Größenwahn trifft Einheitsbrei

Ein Gigant außer Rand und Band!

Wenn bei einem Werk von Größenwahn gesprochen werden darf, dann bei diesem: Mahlers 8. Eine Symphonie in Es-Dur in zwei Teilen für großes Orchester. Aufgestockt wurde mit: Glocken, Celesta, Klavier, Harmonium, Orgel und zusätzlichem Blech. Obendrauf gab es ein Großaufgebot an Sängern: einen Knabenchor, zwei gemischte Chöre und ein achtköpfiges Solistenensemble. Mit diesem Werk, das aus PR -Gründen den Beinamen „Symphonie der Tausend“ trägt, verabschiedeten sich die Dortmunder Philharmoniker in ihre diesjährige Sommerpause.

Es waren knapp 300 Musiker, die am Dienstagabend Mahlers imposante Symphonie im Konzerthaus Dortmund auf die Bühne brachten. Der Auftritt solcher Massen ließ auf einen bombastischen Abend hoffen. Die Orchestermusiker hatten ihre Plätze eingenommen, ebenso der Knabenchor auf der Empore hinter dem Orchester. Mit Auftritt der beiden gemischten Chöre fiel der Startschuss zu einem Klangspektakel der Superlative. Nach einem triumphalen Auftakt in der Orgel steuerten die Philharmoniker zielbewusst einem musikalischen Donnerwetter entgegen. Scheinbar unkontrolliert ließ Generalmusikdirektor Gabriel Feltz Akkordklötze auf das Publikum hereinbrechen. 105 Minuten lang rauschte ein nicht enden wollendes Klanggewitter durch den Saal: Die Bässe griffen dicht am Steg, das Blech trichterte vereinzelt Töne hoch in die Luft und das Holz gab zu verstehen, dass es weiß, was Fortissimo bedeutet.

Die Symphonie vereint zwei komplett unabhängig voneinander entstandene Texte. Der erste Satz entstand über einem Text zu einem Hymnus („Veni, creator spiritus“) aus dem 9. Jahrhundert, während der Schlusssatz über Goethes zweiten Faustteil komponiert wurde. Beide beschwören die Liebe als erlösendes Allheilmittel. Der Beginn birgt viele kleine Motive in sich – leider waren diese aber nur bedingt herauszuhören. Vieles ging unter, verlor sich in einem dichten, undifferenzierten Geflecht an Tönen. So zum Beispiel klar gesetzte Fagottlinien und kurze Melodien in der Oboe. Schade, denn an einigen Stellen hätte es schon ausgereicht, den Volumenregler etwas runter zu drehen.

Positiv war, dass es zu keinem Zeitpunkt des Konzertes an Engagement fehlte. Alle Beteiligten gaben sich ambitioniert und es war ein Musizieren an der vordersten Stuhlkante. Der Wille, dem „Giganten“ gerecht zu werden, war spürbar, nur manchmal wurde der Bogen überspannt. Das Dortmunder Konzerthaus ist ein Meisterwerk der Akustik und zählt zu den führenden Häusern Europas, aber auch dieser Saal hat seine Grenzen. Am Dienstagabend wurden diese erreicht, um nicht zu sagen überschritten. Auf der Bühne gab es viele Einzelkämpfer und es hatte den Anschein, jeder wollte gehört werden. Die Musiker spielten mehr gegeneinander an als miteinander zu harmonieren. Im Tutti fiel es den Holzbläsern sichtlich schwer, sich neben der Klangkraft der Blechbläser zu behaupten. Vor allem am Ende des ersten Satzes und auf der Schlussgeraden des zweiten Satzes war dies nicht zu überhören. Dort preschte das Blech über alles hinweg, was sich ihm in den Weg stellte. Lediglich das sehr zaghaft angelegte Geigensolo der Konzertmeisterin ließ für einen kurzen Moment aufatmen, bevor es dann mit einem gehörigen Klangpegel auf in Richtung Schlusssatz ging.

Zarte Töne und feine Farben waren eine Rarität, es gab sie aber. So zum Beispiel zu Beginn des zweiten Satzes. Dort entstiegen nicht ganz reine, aber durchaus farbenreiche Holzbläserklänge dem riesigen Orchesterapparat. Sehr gewöhnungsbedürftig waren zudem die zahlreichen Tempozerrungen, die schon fast grotesk wirkten. Unterm Strich wurde Mahlers Achte dadurch nicht besser, nur länger. Je näher das Ende rückte, umso undefinierter wurde es im Orchester. Laut, brachial und mit einem Dirigat wie mit einem Vorschlaghammer in der Hand, kommandierte Gabriel Feltz seine Musiker in den Feierabend.

Eine deutliche Aufwertung erfuhr das Konzert durch sein achtköpfiges Solistenensemble. Hier präsentierten sich fast alle mit Bravour. So mancher von ihnen hatte aber dennoch Mühe, sich über das Orchester hinwegzusetzen. Emily Newton (Sopran) als „Magna Peccartix“ konnte sich beispielsweise einzig und allein mit einem grellen Vibrato Gehör verschaffen. Anders Michaela Kaune (Sopran), die sich über dick angelegte Mammut-Akkorde mit viel Anmut ausbreitete. Ihr, Iris Vermillion (Alt) als „Mulier Samaritana“ und Mihoko Fujimura (Alt) als „Maria Aegyptiaca“ ist zu verdanken, dass der Abend besonders hörenswerte Momente hatte. Sie sorgten für musikalische Höhepunkte und täuschten über Ungenauigkeit wie unreine Akkorde im Holz und ein fehlendes Miteinander zwischen Bläsern und Streichern hinweg. Unbedingt nennenswert war die kurze, aber getragene und reine Gesangspartie von Ashley Thouret. In der Rolle der „Mater Gloriosa“ schickte sie helle und sehr kultiviert angelegte Phrasen in das Publikum. Zudem überzeugte sie mit viel Ausdruck und einer großen Palette an Farben.

Was die Besetzung der acht Männer-Solopartien betraf: Diese waren stimmlich meisterhaft. Markus Eich war als „Pater Ecstaticus“, Karl-Heinz Lehner als „Pater Profundus“, sowie Brenden Patrick Gunnell als „Doctor Marianus“ zu hören.

Alleine sich an dieses Werk heranzuwagen, muss gewürdigt werden. Die Philharmoniker haben es versucht, aber es gibt noch Luft nach oben.

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Bilder: © Theater Dortmund

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