Eine Nobelpreisträgerin, ein nahmhafter Komponist, ein Missstand, der uns alle angeht und ein kleiner süßer Hund. Eigentlich konnte man den Machern der Oper „Kein Licht.“ schon vor der Weltpremiere bei der Ruhrtriennale zu einer großartigen Produktion gratulieren.
So viel Großartiges passierte dann aber gar nicht mehr. Ein Text der zwar erstmal überfordert, sich aber nur um sich selbst dreht, nirgends hin will. Elfriede Jelinek zieht eine Dystopie auf, in der die technologische Intelligenz höher ist, als die ethische. Eine Dystopie, die längst Wirklichkeit geworden scheint.
Zwei Sprecher (Caroline Peters und Niels Bormann), wir nennen sie „A“ und „B“ sind mal zwei Atome, mal zwei Geigen in einem Konzert, mal sind sie zwei Beobachter aus der Ferne — im besten Falle sind sie alles gleichzeitig. Sie werden zu Täter und Opfer in Philippe Manourys Apokalypsenoratorium: „Ich habe keine Schuld, ich spiele doch nur die zweite Geige“. Mitläufer im Atomkomplott. Betroffen schauen wir zu Boden.
Während Jelinek das Thema von unsichtbarer Strahlung in ihrer düsteren Gedankenwelt immer weiter abstrahiert, bleibt die Inszenierung von Nicolas Stemann erstaunlich konkret, bleibt in Ort und Zeit verhaftet. Im Originaltext „Kein Licht“ kommen die Worte Fukushima oder Atomkraftwerk nicht vor, gleich zu Beginn des Stücks wird über Texteinblendungen unmissverständlich klar gemacht, wann und wo wir uns befinden. Auch das Bühnenbild sagt uns spätestens im zweiten Teil: Wir befinden uns in einem Atomkraftwerk. Jelinek spinnt sich von Meta zu Meta-Meta, Stemann spielt brav die Fukushima-Atom-Geschichte. So laufen Text und Szene nebeneinander her. Nur wenige Momente, wo sie sich treffen. Kein Sog.
All denen, die bis hierhin nicht ganz mitgekommen sind, schafft der Komponist höchstpersönlich Abhilfe. Manoury erhebt sich von seinem Platz im Publikum, latscht vor zur Rampe, um dann noch einmal zusammenzufassen, worum es bisher ging. Nämlich um Atomkraftwerke. Die sind schlecht. Und wir Deutschen verbrauchen zu viel Strom. Wieder schauen wir betroffen zu Boden.
„Es leckt“
,bemerkt Niels Bormann. Aus einem der Behälter rinnt gelbe Flüssigkeit auf den Boden. Das scheint niemanden zu kümmern. Das Stück muss weitergehen. Während A und B ihre Situation in der postapokalyptischen Geisterwelt reflektieren, bleibt das Spannendste auf der Bühne die langsam größer werdende Pfütze. Ungefähr eine Stunde plätschern Stück und kontaminierte Flüssigkeit vor sich hin. Irgendwann scheint das Leck größer geworden zu sein. Plötzlich Wasser von Überall. Auf der Bühne wird ein Kühlbecken geflutet, die Gebläsehalle wird zum Atomreaktor. Jelineks Gedankenkarusell dreht sich weiter — immer wiederkehrende Wortfetzen, bei jeder Umdrehung eine zusätzliche Assoziation. Derweil suchen Niels Bormann und Caroline Peters verzweifelt nach Steckdosen für ihre Smartphones.
Computer als Reaktor der Musik
Das Orchester United Instruments of Lucilin unter der Leitung von Julien Leroy spielt währenddessen ein Konzert über eine Katastrophe, liefert den Soundtrack zum atomaren Gau. Die Sänger haben es mit eher sperrigen Melodien zu tun. Dazu elektronische Klänge, die vom Computer-Music-Designer Thomas Goepfer gesteuert werden. Die Grundparameter kommen von Manoury und Goepfer, der Computer errechnet sich in Echtzeit eine durch verschiedene Algorithmen und stochastische Verfahren, deren Komplexität wahrscheinlich der Atomphysik nahekommt, eine Komposition, die erst stoppen wird, wenn der Computer keinen Strom mehr bekommt. Während das passiert, hat Manoury schon wieder ein Mikrofon in der Hand, und erzählt, dass der Computer gerade von selbst spielt.
Die Katastrophe gerät zur Komödie
Caroline Peters spricht Atomi, die niedliche Nuklearpuppe. „Atomi, es ist schon fünf vor zwölf, ab in die Kiste mit dir, sonst sind wir morgen wieder alle verstrahlt“, kalauert Niels Bormann. Ein Hund winselt eine elektronisch verfremdete Trauerarie, natürlich nicht ohne Gelächter im Publikum. Am Ende flitzt Donald Trump zu Nietzsche-Zitaten über die Leinwand während die Welt in Flammen steht.
Ganz zum Schluss fragt dann A: „Und was haben wir jetzt gelernt?“ „Keine Ahnung. Irgendwas werden wir schon gelernt haben“, antwortet B.