Eleonore Marguerre ist eine Opernsängerin, wie sie im Buche steht! Die Sopranistin scheint leidenschaftlich, authentisch und gleichzeitig verblüffend bodenständig zu sein. Dortmund hat das Glück, Marguerre oft in großen Partien bewundern zu dürfen, aber auch auf den berühmtesten Brettern der Opernbühnen ist sie schon herumgetingelt: Mailand, Venedig und Wien. Nur allzu gerne lugt die Sängerin über den künstlerischen Tellerrand hinaus in die Welt. Doch ab und an hat auch eine gefragte Sopranistin Hausfrauenmomente.
terzwerk: WAS REIZT SIE AN DER OPER?
Eleonore Marguerre: Ich bin relativ flexibel. Ich singe ja nicht nur in Dortmund, sondern bin parallel dazu viel in Europa unterwegs. Dazu kommt, dass man durch die Musik eine übersprachliche Ebene hat. Selbst wenn man nicht jedes einzelne Wort verstehen kann, gibt es ganz klare Gefühle, die man durch die Musik mitbekommt. Eine italienischsprachige Oper kann ich beispielsweise in Deutschland, Italien oder Frankreich singen. Damit ist sie etwas völlig völkerverbindendes.
AUF IHRER HOMEPAGE LESE ICH LYRIK, LEIDENSCHAFT, SOPRAN. TRIFFT LEIDENSCHAFT NICHT AUF JEDE OPERNSÄNGERIN ZU?
Leidenschaft für die Sache vielleicht schon. Trotzdem bin ich immer wieder erstaunt, dass der Wille, Leidenschaft auf der Bühne zu vermitteln, nicht immer gleich verbreitet ist. Es gibt einige Kollegen, die überwiegend an der Stimme arbeiten. Ihnen ist sehr wichtig, dass es besonders gut klingt. Ich finde, es ist das Gesamtpaket, das eine Opernaufführung spannend macht. Man muss das Gefühl haben, dass es wirklich echt ist! Vor Jahren hatte ich mal einen Extremfall bei einer Vorstellung in Bulgarien. Da hatte ich einen wirklich toll singenden Kollegen, aber er sang das ganze Duett an mir vorbei und guckte auf den Dirigenten. Er hat mich nicht ein einziges mal angeguckt, obwohl er sang: Du allein, ich liebe nur dich, nur dich allein. Das ist schon schwierig damit umzugehen, aber dann muss ich trotzdem genauso weiterspielen und sagen: Aber ja, ich liebe dich auch, auch wenn du mich nicht anguckst!
WANN HABEN SIE DAS GEFÜHL, EINE ROLLE WIRKLICH VERSTANDEN ZU HABEN?
Ich lese viel über die Zeit und die Epoche, in der die Oper geschrieben wurde. Ich finde wichtig, den Hintergrund zu kennen und zu verstehen, weshalb die Musik so geschrieben wurde. Das bringt mir sehr viel. Ich möchte ein Bauchgefühl dafür bekommen, ob die Emotion stimmt oder nicht. Natürlich ist es das Ziel, eine Rolle schon bei der Premiere verstanden zu haben. Oft singt man dieselbe Rolle jedoch in mehreren Produktionen und je nach Regisseur kann sie dabei ganz neue Aspekte bekommen. Manchmal hat man Kollegen, die einen so inspirieren, dass einem wirklich die Ohren und die Augen nochmal aufgehen. Das finde ich ganz wichtig! Man muss offen dafür bleiben, was in der Produktion auf einen zukommt.
WIESO IST GERADE EIN JUNGES PUBLIKUM SO WICHTIG?
Weil ich einfach finde, dass Oper wirklich etwas mit uns allen zu tun hat! Es geht um universelle Themen. Wir leben alle noch, wir sterben alle noch – und große Gefühle sind ja auch etwas, das junge Leute anspricht. In der Oper ist all das, was einem im Leben so passieren kann, auf drei Stunden zusammengequetscht. Ich frage mich oft, warum junge Leute völlig unbefangen in ein Musical gehen und sich mitnehmen lassen, aber gar nicht auf die Idee kommen, in die Oper zu gehen. Gerade die Stücke, die wir heute am meisten hören, sind in einer Zeit entstanden, in der es noch keine Kinos oder Soaps, Soap Operas übrigens, gab. Nach einer Premiere von Rigoletto haben dann alle La dona e mobile gesungen. Das war ein Gassenhauer! Warum soll das nicht heute auch noch so sein?
WARUM SIND SIE DANN OPERNSÄNGERIN UND NICHT MUSICALSÄNGERIN?
