Auslandspraktikum in Italien ist genauso toll, wie man sich das vorstellt. Pittoreske Fassaden, Aperitivo bei Sonnenuntergang – egal mit welchem Rotwein, sind alle gut – und mit einer Vespa durch Bilderbuchlandschaften düsen. Goethe behält Recht mit den blühenden Zitronen, dem blauen Himmel und der Italiensehnsucht: Seit ich wieder zurück in Deutschland bin, spüre ich sie auch (leider hat sie bei mir bisher eher Fernweh ausgelöst als mich zu einem weltberühmten Gedicht zu inspirieren, aber vielleicht kommt Letzteres ja noch).
Von Juli bis Oktober 2021 durfte ich an der Europäischen Akademie für Musik und Darstellende Kunst Montepulciano arbeiten. Mitten in der Toskana, im Palazzo Ricci, bringt sie junge, hochbegabte Künstler*innen aus ganz Europa zusammen. 2001 haben die Hochschule für Musik und Tanz Köln und die städtische Kommune vereinbart, dass die HfMT die Räumlichkeiten nutzen darf und sich im Gegenzug um die Renovierung und Sanierung des Gebäudes kümmert.
Neun Jahre später kam die Gründung des Kollegs für Musik und Kunst Montepulciano hinzu, ein Zusammenschluss aus Musik- und Kunsthochschulen NRWs.
So kommt die Akademie mit internationalen Meisterkursen einerseits und interdisziplinären Projekten andererseits ihrem Leitgedanken nach: (internationale) Begegnungen zwischen Künstler*innen ermöglichen.
Dolce Vita auf’m Dorf
Montepulciano hat ca. 13.000 Einwohner*innen. Für ein Ruhrpott-Kind wie mich ist das sehr klein (zum Vergleich: allein Dortmund hat 580.000). Es gibt keine Clubs, keine Busse, die im Minutentakt fahren und man ist nicht anonym unterwegs, sondern wird in der ersten Woche schon von einem vorbeifahrenden Kollegen aus der Musikschule erkannt und gegrüßt. Spätestens bei der miserablen Internetverbindung kam richtiges Dorffeeling auf. Da einem also nichts anders übrigblieb, hielten andere Beschäftigungen her. Seien es Wanderungen, Baden in den nahegelegenen Thermen oder Tagesausflüge ans Meer. Auch mit einem Buch am Pool oder einem Cappuccino auf der Piazza ließ sich das Leben ganz gut genießen. Ich glaube, das ist dieses „Dolce Vita“, von dem alle schwärmen.
Gewohnt habe ich zusammen mit meinem Mitpraktikanten Cornelius. Das Häuschen wurde uns von der Akademie organisiert und war überwältigend – große Küche, Gemüse- und Kräutergarten vor der Tür und Pool. Fast wie im Urlaub kamen wir zum Kochen und anschließendem Essen draußen zusammen.
Steile Straßen und Putz-Performances
“Buon giorno, Clara!”, ruft mir meine Vermieterin jeden Morgen zu. Es ist das Einzige, was ich richtig verstehe, denn es folgt ein Redeschwall in bahnbrechendem Tempo. Meine Verwirrung stört sie nicht, sie erzählt einfach weiter und während ich noch grüble, wie ich ein produktiver Teil des Gespräches werden kann, wendet sie sich schon ab und ruft “Ciao, ciao, ciao, ciao!”. Na gut, dann eben direkt zur Arbeit, denke ich und beginne mit dem Aufstieg. Jeden Tag klettere ich gefühlt zum Palazzo, so eng und steil sind die Straßen.
Portal aufstemmen, Computer anschmeißen und los geht’s. Der grobe Ablauf ist für mich jede Woche gleich. Für die einwöchigen Meisterkurse reisen die Dozierenden aus ganz Europa an. Sonntag ist fester An- und Abreisetag, von Montag bis Freitag werden die jungen Musiker*innen unterrichtet und am letzten Abend alles Gelernte im Rahmen eines Abschlusskonzertes präsentiert.
Was es da für uns Praktikant*innen trotzdem zu tun gab? Eine Menge.
Allein für die Anreise waren viele Mails und Telefonate nötig. Egal aus welcher Himmelsrichtung man kommt, beinhaltet die Anfahrt nach Montepulciano mindestens drei Zwischenstopps. Die nächsten Flughäfen sind 100 bis 200 Kilometer entfernt und auch der Bahnhof ist eigentlich am besten mit dem Auto zu erreichen. Entscheidet man sich dagegen für den Bus, fährt man zwar eine Stunde durch wunderschöne Landschaften, muss dann aber, in Montepulciano angekommen, noch zum historischen Stadtkern hoch. Die lange Anfahrt und der steile Aufstieg werden aber belohnt und haben bisher niemanden daran gehindert, wiederkommen zu wollen. Auf meinen Flughafentransfers für die Dozierenden in die Stadt rein, war die Vorfreude groß. Auf den Flughafentransfers aus der Stadt raus, kam bereits die Sehnsucht auf.
Waren alle nach erfolgreicher Anfahrt eingetrudelt, kam für uns das Tagesgeschäft. Im Sommer 2021 stark von Coronamaßnahmen geprägt und vor allem außergewöhnlich umständlich, weil wir uns sowohl an die italienischen als auch an die deutschen Regularien halten mussten. Das Thema kam bei jeder wöchentlichen Teamsitzung auf den Tisch. Im Laufe des Sommers wurden wir also immer souveräner im Desinfizieren von Oberflächen und Kontrollieren von Zertifikaten; das Säubern von Klaviaturen ist zu einer ganz eigenen Performance gereift. Glissando rauf, Wiederholung, Glissando runter, fertig.
Fast nebenbei wurde der Palazzo ordentlich gehalten, die Dozierenden und TN betreut, einfache Fragen wie „Wo ist die Toilette?“ beantwortet und kompliziertere Angelegenheiten wie „Eine Harfe ist kaputtgegangen! Wir brauchen sofort Ersatz!“ erledigt. Bei 3 Stockwerken, 12 Plexiglaswänden, 18 Räumen und 140 Teilnehmenden muss viel geräumt, gerödelt, gelüftet und in der Cafeteria aufgefüllt werden.
Zu meinen persönlichen Highlights gehörten eindeutig die wöchentlichen Abschlusskonzerte. Man könnte meinen, ich hätte nach allein sieben Klaviermeisterkursen genug von Liszt, Skrjabin und Chopin gehabt. Das Gegenteil ist eingetreten und ich habe mich jede Woche aufs Neue gefreut – auf die Spannung unter den Teilnehmenden, das herausragende Vortragen auf der Bühne, die Überraschung darüber im Publikum, den Stolz der Dozierenden.
90 Praktikumstage und unzählige inspirierende Begegnungen später hat das Auslandspraktikum alles gehalten, was es versprochen hat. Eigenverantwortlich gearbeitet? Check. Fachlich und kulturell vernetzt? Check. Nachhaltig gefordert und gefördert? Check. Und nicht zu vergessen – Harfenersatz organisiert und auch bei der hundertsten Toilettennachfrage geduldig geblieben? Check.
Doch, bevor es zu meta wird, zurück zur Ausgangsfrage: Ja, ich kenne nun das Land, wo die Zitronen blühn und es wird nicht lange dauern, bis es mich wieder dorthin verschlägt.
Bildcredits:
Bilder “Vespa”, “Straße”, “Landschaft”, “Haus”, “Gemüse”: Clara Hütterott