Die Welt der Neoklassik ist groß und weit. Doch auf den Namen Nils Frahm stößt man schnell. Der Berliner Komponist ist vermutlich der bekannteste deutsche Name des Genres. Die Ruhrtriennale liebt solche Namen – große, etablierte Namen. Ticketverkäufe spielen da eine Rolle, aber sicherlich auch Prestige. Wenig andere Festivals im Ruhrgebiet schaffen es, dieses Kaliber der Hochkultur nach Duisburg, Essen und Bochum zu locken. Doch lohnt sich der Aufwand? Lohnen sich die zum Teil echt teuren Eintrittspreise? Lohnt sich das ganze Tamtam?
Kurz gesagt: Ja.
Ausführlicher gesagt: Dieses Konzert war so nah an Perfektion, wie ich es lange nicht erlebt habe – Allein die Location. Kein Konzertsaal, sondern eine alte Gießerei im Landschaftspark Duisburg Nord. Eine riesige Industrie-Halle, ganz in ziegelsteinrot gehalten, mit einer Bühne, die im ersten Moment eher an einen Bahnsteig erinnert. Auf ihr das komplizierte Set-Up von Nils Frahm: Mindestens acht Klaviaturen, verbunden mit Orgelpfeifen, Synthesizern, Klaviersaiten. Besonders ins Auge sticht eine sich drehende Glass-Harmonika, ein gläserner Dönerspieß , der so ähnlich klingt wie der nasse Finger am Sektglashals. Der Vibe: Labor und Filmset zugleich. Auftritt Nils Frahm, der Versuchsleiter des Abends.
Die meistgestreamten Songs des Künstlers sind ruhige Klavierkompositionen. Musik, die Menschen zum Einschlafen empfehlen würden. Auch diese Facette kommt in Duisburg vor, doch viel spannender ist es, wenn es laut wird, hektisch, der modulare Synthesizer mit dem Beat fast davonrennt. Dann tanzt Frahm zwischen den Klaviaturen und Boxen hin und her. Und sobald er eine Taste berührt, ist es, als würde das Signal in seinen Körper weiterfließen. Fast dämonische Ausmaße nimmt das manchmal an, wenn die Scheinwerfer zu Strobo werden, der Sound so aufgedreht wird, dass die am Eingang verteilten Ohrstöpsel plötzlich Sinn ergeben.
Dann spielt er die Münder des Publikums offen und sich in Ekstase.
Nils Frahm findet immer wieder die Kurve zur Ruhe. Jeder Song hat seine eigene Dramaturgie, er spürt sie so, als wäre es auch für ihn das erste Mal. Nach jedem Song bedankt er sich beim Publikum, als würde er nicht ganz verstehen, warum es klatscht. Als wäre er nicht zurecht Szenestar, mit dem sich die Ruhrtriennale schmückt (und auch schmücken darf). Das ganze Konzert ist wie perfekt einstudiert: Das Licht, der Ton, die Performance, alles sitzt. Doch wirkt es dank der ungewöhnlichen Bühne immer noch einzigartig, dank Frahms authentischer Dankbarkeit immer noch echt, immer noch wie ein großes Experiment. Eines, was definitiv geglückt ist.
Der Aufwand lohnt sich, der Eintritt auch, und das Tamtam? Das erst recht.
Eindrücke des Konzerts:
Nils Frahm © Thomas Berns, Ruhrtriennale24