Vorreiter und Humorist, geliebt, abgelehnt und unverstanden. Das Mixtape No. 3 zeigt: Erik Satie ist viel mehr als die »Gymnopédie No. 1«.
Erik Satie hatte keinen Bock auf die »Belle Époque«: Das geschönte, materialistische Leben des Spießbürgertums. In Frankreich wurde er wegen seiner ausgesprochenen Abneigung gegenüber aller Etikette nie als ernster Komponist anerkannt, Adorno drängte ihn in Deutschland an den äußeren Rand der musikalischen Relevanz. In Japan war und ist er dagegen bis heute einer der meistgehörten Komponisten der europäischen Musikgeschichte überhaupt. Viele seiner Ideen haben der Neuen Musik den Weg geebnet: Zum 150. Geburtstag des Unangepassten eine musikalische Hommage an Erik Satie.
»Jeder wird Ihnen sagen, ich sei kein Musiker. Das stimmt.«
Satie lehnte den spätromantischen Schwulst ab und entwickelte im Laufe seines Lebens einen einfachen, klaren Stil. Er selbst betrachtete sein Interesse immer mehr wissenschaftlich als musikalisch motiviert, was seine ironische Aussage erklärt, dass er kein Musiker sei. Sein Stil zeichnete sich schon in seinem ersten Klavierstück von 1884 ab: »Allegro«, das heute nur als Fragment vorhanden ist.
1887 zog der damals 21-Jährige auf den Künstlerhügel Montmartre am Rand von Paris. Zwischen Prostituierten, Straßenhändlern und Säufern experimentierte er als Pianist im Kabarett Le Chat Noir mit Unterhaltungsmusik – und wurde zeitlebens selbst zum Alkoholiker. In dieser Zeit komponierte er eine Reihe von Chansons, von denen »Je te veux« das Ergebnis einer enttäuschten Liebe ist und noch heute zum Standardrepertoire namhafter Sängerinnen gehört.
Bürokratisch und mit Zahnschmerzen
Während Saties Musik von Schlichtheit geprägt ist, zeigen seine Spielanweisungen seinen ausladenden, ungeschminkten und skurrilen Humor. So soll »Wie eine Nachtigall mit Zahnschmerzen« gespielt werden, »Öffnen Sie den Kopf« oder »Vergraben Sie den Ton in ihrer Magengrube« lauten andere Anweisungen. Zu den kreativsten Werktiteln gehören die »Bürokratische Sonatine« und »Wahrhaft schlaffe Präludien für einen Hund«. Als Claude Debussy Satie einmal vorwarf, seine Stücke seien formlos, komponierte dieser »Drei Stücke in Form einer Birne«. Logisch. Zu seinen »Vexations«, also „Quälereien“, einem notierten Motiv mit einer eigentlichen Dauer von rund zwei Minuten, schrieb Satie:
»Um dieses Motiv 840mal hintereinander spielen zu können, wird es gut sein sich im vorhinein darauf vorzubereiten, und zwar in äußerster Stille, durch absolute Bewegungslosigkeit.«
Die erste öffentliche Aufführung mit den von Satie vorgeschlagenen 840 Wiederholungen fand 1963 in New York durch John Cage statt und dauerte 19 Stunden.
Möbelmusik
Satie war überzeugt davon, dass ein Komponist nicht das Recht habe, die Zeit der Zuhörer unnötig in Anspruch zu nehmen. So komponierte er eine Hintergrundmusik, mit der er versuchte, Dekorationselemente in Musik zu übersetzen: So wie bei »Tenture de cabinet préfectoral«, »Wandbehang für ein Chefbüro« von 1923. Er nannte seine Musik »Musique d’ameublement« – extra dafür komponiert, damit niemand zuhört. Sie soll Geräusche abmildern und nicht übertönen – kurze musikalische Gedanken, die sich endlos wiederholen:
»Sie soll das oft lastende Schweigen zwischen Gästen möblieren. Sie wird ihnen die üblichen Banalitäten ersparen.«
Der musikalische Wandbehang sollte nach Saties Idee ein Ausstellungsgegenstand für das Ohr sein. Deshalb hätte es pausenlos, Tag und Nacht, von einem Grammophon gespielt werden sollen. Das wurde nie realisiert.
Kritikerliebe
Nicht jedes Werk von Satie ist von Zynismus und Ironie durchzogen. Ganz ohne kommt das symphonische Drama »Socrate« aus: Satie vertont hier drei Platon-Dialoge in absoluter musikalischer Schlichtheit. Auch hier ist die Einfachheit kein kompositorisches Unvermögen sondern Mittel zum Zweck: Die zurückgenommene Musik soll die Schönheit der Texte hervorheben.
Einen erwarteten Musikwelt-Skandal provozierte Satie mit seinem Ballett »Parade«, das 1917 uraufgeführt wurde. Es war eine Zusammenarbeit mit dem Regisseur Jean Cocteau, dem Künstler Pablo Picasso und der Djagilew-Balletttruppe. Es ist musikalisch das wohl avantgardistischste Werk Saties: Er benutzt darin Jazz-Elemente und Alltagsgeräusche wie Flaschenspiel, Pfützen, Lotterierad und Revolverschüsse. Eine Anekdote dazu zeigt Saties ausgeprägtes Desinteresse an jeglicher Etikette: Der Komponist hatte zeitlebens eine besondere Beziehung zu seinen Kritikern – eine besonders schlechte. Einmal schrieb er eine übersteigerte Lobrede auf den Beruf des Kritikers – eine Sarkasmus versprühende „Entschuldigung“, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen:
»Ein Kritiker kann nichts anderes sein als intelligent. Es ist reine Freude, einen zu Gesicht zu bekommen. Selbst von weitem.«
Zuvor hatte ein Kritiker das Ballett »Parade« in einem Artikel auf schamlose Weise zerrissen – Satie antwortete mit einer offen lesbaren Postkarte:
»Mein Herr und lieber Freund, Sie sind ein Arsch, aber ein Arsch ohne Musik.«