Junger Tenor auf Karriere-Sprungbrett ohne den Boden zu verlieren
Es gibt sie wirklich! Tenöre, die nicht arrogant durch die Gegend laufen, sich nicht selbst inszenieren, keine extrovertierte Attitüde pflegen und dabei panisch in ihrer Tasche nach ihrem Sänger-Schal suchen, weil eine leichte Windböe ihren Hals umspielt. Johannes Leander Maas. Frische 21 Jahre alt, in Tübingen geboren und Gesangsstudent an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst (HMDK) Stuttgart, singt aus Leidenschaft und lehnt Schubladendenken von Stimmidealen ab. Ja, er ist gut angezogen und ja, auch er trägt ab und zu bei winterlichen Temperaturen einen Schal, wie das im Übrigen auch viele Nicht-Sänger tun. Und ja, er ist Tenor, weder arrogant noch aufgesetzt. Ausgeglichen, geerdet und vor allem reflektiert tritt der junge Sänger auf. Denn wenn Maas eines nicht will, dann ist es mit den egozentrischen Tenorcharakteren identifiziert zu werden. Obwohl es momentan bei Maas nicht besser laufen könnte, hebt er nicht ab. Er bleibt am Boden, bleibt selbstkritisch. Erst Jungstudent für zwei Jahre, dann nach dem Abitur sofort Beginn des Gesangsstudiums. 2016 wird er als jüngster von fünf Stipendiaten von der Fritz-Wunderlich-Gesellschaft ausgewählt und Konzert- und Opernangebote fliegen ihm wie von selbst zu. Als Stipendiat beim „Heidelberger Frühling“ 2018 lernt er Opernstar Thomas Hampson persönlich kennen und nimmt an dessen Meisterkurs teil. Maas ist von Hampson angetan und angetan scheint auch der Star-Bariton vom jungen Tenor. Prompt lädt Hampson ihn für nächstes Jahr nach New York zu einem weiteren seiner Meisterkurse ein. Und an der diesjährigen Schubertiade in Schwarzenberg wird Maas natürlich auch teilnehmen. Was der Schlüssel zu so schnellen Erfolgen ist? Talent und Fleiß reichen bei Weitem nicht aus. Die richtige Einstellung zum Singen und nötige Disziplin, Stimmführsorge sowie Achtsamkeit für Körper und Geist sind von enormer Bedeutung. Und genau diese Sängerphilosophie scheint Johannes früh genug verinnerlicht zu haben.
Stimmbänder, der Bizeps der Sänger
Gesangshochleistungssportler sollten sich so früh wie möglich durch die Konzertwelt turnen, brillieren und ganz nebenbei auf eine gesunde Art und Weise ihr natürliches Stimmideal entfalten. Lässt sich das heutzutage vereinen in einer Welt, in welcher der Selbstoptimierungsdrang auch in der Klassikbranche stärker als je zuvor ist? Die Worte Selbstreflexion und Achtsamkeit fallen mehrmals in dem einstündigen Gespräch mit Johannes. Er ist sich bewusst, dass die Stimme einer lebenslangen Entwicklung unterliegt und man sich früh eingestehen muss, dass man nie die stimmliche Perfektion erreichen wird. Den vokalen Höhepunkt gibt es nicht, denn ab dem 25. Lebensjahr altert und verändert sich die Stimme kontinuierlich. „Ambivalente Gefühle kommen da bei mir auf. Einerseits ist es ein beängstigendes, andererseits auch ein sehr beflügelndes Gefühl. Nie den stimmlichen Höhepunkt zu erreichen, bedeutet auch, nie Stillstand erleiden zu müssen.“ Gesund ist diese Einstellung von Maas allemal. Trotzdem muss auch er dem Druck der permanenten Konkurrenz gewachsen sein und sich nicht von falschen Stimmidealen leiten lassen. Einen kühlen Kopf bewahren und auf sich schauen, könnte das Motto lauten. Aber vor allem muss man das Grundvertrauen in sich und sein Instrument haben und dieses mit Liebe und Führsorge behandeln, meint Maas. Das Instrument eines Sängers setzt sich nicht nur aus seinen zwei Stimmbändern, die im Hals flattern, zusammen, sondern der gesamte Körper erzeugt den Klang. Wenn Sänger also im besonderen Maße auf ihre gesundheitliche Verfassung achten, sollte dies nicht belächelt, sondern respektvoll verstanden werden. Also radikale Abhängigkeit der Stimme und somit Fluch und Segen zugleich. Für Maas ist es aber das Selbstverständlichste der Welt und dank seines Gesangs-Gurus Ulrike Sonntag, hat er dies vor Beginn seines Studiums verstanden. „Man muss eben seinen Körper pflegen und schonen wie ein rohes Ei, aber diese Achtsamkeit darf keine hypochondrischen Züge annehmen.“
„Jeder Sänger sollte den Mut haben, auch NEIN sagen zu können. Seine Stimme darf man fordern, aber nicht überfordern.“
