbruch einer neuen Zeit hervor. Wie ein Lauffeuer griff das Streben nach Freiheit um sich.

Aus der Unmündigkeit in die Emanzipation

Eines der Ziele der Literatur dieser Ära war es, einen Lerneffekt auf die Leserschaft auszuüben: Durch das Erkennen ihrer Gefühle sollten Menschen zu emanzipierten, eigenständig handelnden Individuen werden.

In diesem Zusammenhang ist auch die Katharsis zu nennen. Der aus dem Altgriechischen stammende Begriff bezeichnet nach Aristoteles (384-322 v. Chr.) die „Reinigung der Seele von Leidenschaften“. Ein Prozess, den das Publikum durchläuft, wenn es Theateraufführungen (vor allem Tragödien oder Trauerspielen) beiwohnt!

Aristoteles zufolge gehen mit diesem Prozess psychische Veränderungen einher. Und wer kennt es nicht?  Mich lassen so großartige Werke wie diejenigen von Beethoven jedes Mal aufs Neue innerlich verändert zurück.

Ebenso wie Schiller waren auch Beethoven humanitäre Gedanken wie Menschenfreundlichkeit und Verantwortungsbewusstsein wichtig. In seiner Musik verlieh er dem Individualitätsgedanken und den sozialen Forderungen seiner Zeit Ausdruck.

„Man sagt die Kunst sey lang, kurz das Leben Lang´ ist das Leben nur, kurz die Kunst; Soll unß ihr Hauch zu den Göttern heben So ist er eines Augenblickes Gunst.“

(Ludwig van Beethoven)

Der der Ode „An die Freude“ innewohnende Appell an die grenzüberschreitende Brüderschaft aller Menschen könnte aus heutiger Sicht als Zukunftsvision aufgefasst werden. Im Jahr 1972 erklärte der Europarat die Komposition zu seiner Hymne; 1985 wurde sie zur offiziellen Hymne der Europäischen Union erkoren. Bei festlichen Veranstaltungen erklingt die Europahymne in ihrer Instrumentalversion. Auch ohne Worte bringt sie europäische Werte wie Frieden, Freiheit und Solidarität zum Ausdruck – Musik ist eine universelle Sprache.

Die Vollendung der Neunten Sinfonie ließ mehrere Jahre auf sich warten, was auf Beethovens ausgeprägten Perfektionismus zurückzuführen ist, der ihm Angaben von Zeitzeugen zufolge manchmal selbst im Weg stand.

Ein Feuerwerk der Musik

Beethoven hat seine komplexe, vor Klangfarben übersprudelnde Neunte Sinfonie geschaffen, ohne jemals eine ihrer Aufführungen hören zu können: Zum Zeitpunkt ihrer Komposition war er schon völlig taub und litt unter Tinnitus. Nach jahrelangen Überarbeitungen wurde die Symphonie am 7. Mai 1824 in Wien uraufgeführt. Für mich ist das gesamte Werk Beethovens ein wahres Feuerwerk – das wurde mir auch durch den Besuch des Bonner Museums noch einmal bewusst. Dort taucht man in ein historisches Ambiente ein und kann anhand originaler Ausstellungsstücke Beethovens Gedanken und Arbeitsweisen nachvollziehen. Besonders schön anzuschauen finde ich die Gemälde- und Musikinstrumentensammlung im Haus in der Bonngasse 20. Dieses gehört zu einen der wenigen vollständig erhaltenen Bürgerhäuser aus dem 18. Jahrhundert.

Es ist schwer vorstellbar, welche Hymne als Europahymne gekürt worden wäre, würde es das Gesamtwerk von Schiller und Beethoven nicht geben. Ich empfinde es als außergewöhnliches Geschenk, mich als Europäerin fühlen und zur Verwirklichung ihrer beider Idealvorstellung beitragen zu dürfen:

„Alle Menschen werden Brüder.“

Bildcredits: Jacqueline Alana Krein und WikiImages von pixabay.com.

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