Schostakowitsch ist für Martin Helmchen ein alter Vertrauter. Seit rund dreißig Jahren begleitet ihn seine Musik. Gemeinsam mit Cellistin Marie Elisabeth Hecker präsentierte er dessen Sonate für Violoncello und Klavier d-Moll op. 40 in einem Rezital am ersten Festivaltag, gefolgt von Modest Mussorgskys Klavierzyklus Bilder einer Ausstellung und der Sonate für Violoncello und Klavier C-Dur op.119 von Sergej Prokofjew. Nach dem Konzert habe ich mit ihm gesprochen. Wie sahen die Vorbereitungen auf das Rezital aus? Und welches Stück ist Helmchens Favorit? Das erfahrt ihr im Interview!
Wie fühlen Sie sich gerade?
Schweißgebadet! Ich glaube, das war das heißeste und feuchteste Konzert meines ganzen Lebens, aber trotzdem glücklich. Es waren tolle Stücke! Einen neuen Ort kennenzulernen ist auch immer etwas Besonderes, deshalb fühle ich mich inspiriert.
Ich fand das Konzert superschön! Was begeistert Sie denn persönlich am meisten an Schostakowitschs Musik?
Seine unglaubliche Menschlichkeit. In seiner Musik steckt die russische Kultur und Mentalität, natürlich jahrhundertelang gewachsen, aber auch sehr mit der aktuellen politischen Situation verknüpft, in der er nun mal gelebt hat. Er war Künstler, Mensch und gleichzeitig auch politisches Wesen. Das ist eine unglaublich faszinierende Verbindung. Vor allem ist er Mensch geblieben und hat so unglaublich originelle Musik geschrieben, die man nach zwei Takten erkennt. Seine Musik berührt gerade auch Menschen, die sonst mit dem 20. Jahrhundert eigentlich nicht so viel anfangen können. Er ist also auch ein wahnsinnig toller Vermittler, zwischen Ost und West, zwischen alt und jung und zwischen sehr klassikaffinen und klassikfernen Menschen. Ich kann mir keinen Komponisten vorstellen, den ich so gerne auch jungen Zuhörer*innen präsentieren würde. Schostakowitsch ist eine einmalige Persönlichkeit.
Jetzt haben Sie den Punkt Politik und Schostakowitsch schon angesprochen. Er lebte zu der Zeit des sozialistischen Realismus und musste sich den damaligen Anforderungen an die Musik anpassen. Wie sind Sie bei der Vorbereitung auf das Konzert vorgegangen?
Ich lebe mein Leben lang mit Schostakowitsch, bin mit der russischen Klavierschule aufgewachsen, hatte ein Jahrzehnt lang eigentlich vor allem russische Freunde, meist aus Musikerfamilien, und lerne seit dreißig Jahren über Schostakowitschs Musik. Das ist ein lebenslanger Prozess und nicht das erste Mal, dass ich Schostakowitsch spiele. Ich bereite mich daher anders vor, wie auf einen Komponisten, den ich musikalisch erst einmal kennenlernen muss.
Heute standen Sie mit Ihrer Frau Marie Elisabeth Hecker auf der Bühne. Wie ist es denn mit so einer vertrauten Person zu musizieren?
Das mit uns ist ein absoluter Glücksfall. Wir haben uns über die Musik kennengelernt. Erst später wurde es privat. Es ist ein unglaubliches Privileg, sich diese musikalische professionelle Bewunderung und gleichzeitig die menschliche Nähe und Vertrautheit immer wieder zu erarbeiten und zu bewahren. Das ist was ganz Einmaliges. Wir verstehen uns blind. Auf der Bühne wissen wir genau, was der andere macht. Es funktioniert aber trotzdem, dass wir dann auf der Bühne und in der Probenvorbereitung einfach auch Musiker*innen sind und jetzt nicht anfangen, über irgendwelche Haushaltsdinge zu reden. Für mich ist sie einfach die größte Musikerin, die ich kenne. Deshalb ist es unabhängig vom Privaten einfach das größte Glück mit ihr spielen zu können.
Das ist eine schöne Antwort und ich finde, man merkt in eurem Zusammenspiel, wie nahe ihr euch steht! Hatten Sie denn heute im Programm einen Favoriten?
Das ist bei Programmen mit solchen Top-Stücken fast unmöglich zu sagen. Die Stücke haben sich unterschiedlich angefühlt. Schostakowitschs Sonate spiele ich schon seit Teenager-Jahren mit vielen verschiedenen Cellistinnen und Cellisten. Prokofjews Sonate eigentlich auch. Mussorgsky habe ich zum allerersten Mal heute auf der Bühne gespielt. Das ist etwas völlig anderes, nicht nur weil es das Solostück war, sondern auch von der Vorbereitung. Daher hat Bilder einer Ausstellung von Modest Mussorgsky am meisten Raum in meinem Kopf eingenommen. Schließlich weiß man beim ersten Mal nie, wie so ein Stück auf der Bühne funktioniert. Aber ich könnte unter den Werken kein Lieblingsstück aufzählen.
Sie haben gerade angesprochen, dass Sie Bilder einer Ausstellung von Modest Mussorgsky zum ersten Mal gespielt haben. Gab es bei der Vorbereitung des Stückes Herausforderungen?
Bei dem Stück ist die orchestrale Interpretation in der Vorbereitung ein großes Thema. Es wurde so wahnsinnig orchestral geschrieben. Ich habe auch das Gefühl, dass die meisten Leute inzwischen die Orchesterbearbeitung von Ravel oder auch anderen Komponist*innen kennen und stärker im Ohr haben als das Original für das Klavier. Deshalb versucht man hier so orchestral zu spielen, wie es nur geht und Instrumente zu imitieren, die nicht dem Klang des Klaviers entsprechen.
Die vielen verschiedene Klangfarben habe ich auf jeden Fall wahrgenommen! Außerdem sind die einzelnen Sätze sind mit den Bildern von Viktor Hartmann verbunden. Welche Bilder entstehen bei Ihnen im Kopf, wenn Sie das Stück spielen?
Diese Bilder von Viktor Hartmann sind meiner Meinung nach ein Kuriosum in der Musikgeschichte. Eigentlich sind es nur Skizzen, die niemandem wirklich auffallen würden. Irgendwie hat Mussorgsky darin aber so viel mehr gesehen, als die Bilder in Realität zeigen. Genau das spiegelt sich in seiner Musik wider. Die Fantasie wird durch Mussorgskys Vertonung auf jeder Ebene, egal ob psychologisch oder visuell, beflügelt. Man kann förmlich riechen und spüren, was in den einzelnen Sätzen passiert. Man sieht diese spielerisch ärgernden Kinder im Park genauso wie diese gruselige Märchenhexe in ihrer Hütte und die modrige Atmosphäre in dem alten Schloss. Das tolle ist, dass jedes einzelne Stück eine völlig neue Welt entstehen lässt.
Das ist ein schöner Schlusssatz! Vielen Dank, Martin Helmchen, für das Gespräch!