Beim Musical ist es erlaubt, mehr und extremere Sachen mit der Stimme auszuprobieren. In der Oper steht das Ideal des Belcanto im Vordergrund. Tendenziell gibt es eher das Verbot, dass es hässlich klingt. Ich finde Opernmusik aber einfach besser! Natürlich gibt es fantastische Musicals, aber die Oper ist musikalisch einfach komplexer. Das Faszinierende an der Stimme ist für mich, tatsächlich ohne Mikrofon über ein Orchester von 80 Personen zu singen. Solche Stimmen haben einfach Strahlkraft! Das hat man beim Musical nicht so.
SIE HABEN NUN SCHON SEHR VIELE GROßE ROLLEN GESUNGEN. DIE KÖNIGIN DER NACHT SINGEN SIE NICHT MEHR?
Nein, das habe ich hinter mir gelassen! Als Kind war das immer eine meiner Traumpartien, aber es ist eben auch eine Beschränkung. Man tritt auf, singt zwei Arien, singt die gut und ist dann schon wieder weg. Man hat nicht die Möglichkeit eine Person darzustellen und an dem Prozess teilzunehmen. Das fand ich immer schade. Was mich jetzt viel mehr fasziniert, ist zu zeigen, wie sich ein Charakter von Anfang bis zum Ende der Oper entwickelt.
WAS MACHT DEN BERUF DER OPERNSÄNGERIN AUS?
Das gemeinsame Musikmachen finde ich wahnsinnig wichtig! Wenn das Orchester, der Dirigent und die Kollegen nicht da wären, dann stünde man als Solist wirklich alleine da. Darum geht es nicht! Man ist ja nur ein Teil des Teams. Das ist wie beim Fußball. Da sind ja auch 11 Spieler, die als Team eine Leistung bringen. Nur weil einer die Tore schießt, heißt das nicht, dass der Torwart unnütz wäre. Manchmal finde ich das Proben mindestens genauso schön wie die Vorstellungen selbst, weil man einfach das Gefühl hat, noch näher an einer bestimmten Sache dran zu sein. Unter dem Stress und der Aufregung bringt man manches nicht so, wie man es in der Probe vielleicht schon mal hatte.
GIBT ES HINTER DEN KULISSEN KONKURRENZKAMPF?
Das hängt sehr von dem Gesamtklima des Hauses ab. Aber Konkurrenz trägt meiner Meinung nach nie dazu bei, das Beste zu geben!
Ich finde, Angst ist ein ganz großer Gegner von Vertrauen. Wenn man kein Vertrauen hat, kann man keine Risiken eingehen und wenn man keine Risiken eingeht, kann man meiner Meinung nach nicht an eine Bestleistung herankommen. Dann setzt man auf Sicherheit – und sicher wird dann irgendwann langweilig. Dann fehlt einfach der Funke, so, dass es losfliegen kann. Wenn man anfängt über Konkurrenz nachzudenken, geht das verloren.
LESEN SIE NACH EINER AUFFÜHRUNG KRITIKEN?
Es gibt ja ganz viele Kollegen, die damit kokettieren, nie Kritiken zu lesen. Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Ich würde sie vielleicht nicht gleich am Tag nach der Premiere lesen, aber mit ein bisschen Abstand finde ich das ganz gut. Wenn ich mir nicht ganz sicher bin, ob alles so gelungen ist, sage ich manchmal meinem Mann: ließ du’s erstmal! Danach wäge ich ab, ob ich es lesen will oder nicht.
FRAGEN SIE SICH MANCHMAL, OB DER BERUF DEN STRESS WIRKLICH WERT IST?
Diese Momente habe ich genau dann, wenn ich gerade an einem Theater mit einer wirklich großen Rolle debütiere. Dann fahre ich mit der Straßenbahn irgendwo entlang und denke mir, ich könnte jetzt auch irgendwo hier wohnen. Ich hätte ein schönes Haus, würde mich nur um meine Kinder kümmern und sonst ein ganz normales Leben führen. Ich nenne das “Hausfrauenmomente”. Dann denke ich mir: Ich könnte auch einfach nicht hingehen und müsste mir diesen Stress nicht antun. Diese Momente sind aber relativ kurz. Gegen das Gefühl am Ende einer Vorstellung ist es das dann doch nicht wert. Wenn man sich einmal überwunden hat und die Ouvertüre angefangen hat, kann man sich nicht mehr auf die Bühne stellen und sagen: Stopp, ich möchte bitte nach Hause! Das Adrenalin, die Erleichterung, dass alles gut geklappt hat und man zufrieden mit sich war – das ist ein wahnsinniges Hochgefühl! Ich kann mir kaum etwas vorstellen, was sich besser anfühlen würde.