Einen Ausgleich zum Singen findet Johannes beim Laufen. Das macht den Kopf frei und hält sein Instrument fit. Dank Thomas Hampson, der mit seinen Stipendiaten früh den Sonnengruß, die Kobra und andere Asanas zur Aufwärmung in Heidelberg praktizierte, anstatt den Tag mit Einsingübungen zu beginnen, hat Johannes das Yoga für sich entdeckt. „Es macht wach und vor allem schafft Yoga ein ganz anderes Bewusstsein für den eigenen Körper. Eine großartige Bereicherung für das Singen.“ Nicht umsonst werden an Musikhochschulen spezielle Yoga-Kurse für Sänger angeboten, damit sie eben auf einem anderen Weg ihren Körper auch einmal wahrnehmen und das „In-Sich-Horchen“ lernen. Wieso das so wichtig ist? Bei den ganzen Angeboten von Konzerthäusern ist es manchmal ziemlich nervenaufreibend zu entscheiden, welche der Partien man sängerisch stemmen kann und welche dem eigenen Stimmfach einfach nicht gerecht werden. Ein ehrliches „In-Sich-Horchen“ kann dann oft Klarheit bringen. Hemmungen abzusagen, haben nämlich die meisten Sänger besonders am Anfang ihrer Karriere, denn die Angst, dass vielleicht dieses Konzerthaus nie wieder zukünftig auf einen zurückkommen wird, ist groß. Außerdem könnte der Ruf entstehen, dass man unzuverlässig sei und nichts wage. Dabei ist es so wichtig, eben nicht jedes Angebot anzunehmen. Zu schmal ist der Grat zwischen Stimmforderung und Stimmüberforderung. Maas weiß, dass man einen vertrauten Berater an seiner Seite braucht, der die eigene Stimme besser kennt als man selbst. „Ulrike Sonntag ist das Beste, was mir je passieren konnte.“ Er sieht in seiner Professorin, Sopranistin geboren in Esslingen, nicht nur die ihn ideal ausbildende Lehrerin, sondern gleichzeitig Vertraute. Immer, bevor er ein Angebot annimmt oder absagt, fragt er sie um Rat, denn sie kennt seine Stimme oft besser als er selbst. „Es ist ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass man diese wichtigen Entscheidungen nicht allein bewältigen muss, sondern jemanden an seiner Seite hat, der einem diese sogar abnehmen kann. Ich vertraue ihr da zu hundert Prozent. Nicht jeder Gesangsstudent hat das Glück, einen so passenden Lehrer bei sich zu haben.“ Auch wenn Maas schon das Angebot für die Tenorpartie des Verdi Requiems bekommen hat, weiß er, dieses mit gutem Gewissen abzulehnen. Dass er das Werk eben erst in 5-10 Jahren bewältigen kann, sieht er als Ziel. „Jeder Sänger sollte den Mut haben auch NEIN sagen zu können. Seine Stimme darf man fordern, aber nicht überfordern.“ Leider können zahlreiche Studenten dieser Verführung nicht widerstehen und nehmen zu früh Angebote für die ganz großen Partien an. Ist dann die darauffolgende Überforderung selbstverschuldet? Mitnichten. Ein Appell an Konzert- und Opernhäuser: Bitte seid euch eurer Verantwortung gegenüber jungen Sängern doch bewusst und versteckt euch nicht hinter dem feigen Argument, ihr wollet den Studierenden in erster Linie eine Chance geben, Erfahrungen zu sammeln und bekannt zu werden. Lohnt es sich nicht mehr, die jungen Stimmen reifen zu lassen und ihnen Zeit zu geben, anstatt wertvolles Sängerpotential so früh zu verschleudern?
„Professionelles Singen ist hochkarätiger Ausdauersport.“
Das A und O für alle Gesangsprofessoren ist… natürlich ein „perfektes anstandsloses Legato“. Es ist schlichtweg mit die höchste Kunst beim Singen. Lang ist der Weg bis dorthin. Der Jagd nach perfiden Perfektion verfallen nicht wenige heranwachsende Sänger. Alle wollen sie das gleiche: Erfolg in der Musikwelt, Stimmvollendung, Sicherheit und vor allem Anerkennung. Dass das manchmal hart werden kann, ist vielen vor Beginn des Studiums nicht bewusst. So himmlisch sich ein Gesangsstudium für alle Musikliebhaber anhören mag, verlangt es einem neben dem leidenschaftlichen Talent im Besonderen Willenskraft, Selbstreflexion und eine große Portion Mut ab. Talentierte Weicheier kommen da nicht weit. Denn professionelles Singen ist hochkarätiger „Ausdauersport“, wie Johannes Maas findet. Der junge Sänger hat als Studienschwerpunkte Oper und Lied gewählt, denn schon in ganz jungen Jahren entdeckte er seine Opern-Liebe. Dank seiner Eltern wuchs Johannes musikalisch auf und lernte Klarinette und Klavier. Durch diese frühe Ausbildung in Kindheit und Jugend konnte Maas sein musikalisches Talent entfalten und schnell wurde klar, der Junge kann auch singen. Er hat eine lyrisch-kraftvolle Tenorstimme entwickelt, die facettenreich klingt und nicht mit dem typischen Tenortimbre verglichen werden kann. Eher etwas dunkler scheint sein sinnlich-ausdrucksstarkes Timbre. Wenn man Johannes fragt, wieso er singt, dann, weil er Emotionen und Geschichten mit der Musik transportieren möchte. Vorbilder sind für ihn die verstorbene Tenorikone Fritz Wunderlich, den er für seine technische Perfektion bewundert, und Thomas Hampson, welcher gnadenlos Grenzen überschreitet und sich nie in ein idealisiertes Stimmfach hineinschieben lassen hat, sowie immer offen für die eigene Stimmveränderung ist. Vorbilder an denen sich Maas orientieren kann, aber diese keinesfalls kopieren möchte. Einen bescheidenen Wunsch hat der heranwachsende Opernsänger trotzdem. Er sehnt sich nach mehr Rollen der Bösewichte in Opern für Tenöre. Maas hat die Hoffnung, im Laufe seiner Karriere einen Schurken in einer Aufführung zu singen und nicht immer nur den Tenor-Liebhaber spielen zu müssen. terzwerk drückt die Daumen, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht, er trotz Erfolg am Boden bleibt und das Nein nie vergisst. Von dem jungen Sänger wird man sicherlich nicht das letzte Mal gelesen haben.