Die Playlist „Klassik Neuerscheinungen“ auf Spotify schlägt mir ein neues Album vor. Einfach mal draufgeklickt. Da ist ein Mensch mit Cello drauf und der singt auch noch. Hmm. Play: Der erste Track beginnt leicht-luftig, atmosphärisch, mit Cello- und Klaviertupfern – dann setzen Vocals ein. Es folgt ein Zusammenspiel von Stimmen und weiteren Streichern. Den Lead hat eine Cello-, nein, haben gleich mehrere Cellistimmen! Sie wechseln sich mit der vokalen Melodie ab. Ich verstehe kein Wort, fühle mich aber sofort warm und wohlig umhüllt und bin mir ziemlich sicher, dass ich so eine Kombination noch nie gehört habe.
Erstmal googeln: Wer ist Abel Selaocoe? „Where Is Home“ titelt die Platte, „Hae Ke Kae“ lautet die Zulu-Übersetzung. Selacoeo ist ein südafrikanischer Cellist. Ich scrolle durch das Album, es beinhaltet eine Mischung aus Stücken der zwei Barockkomponisten Giovanni Benedetti Platti und Johann Sebastian Bach sowie Titel von Selaocoe selbst. Jetzt bin ich wirklich neugierig. Wie passt diese Kombination zusammen?
Auf den ersten Track, übrigens der längste der ganzen CD, folgt ein Mini-Cello-Rezitativ, das Spannung aufnimmt, sich richtig ins Solo reinlehnt. Danach wird die Musik schwungvoller, tänzerischer. Percussion unterlegt den dritten Titel, „Zawose“. Es ist ein Tribut an die Tansanianische Musiklegende Hukwe Zawose. Er spielte eine wichtige Rolle bei Südafrikas Triumph über das Apartheidsregime.
Selaocoe nutzt mit seiner Stimme die Kehlgesangstechnik, was manchmal ein bisschen ähnlich klingt, wie wenn er einen der tiefen Töne auf dem Cello ein bisschen kratzen ließe. Auch auf dem Instrument spielt er mit unterschiedlichen Techniken, mit Flageolett oder auch perkussiv. Außerdem beatboxt er und macht Körper-Percussion. Selaocoe hat am Royal Northern College im britischen Manchester studiert. Von Anfang an hat er sich für viele musikalische Genres und Stilrichtungen interessiert. Er adaptiert indigene Songs, kombiniert Afro-Grooves mit Eigenarrangements und experimentellen Klängen. Und er improvisiert.
Wie ein Intermezzo wirken die vier Titel aus Plattis Cellosonate No. 7. Die Sätze I. Adagio, II. Allegro, III. Largho bis IV. Presto sind chronologisch aneinandergereiht. Auch die Sätze aus Bachs III. und V. Cellosuite fügen sich gut ein. Von der Instrumentalbesetzung sowie dem Vibe passt Selacoes Stückauswahl total gut zusammen. Es ist ein gelungenes Konzeptalbum.
E-Bass treibt den Track „Qhawe“ oder „Held“ an. Der Titel handelt von der Wüste, die durch Regen Linderung erfährt. Das steht für jede Hürde, die jeder Mensch im Leben erfährt und von der man sich Befreiung wünscht. Der westafrikanische Rhythmus, den Selaocoe hier verwendet, heißt “takanba”, ein Tanz, den das Tswana Volk im südlichen Afrika tanzt. Selaocoe ist auch von südafrikanischer Kirchenmusik inspiriert. Aus diesem Spagat zwischen afrikanischer und europäischer Musiktradition kam die Idee zum Albumtitel „Where is Home“. Ich lese nach, dass Selaocoe „Heimat“ nicht unbedingt geografisch verortet, sondern als einen Ort sieht, „der uns gründet und Kraft schenkt“.
„Where is home“ ist kein Album, um es nur so nebenbei zu hören. Selaocoes Stücktitel weisen auf tiefere Botschaften hin, die er mitteilen möchte. Es lohnt sich sehr, das Album auch auf Youtube zu hören, da wird die Energie der Musiker*innen direkt greifbarer. Denn bei Selaocoe ist nicht nur das Hören, sondern auch das Zuschauen für Gänsehaut verantwortlich. Er singt und spielt mit vollem Körpereinsatz.
Erscheinungsdatum: 23. September 2022
Label: Warner Classics